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Thilo Hoppe
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Frage von Kerstin L. •

Frage an Thilo Hoppe von Kerstin L. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Thilo Hoppe,

zurzeit schauen wir in der Schule den Film „Oil Crash“.
Es wird auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass der weltweite Bestand an Öl schon in ein, zwei Jahrzehnten zu Ende gehen wird. Was machen wir dann? Die Menschen fahren Autos, die Autos brauchen diesen Rohstoff. Nicht nur Autos brauchen Öl, auch viele andere Dinge die wir täglich nutzen.

Ich mache mir Gedanken darüber, wie meine Kinder oder Kindes Kinder später leben sollen. Im Film, der schon vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde, hat ein Wissenschaftler darauf aufmerksam gemacht, dass uns eine möglichen Finanzkrise bevorsteht. Wie sie sehen, befinden wir uns gerade in dieser Finanzkrise bzw. sind dabei sie zu überstehen.
Ich möchte mir nicht ausmalen, wie die Welt in ein, zwei Jahrzehnten aussieht, wenn alles was die Wissenschaftler vorausgesagt haben auch in Kraft tritt.
Wie wollen Sie das Problem des enormen Ölverbrauchs in den Griff bekommen? Wie bereitet man sich auf den sogenannten „Oil Peak“ vor? Was tut die Regierung dagegen und was macht die Regierung nach dem "Oil Peak"?
Ich wäre sehr erfreut, wenn Sie zu diesem Thema Stellung beziehen.

Mit freundlichen Grüßen,
K.L (Schülerin des JAG Emden)

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Langheim,

ich habe mir leider nicht die Zeit nehmen können, den Film „Oil Cash“ anzuschauen. Aber Christian, einer meiner Mitarbeiter, hat es getan, mir seine Eindrücke geschildert und mich bei der Beantwortung Ihres Briefes unterstützt. Es freut mich sehr, dass Sie dem Aufruf des Films folgen und Initiative ergreifen, indem Sie Ihre ungeklärten Fragen direkt an mich richten. Auch mich lassen Dokumentationen wie diese, in der namhafte Wirtschafts- und Energieexperten zu Wort kommen, nicht ungerührt. Am nächsten Tag gibt es dann sprichwörtlich ein böses Erwachen: man schaut sich um und reflektiert kritisch, inwieweit jeder von uns Teil des Problems ist: Mit einer warmen Dusche in den Tag - das Shampoo im Plastikbehälter. Gegen das Eintrocknen der Haut flugs eingecremt - ohne böses Gewissen. Zähne geputzt - und auch die Zahnpasta kommt aus der Tube. Schon vor dem Frühstück, ganz unbewusst, wird jeder von uns zum Ölkonsumenten - auch wenn er/sie kein Auto benutzt und „umweltfreundlich“ lebt.

Kritischen Filmen wie „Oil Crash“ wird oft vorgeworfen, sie würden dramatisieren. In der Tat sind die Dramatik, die Überspitzung, auch das Populistische durchaus gängige Stilmittel der Filmemacher. Ich denke hier beispielsweise an die Dokus von Michael Moore. Aufrütteln ist angesagt! Wichtiger scheint mir jedoch, welch wahren Kern ein Film vermittelt. Im Fall von „A Crude Awakening - The Oil Crash“ sehe ich den Zusammenhang zwischen medial aufgebauter Problematik und tatsächlichem Notstand erschreckend eng. Ich befürchte, dass der Film in seinem Grundtenor absolut richtig liegt und wir uns bereits an der Schwelle des globalen Ölfördermaximums befinden.

Die Internationale Energieagentur datierte 2009 den geschätzten Zeitpunkt auf 2020. Lediglich ein Jahr zuvor verlautbarte sie: „nicht vor 2030“. Zur Erfüllung beider Szenarien müssten aber laut IEA massive Investitionen in Alternativen vorgenommen werden, zudem wird ein Abflachen der Förderrate bis 2030 einkalkuliert. Hier liegt der Knackpunkt, auf den die WissenschaftlerInnen aufmerksam machen: Aufgrund von zu geringer Investitionen warnt die World Energy Outlook 2009 (siehe: http://www.worldenergyoutlook.org/ ) vor Förderengpässen noch vor 2015. Soweit die offiziellen Stellungnahmen. Viele der interviewten Experten im Film schätzen jedoch, dass wir uns entweder gerade „auf dem Gipfel“ befinden oder ihn schon überschritten haben. Colin Campbell etwa unterscheidet in seinen Papieren a) konventionelles Öl von b) Schweröl/Teersande/Flüssiggas und datiert das ´Peak Oil´ derzeit für a) auf 2005; für b) auf 2008, also bereits in der Vergangenheit. Neben ihm teilen etwa die Energy Watch Group und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ähnliche Bedenken.

Ganz eindringlich und zuallererst soll die Erkenntnis stehen, dass „Öl nicht wie Weizen ist: Wir pflanzen es nicht jedes Jahr neu an.“ Dieses Filmzitat von Herrn Takin gefällt mir gut, zeigt es doch die Dramatik klar auf. Viel zu viele behandeln den Ölhandel als kommerzielles Tagesgeschäft, als kurzfristige Gewinnmaximierung, ohne jedoch an die langfristigen Folgen zu denken. Wenn Herr Campbell an gleicher Stelle anmerkt, dass 98% aller Transportenergie auf Öl zurückgehen und andererseits 70% des Öls zu Benzin, Kerosin und Diesel verarbeitet werden, liegt unser Problem klar auf der Hand. Spätestens der Umstand, dass die Vereinigten Staaten mit ihren 4% aller Erdenbewohner und 2% aller Ölreserven gut 25% des weltweiten Öls verbrauchen, offenbart die politische Brisanz - und lässt (zu Recht!) Ihre Skepsis gegenüber des sog. „nachhaltigen, ausreichenden und sicheren Abbaus“ fossiler Brennstoffe steigen.

Die rot-grüne Bundesregierung (1998 bis 2005) verabschiedete 2000 das „Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien“. Im Film wurde es auch kurz als „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ vorgestellt, inzwischen wurde es von 47 Staaten übernommen. Das Gesetz dient ganz klar dem Klima- und Umweltschutz und gehört zu einer ganzen Reihe gesetzlicher Maßnahmen, mit denen die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringert werden soll. Hierzu zählen neben Erdöl auch Braunkohle, Steinkohle, Torf und Erdgas. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz schreibt zum Beispiel eine Nutzung von Erneuerbaren Energien bei der Wärmeerzeugung vor.

Derzeit befinden sich die Grünen in der Oppositionsrolle. Ihre Frage: „Was tut die Regierung dagegen“ möchte ich daher ummünzen in „Was tut die grüne Opposition dagegen?“: Auf unserer Homepage www.gruene.de finden Sie eine eigene Themenseite zum Bereich Klima&Umwelt. Dort steht beispielsweise folgender Kurzabriss zur grünen Klimapolitik geschrieben:

[Zitat: Anfang] „Wir Grüne sind die Vorreiter für Klimaschutz und nachhaltige Energiepolitik. Die Zeit ist vorbei, in der "Reichtum" mit der Verbrennung fossiler Energienträger verbunden zu sein schien. Wir streiten für eine energieintelligente Kultur und zeigen nicht zuletzt mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, wie Klimaschutz zum Wachstumsmotor wird. Um die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssen wir bis 2020 die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 40 Prozent senken. Dafür soll der Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2020 auf über 40 Prozent steigen. Diese grüne Energierevolution ermöglicht uns nicht nur, die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern, sondern macht auch neue Kohlekraftwerke - den Klimakiller Nr. 1 - überflüssig. Gleichzeitig ermöglicht sie uns, aus der Risikotechnik Atomkraft auszusteigen. Die Bauvorhaben für neue Kohlekraftwerke müssen gestoppt, Steuersubventionen für Klimasünder abgebaut werden. Wir treten für ein Tempolimit, Verkehrsvermeidung, eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene und sparsamere Autos ein. Auf den Energiemärkten wollen wir das Oligopol brechen, um innovativen Anbietern faire Marktchancen zu geben. International streben wir eine gerechte Verteilung der Klimaschutzaufgaben und gleiche Emissionsrechte pro Kopf an. Dabei können wir die Jahrhundertaufgabe des Klimaschutzes nicht allein der Politik überlassen. Die Grünen setzen auf eine starke Bürgerbewegung für den Klimaschutz, die Wirtschaft und Politik zum Handeln antreibt.“ [Zitat: Ende]

Die zentrale Zukunftsfrage heißt doch: Sind wir in der Lage, global so zu wirtschaften, dass alle Menschen wenigstens mit dem Nötigsten versorgt werden können und dass die natürlichen Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben? Und zwar nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, nicht nur im Westen - sondern weltweit. Herr Savinar erwähnt im Film erstaunlich direkt: „China und Indien stoßen zu einer Party, auf der die Gläser halb leer getrunken sind.“ Der europäische und erst recht der amerikanische ‚way of life‘ können keine Vorbilder sein, weil die Welt einen derartigen Energie- und Rohstoffverbrauch nicht verkraften würde und außerdem unser Wohlstand auch auf Ausbeutung von Menschen in der so genannten Dritten Welt beruht.

Elementar erscheint mir, dass sich jede und jeder an seine eigene Nase greifen und sich so umwelt- und energiebewusst wie möglich verhalten muss. Das beginnt (scheinbar) primitiv. Lesen Sie sich einfach mal die 100 Vorschläge unseres Klimaschutz-Sofortprogramms durch: http://www.gruene.de/einzelansicht/artikel/dein-klimaschutz-sofortprogramm.html . Meine ganz persönliche Lehre aus dem Öldilemma heißt: so wenig Plastik wie möglich! Der ein oder andere überraschende Einfall ist sicherlich auch dabei. Nehmen Sie zum Beispiel Punkt 79 (natürlich erst, nachdem Sie sich meine Antwort bei abgeordnetenwatch.de durchgelesen haben): „Rechner nicht nur runterfahren, sondern ausschalten. Die Kiste ist erst wirklich vom Netz getrennt, wenn der Schalter an der Gehäuserückseite aus ist. Wer den Rechner nur runterfährt, gibt ihm die Lizenz zum Stromkillen.“ Ach ja, für das ganz reine Gewissen recherchiere ich für Ihre Antwort gerade bei Znout.org. SpiegelOnline schreibt dazu: „Eine Such-Anfrage bei Google verbraucht genauso viel Strom wie eine Energiesparlampe benötigt, um eine Stunde lang zu leuchten.“ Znout grünt die verbrauchten Wattstunden wieder auf. Aber: Klimaschutz ist kein Ablasshandel!

Kurzum: Wir alle müssen endlich anfangen, in Alternativen zu denken. Ein ‚business as usual‘ kann es nicht geben. Über kurz oder lang müssen wir weg vom Öl. Die beschränkten Ressourcen und die drohende Klimakatastrophe zwingen uns zu einem Umsteuern hin zu ‚sauberer Energie‘, daher lautet das grüne Energiekonzept 2020: mehr Energieeffizienz, mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeinsparung. Solange noch fossile Energieträger eingesetzt werden müssen, spielen Gaskraftwerke als Übergangstechnologie eine besondere Rolle. Sie weisen höhere Wirkungsgrade und niedrigere CO2-Emissionen auf als Kohlekraftwerke. Zudem können sie später auch mit Biogas betrieben werden. Sie sind also in mehrfacher Hinsicht eine Investition in die Zukunft.

Allerdings gibt es noch furchtbar viel zu tun. Hier kommt man an der EU nicht vorbei: Die Europäische Union darf ihre Energieaußenpolitik nicht länger auf kurzfristige, kurzsichtige Sicherung fossiler Energiequellen reduzieren. Europäische Energiepolitik muss eingebettet werden in eine umfassende multilaterale Politik, die die Umstellung auf erneuerbare Energien beschleunigen.

Entschuldigen Sie bitte, dass die Beantwortung ein wenig gedauert hat. Immerhin wollten wir uns den Film erst mal selbst anschauen. Zudem haben wir Ihre Fragen an Hans-Josef Fell, den grünen Sprecher für Energiepolitik, weitergeleitet. Dort sind sie in guten Händen, vielleicht weiß er das ein oder andere zu ergänzen. Darüber hinaus empfehle ich Ihnen unsere Broschüren zu den Themen Energie&Klima und Umwelt&Natur, die Sie unter www.gruene-bundestag.de/publikationen finden. Alle Downloads dort sind kostenlos. In die Anlage habe ich eine Broschüre gepackt, die mir sinnvoll erscheint. Nicht nur gegen den Oil Crash, auch gegen den Oil Cash. Teilen Sie mir ruhig mit, was Sie davon halten.

Bis dahin danke ich Ihnen für Ihr Interesse. Toll, dass sie alle den Film im Unterricht behandeln!

Mit freundlichen Grüßen

Thilo Hoppe