Frage an Thomas Jarzombek von Alvar F. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Jarzombek,
Am 25. März wollen die Ministerpräsidenten der Länder den aktuellen Entwurf des bisher zumeist hinter verschlossenen Türen verhandelten Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) beschließen. Eine anschließende Zustimmung der Landesparlamente gilt als Formsache. Ihren bisherigen Äußerungen zum JMStV entnehme ich, dass Sie dies nicht für das richtige vorgehen halten.
Halten Sie die Rundfunkkommission der Länder für die richtige Instanz, um Regelungen für das Internet zu erarbeiten?
Wäre es jetzt, vor allem nach der breiten Kritik, nicht besser, die Novellierung des JMStV zu vertagen und den Jugendschutz im Internet grundsätzlich vom Rundfunk zu trennen?
Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, bekräftigte am 21. März auf dem Politcamp in Berlin, dass die Rundfunkkomission der Länder explizit an der Möglichkeit für Sperrverfügungen gegen Access-Provider festhalten will. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat solche Sperrverfügungen bereits angedroht. Was halten Sie davon?
Halten Sie die im JMStV propagierten Jugendschutz-Filter für den richtigen Ansatz, um Jugendlichen Internet- und Medienkompetenz zu vermitteln und sie fit für die digitale Welt zu machen?
Der aktuelle JMStV-Entwurf sieht für viele Betreiber von Webseiten de facto vor, dass diese jeden einzelnen Inhalt bewerten und mit einer Alterskennzeichnung versehen müssen. Wie soll dies beispielsweise die Wikipedia mit über 1 Million deutschsprachigen Artikeln leisten? Halten Sie dies für verhältnismäßig, wirtschaftlich vertretbar, unter Berücksichtigung der Globalität des Mediums Internet für sinnvoll und für den Jugendschutz dienlich?
Freundliche Grüße
Alvar Freude
Lieber Herr Freude,
vorweg möchte ich Ihnen danken für Ihr großes Engagement bei allen Fragen rund um die Netzpolitik und auch für Ihren Einsatz bei der Novelle des JMStV!
Ihre Darstellung über die Möglichkeiten der Landesparlamente teile ich vollkommen. Beim Politcamp habe ich dies kommentiert als "Sieg der Bürokratie über die Parlamente" und tatsächlich sind die Möglichkeiten der Landtage in diesem Verfahren extrem reduziert. Ich halte dies für falsch und meine, ein solches Gesetz braucht eine breitere demokratische Basis und sollte auch im Vorfeld ausgiebiger öffentlich diskutiert werden - so wie dies bei Gesetzgebungsvorhaben des Bundestags der Fall ist.
Die Rundfunkkommission der Länder nimmt ihre Zuständigkeit aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 1961, das die Zuständigkeit für den Rundfunk den Ländern zugewiesen hat. Knapp fünfzig Jahre später definieren viele auch neuere Medien als eine Art "Rechtsnachfolger" des Rundfunks und sehen damit weiterhin die Länder in der Verantwortung. Die Schwierigkeit der Länderhoheit besteht aber darin, dass es keine sinnvolle Regulierung von Medien geben kann, die in jedem Bundesland unterschiedlich ist. Daher verabreden alle Länder ein gemeinsames Gesetz - den Rundfunkstaatsvertrag. Dieser kann aber nur beschlossen und verändert werden, wenn sich alle 16 Länder einig sind. Dieses extrem langwierige Verfahren, bei dem oftmals auch nur der kleinste gemeinsame Nenner beschlossen wird, ist kaum geeignet die rasante Entwicklung des Internet zu begleiten. Aus diesem Grund prüfen wir derzeit, ob und wie der Bundestag die Zuständigkeit für den Jugendschutz in Neuen Medien erlangen kann.
Sperrverfügungen im Rahmen des Jugendschutzes halte ich für den falschen Weg. Der JMStV sieht als Mittel der Wahl nutzerautonome Sperren vor, so dass Eltern mit Hilfe von Jugendschutzprogrammen bestimmen können, ob und was auf den Computern ihrer Kinder gesperrt wird. Die Möglichkeit, auch netzseitige Sperren vorzunehmen, hat der Vorsitzende der KJM Prof. Ring selbst als ungeeignet bezeichnet, da aus seiner Sicht das Verfahren extrem aufwändig und der DNS-Sperrmechanismus wirkungslos seien. Da stellt sich die Frage, warum eine solche Möglichkeit nicht einfach gestrichen wird.
Kern der Mechanismen des JMStV sind die Jugendschutzprogramme. In den sieben Jahren des bisherigen Staatsvertrags ist es aber nicht einem Anbieter gelungen, die erforderliche Anerkennung der KJM für ein Jugendschutzprogramm zu erhalten. Der Grund ist das viel zu hohe Anspruchsniveau des Gesetzes. Da in §11 Absatz 2 Ziffer 2 weiterhin höchste Anforderungen unabhängig vom Stand der Technik gefordert werden, bin ich gespannt, ob die Anerkennung eines Jugendschutzprogramms auch mit dem neuen Staatsvertrag stattfinden wird. Ohne anerkannte Jugendschutzprogramme sind aber auch die vorgesehenen Alterskennzeichnungen bei Websites vollkommen sinnlos.
Doch fernab dessen: Ist der Staatsvertrag wirklich ein Schritt nach vorn in Sachen Jugendschutz? Klare Antwort: Man weiß es nicht. So ist jedenfalls offensichtlich, wer hier Pate gestanden hat: Die Initiative „Frag Finn“/“Ein Netz für Kinder“. Grundidee dabei ist es, einen sicheren Surfraum für Kinder zu schaffen, abgesichert durch entsprechende Filterprogramme. So kann der Siebenjährige nur die Websites anklicken, die auch als kindertauglich klassifiziert wurden. Der Rest? Wird geblockt im Filter.
Das funktioniert bei Kindern und ist eine wirklich gute Initiative. Nur: Welche Eltern stehen es nervlich durch, ihrem 14jährigen Sohn alle Inhalte zu blocken, die nicht ausdrücklich für Jugendliche klassifiziert sind? Darunter fallen dann nicht nur user generated content und soziale Netzwerke, sondern auch das Weltweite am Web sowie aller Voraussicht nach die Wikepedia. Oder würde Herr Stadelmeier als spiritus rector des Staatsvertrags einen solchen Artikel als geeignet für 11jährige ansehen http://de.wikipedia.org/wiki/Vulva ?
Wenn man die Meinung teilt, dass solch restriktive Sperren auf den Computer von Teenagern für Eltern nicht durchsetzbar sind, muss man den gesamten Sinn des Staatsvertrags in Frage stellen. Denn am Ende geht es nicht nur um die Jugendlichen, sondern auch um die vielen Unternehmen im Web und die zahlreichen Gründungen, die wir ja gerade fördern wollen. Denn nach dem Staatsvertrag wären viele Menschen mit Klassifizieren beschäftigt, statt ihre Zeit in innovative Ideen und Geschäftsmodelle zu investieren. Wenn dann am Ende alle ohnehin sauberen Angebote klassifiziert sind, kein Mensch aber ein Jugendschutzprogramm bei seinen Kindern installiert – war das dann sinnvolle Politik? Man weiß es eben nicht.
Daher werden wir abwarten, wie sich die vielen offenen Fragen in der Praxis ab dem 1.1.2011 ausgestalten. Sollten die Verfahren zu kompliziert, Zeiträume für Prüfungen spürbar verlängert werden sowie es weiterhin keine Anerkennung von Jugendschutzprogrammen geben, werden wir als Bundesgesetzgeber tätig. Ziel ist dann die Ermöglichung von Alterskennzeichnungen bei Online-Spielen und -Filmen mit den etablierten Verfahren des JuSchG.