Frage an Thomas Jarzombek von Thomas B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Jarzombek,
ich habe Angst vor dem ESM und der Aufgabe des demokratischen Einflusses des Bundestages auf die Entscheidungen des ESM. Von daher bitte ich kurz zu nachfolgenden Fragen Stellung zu nehmen:
- Wie lange hatten Sie/die Abgeordneten Zeit sich mit der endgültigen Gesetzesvorlage zu beschäftigen? Ist es korrekt, dass die Abgeordneten des Bundestages weniger als 1 Woche Zeit hatten?
-Wissen Sie wie die Parlementsbeteiligung an der ESM-Finanzierung im Detail aussieht? Details müssen nicht genannt werden, es geht mehr um das Vorliegen von Informationen.
-In wie fern wird das ESM-Direktorium demokratisch legitimiert?
-Ist es korrekt, dass die ESM-Direktoren politisch immun sind und somit sich der Strafverfolgung entziehen können?
-Müsste für so eine tiefgreifende Entscheidung wie dem ESM die verfassungsgebende Gewalt des Volkes in die Entscheidung miteinbezogen werden?
-Entäußert sich mit dem ESM nicht seiner Haushaltsautonomie und siener parlamentarischen Gestaltungs- und Kontrollfunktionen?
Als Bürger Düsseldorfs bin ich sehr besorgt über den ESM und das irgendwo im Süden unsere Steuergelder ausgegeben werden bei mangelnden Mitbestimmungsrechten. Die Schulden von Griechenland, Spanien und Italien werden so m.E. leider vergemeinschaftet.
Im Voraus schon mal Vielen Dank für Ihre Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Bartels
Sehr geehrter Herr Bartels,
ich danke Ihnen für Ihren Beitrag auf Abgeordnetenwatch.
Es ist korrekt, dass der Prozess von der Ausarbeitung des ESM-Vertrages bis zu seiner Billigung durch Bundestag und Bundesrat recht zügig vonstattenging und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages somit nicht allzu viel Zeit blieb, um sich mit der Thematik zu beschäftigen. Allerdings war in dieser dringlichen Situation eine schnelle Entscheidung geboten. Der dem Vertrag zugrundeliegende Gesetzentwurf ist am 20. März 2012 in den Bundestag eingebracht worden, woraufhin die Beratungen stattfanden, die schlussendlich zu dem Abstimmungsergebnis über das Gesetzespaket zur Schaffung einer Stabilitätsunion führten. Solche Beratungen und Prozesse der Entscheidungsfindung finden oftmals relativ kurzfristig in den Tagen vor einer Abstimmung statt. Dabei muss betont werden, dass sich der zuständige Ausschuss, in diesem Fall in federführender Position besonders der Haushaltsausschuss, vorher äußerst intensiv mit dem Thema beschäftigt und seine Schlussempfehlungen einige Tage vor der Abstimmung den anderen Abgeordneten vorgelegt hat.
Sie fragen nach der demokratischen Legitimation des ESM-Direktoriums. Man muss hierbei berücksichtigen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus letztlich eine reine Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg ist, die weder gesetzgebende noch -ausführende Gewalt besitzt. Die Legitimierung einer solchen Institution ist daher von Grund auf eine andere als z.B. bei einem Parlament. Der ESM ist dabei in etwa vergleichbar mit der Europäischen Zentralbank, der deutschen Bundesbank oder dem Internationalen Währungsfond (IWF), also eine nicht durch Wahlen, sondern durch Regierungen eingesetzte Institution. Alle diese Institutionen werden somit indirekt legitimiert und es wäre realpolitisch unmöglich, bei jeder Entscheidung über die Errichtung einer internationalen Finanzinstitution das Volk, in welcher Form auch immer, zu befragen.
Die Mitglieder des ESM-Direktoriums, genauso wie das gesamte Personal des ESM, besitzen strafrechtliche Immunität während ihrer Amtszeit. Diese Immunität kann vom Gouverneursrat aufgehoben werden, welcher sich aus den Finanzministern der ESM-Mitglieder oder deren Vertreter zusammensetzt. Dadurch wird Missbrauch entgegengewirkt. Durch die Regelungen soll der ESM und sein Vermögen vor unberechtigtem Zugriff Dritter geschützt werden. Das ist im Interesse der ESM-Mitglieder und damit auch des deutschen Steuerzahlers. Vergleichbare Regelungen gelten u. a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z. B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Die Abtretung von Zuständigkeiten im Bereich des Bundeshaushalts an den ESM ist notwendig, um zu europaweit festgeschriebenen und verbindlichen Haushaltsregeln inklusive Schuldenbremse und automatisch einsetzenden Strafen für Haushaltssünder zu kommen. Gleichwohl nimmt der Deutsche Bundestag seine Haushaltsverantwortung auch im Zusammenhang mit dem ESM weiterhin im vollen Umfang wahr. Alle wesentlichen Entscheidungen, die der ESM treffen kann, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, müssen einstimmig durch den Gouverneursrat des ESM getroffen werden. Deutschland verfügt über seinen Vertreter im Gouverneursrat dabei bei allen wichtigen Entscheidungen des ESM über ein Vetorecht. Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz haben wir dieses Vetorecht dem Deutschen Bundestag übertragen, indem dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat ein umfangreicher Parlamentsvorbehalt vorgeschaltet wurde. Hat der Bundesfinanzminister als deutscher Vertreter im Gouverneursrat kein positives Votum des Bundestages, muss er mit Nein stimmen.
Aufgrund der von uns im Gesetzgebungsverfahren bewusst verankerten Regelung muss das Plenum des Deutschen Bundestages immer dann vorher zustimmen, wenn der ESM ein neues finanzielles Risiko eingeht. Das ist insbesondere bei Entscheidungen über neue Hilfsprogramme der Fall oder auch bei finanzwirksamen Änderungen von bestehenden Programmen. Der Haushaltsausschuss begleitet die Umsetzung der Programme. Seine Zustimmung ist z. B. dann notwendig, wenn die Bedingungen von Hilfsprogrammen geändert werden sollen, auch wenn das Volumen des Hilfspaketes unverändert bleibt. Zudem ist er vor Auszahlungen einzelner Tranchen bereits genehmigter Programme zu beteiligen. Das sogenannte 9er-Gremium kommt nur zum Einsatz, wenn im Rahmen eines Hilfsprogrammes Anleihekäufe auf dem Sekundärmarkt vorgesehen sein sollten. Diesen Einsatz hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erlaubt.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Jarzombek