Frage an Thomas Bareiß von Frank G. bezüglich Soziale Sicherung
Kurz gesagt, geht es um die überbordende Konkurrenz von Sozialleistungen. In meinem täglichen Geschäft als Leistungssachbearbeiter im Jobcenter habe ich ständig damit zu tun, Kunden aufzufordern Anträge bei anderen Behörden zu stellen, da diese vorrangig sind.
Da wären:
Kindergeld
Unterhaltsvorschuss (Jobcenter haben eine eigene Unterhaltsstelle)
Kinderzuschlag
Wohngeld
Elterngeld
neu Bundesbetreuungsgeld
Berufsausbildungsförderung
BAföG
etc.
Manche dieser Leistungen reduzieren den Anspruch aus Arbeitslosengeld II. Die Kunden haben also keinen Vorteil davon, abgesehen von Freibeträgen (30 EUR), die z.T. für manche dieser Leistungen gewährt werden. Andere Leistungen bzw. nur deren theoretischer Anspruch führen zum völligen Leistungsstopp (z.B. BAföG). Wohl gemerkt, ob von der anderen Stelle Leistungen bezahlt werden oder nicht. (???) Bei Leistungen wie Kinderzuschlag und Wohngeld kann es bei Aufstockern mit einem schwankenden Erwerbseinkommen zu der Situation führen, dass der Leistungsträger beinahe monatlich wechselt. All dies hat für die Kunden, die sich doch eigentlich um ihre Qualifizierung und die Stellensuche kümmern sollen, keinerlei erkennbaren Vorteil und belastet sie zusätzlich. Ein Großteil der sowieso schon knappen Arbeitszeit (hierzu: Stellungnahme der Personalräte der Jobcenter) muss für die gegenseitige Information über evtl. Leistungsbewilligungen oder -entziehungen zwischen den Behörden verwendet werden. Hinzu kommen haufenweise wechselseitige Erstattungsansprüche, also ein hin und her von Geld, das so oder so dem Staat gehört. Sollte ein ohnehin schon sehr konfliktbeladenes Arbeitsfeld (siehe Übergriffe in Frankfurt, Neuss und Leipzig) mit so etwas zusätzlich belastet werden?
Wie sehen Sie diese Situation und wie würden Sie dieser begegnen, wenn Sie in den kommenden Bundestag gewählt werden?
Sehr geehrter Herr Geist,
vielen Dank für Ihre E-Mail, in der Sie von Ihrer Arbeit als Leistungssachbearbeiter im Jobcenter und über „überbordende Konkurrenz von Sozialleistungen“ berichten. Ich danke Ihnen für Ihr ehrliches Interesse und freue mich, dass Sie Ihre Arbeit und die Kunden ernst nehmen und nach Verbesserungen suchen.
In der Grundsicherung für Arbeitsuchende gilt der - für Fürsorgeleistungen typische -Nachranggrundsatz, wonach Leistungen nur gewährt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig abgewendet werden kann. Ansprüche auf andere Sozialleistungen mindern die Hilfebedürftigkeit oder schließen diese aus und sind daher grundsätzlich vorrangig geltend zu machen. Der Nachranggrundsatz vermeidet zum einen eine Allzuständigkeit der Jobcenter. Zum anderen schließt er Doppelleistungen aus. Nicht zuletzt wegen des ausdifferenzierten und gegliederten Sozialleistungssystems in Deutschland sind bei der Leistungssachbearbeitung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende zahlreiche Rechtsquellen zu beachten (z. B. Wohngeld, Unterhaltsrecht, Kinderzuschlag, Elterngeld, Kindergeld, BAföG, etc.). Hieraus ergeben sich zwangsläufig anspruchsvolle Fallkonstellationen, die die vielschichtigen Lebenswirklichkeiten aufgreifen müssen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bereits wichtige Weichenstellungen für eine Entlastung der Jobcenter vorgenommen, indem Rechtsvereinfachungen umgesetzt wurden. So sieht beispielsweise § 12a Satz 2 Nummer 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch seit dem 1. April 2011 vor, dass das Wohngeld oder der Kinderzuschlag nur in Anspruch genommen werden muss, wenn dadurch die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde. Hierdurch wird eine gewisse Verstetigung des Leistungsträgerwechsel sichergestellt. „Antragskreisläufe“ werden vermieden.
Die Möglichkeit eines „ bedingungslosen Grundeinkommens“, das wechselseitige Erstattungsansprüche und den Mehraufwand an Arbeit eindämmen würde, halte ich für nicht realisierbar. Dies beruht maßgeblich auf zwei Punkten: Zum Einen wird die Finanzierbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens bis heute unterschiedlich bewertet und ist nicht zuverlässig berechenbar. Zum Anderen würde mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen und der Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit verletzt werden. Wer arbeitet, soll mehr haben, als derjenige, der nicht arbeitet. Eine Sozialleistung darf nicht darauf ausgerichtet sein, den Verbleib in einer schwierigen Lage zu fördern. Ziel muss es viel mehr sein, langfristige Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen und die arbeitslosen Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.
Weitere Möglichkeiten zur Rechtsvereinfachung, die auch den Bedürfnissen der Verwaltungspraxis Rechnung tragen, werden fortlaufend aufgegriffen. Hierzu steht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einem ständigen Austausch mit der Bundesagentur für Arbeit, um die dort gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in die gesetzgeberischen Überlegungen einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, wenn der aus der täglichen Arbeit in der Leistungssachbearbeitung gewonnene Sachverstand aus den Jobcentern an die Bundesagentur für Arbeit herangetragen würde. Ich würde mich freuen, wenn Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden, um das bestehende System noch zu verbessern.
Mit freundlichen Grüße
Thomas Bareiß MdB