Frage an Thilo Fester von Julia H. bezüglich Kultur
Sehr geehrter Herr Fester,
laut Ihrem Wahlprogramm stehen Sie für mehr Mitbestimmung.
Wie wollen Sie es schaffen, dass mehr Mitbestimmung wirklich angenommen wird? Bisher schaffen die Politiker es nicht, jeden Bürger alle 4-5 Jahre zum Wählen zu bewegen (Wahlbeteiligung derzeit bei 40-60%). Würde die Beteiligung nicht zu gering sein?
In der Zeitung konnte ich lesen, dass unser derzeitiger Ministerpräsident Wolfgang Böhmer gegen mehr Mitbestimmung ist, weil dies die Demokratie gefährden würde. Wie stehen Sie dazu? Sollte man die Poltik nicht lieber den Leuten überlassen, die vom Volk gewählt wurden?
Viele Grüße,
Julia Hanser
Sehr geehrte Frau Hanser,
Mitbestimmung ist in der etablierten Politik ein gerne verwendeter Begriff. Die zur Zeit praktisch umgesetzten Beteiligungsmöglichkeiten erscheinen mir als Bürger jedoch relativ wirkungslos. Von Bürgersprech- und fragestunden bis hin zu den Wahlen hat sich "Mitbestimmung" bei den Menschen als ein bestimmtes Schema eingeprägt, das auf der einen Seite einen Audienz-Charakter trägt und als Bitte einem Entscheidungsträger herangetragen werden muss oder aber auf der anderen Seite auf einer politisch-strategischen Medienschlacht beispielsweise vor Parlamentswahlen basiert. Letzteres erleben wir zur Zeit und die Wähler sind in beiden Fällen sichtlich enttäuscht, da selbstverständlich das Gefühl aufkommt, das eigene Engagement wäre schlicht verpufft. Die Motivation sich einzubringen geht natürlich flöten, wenn infolge unhaltbarer Versprechen und kurzfristiger, populistischer Forderungen in den Werbekampagnen und letztendlich auch stark Lobby-beeinflusster Politik, die Bevölkerung den Eindruck gewinnt: "Die Parteien machen doch eh, was sie wollen!".
Die Forderung nach mehr Mitbestimmung ist für mich also eben auch eine Forderung nach neuen Formen der Beteiligung, die den Bürger auf Augenhöhe mit den Entscheidungsträgern stellen und letztendlich auch die Umsetzung öffentlicher Initiativen ermöglichen.
Neben dem Ziel geringerer Hürden für Volksbegehren sind für mich dabei auch Werkzeuge wichtig, die neue Wege zwischen direkter und repräsentativer Demokratie ermöglichen. Ich will an dieser stelle kurz erläutern, wovon ich spreche. Es gibt beispielsweise heute die Möglichkeit, Bürger an den Anträgen, die letztlich Grundlage unserer Gesetze und Regulierungen sind, mitarbeiten zu lassen. Die Idee dahinter ist, dass Anträge zu jeglichen Angelegenheiten in einem Parlament der Öffentlichkeit derart zur Verfügung gestellt werden, dass die Bürger ohne größere Hürden Verbesserungsvorschläge einbringen können. Hierzu sollte es die Pflicht der Parlamentarier sein, die Bürger umfassend mit den Informationen zu versorgen, die sie selbst nutzen um ihre Entscheidungen zu treffen.
Ergreift nun jemand, beispielsweise ein Parlamentarier, Initiative für einen Gesetzentwurf, kann er davon ungemein profitieren, da er nicht nur seinen Antrag qualitativ verbessern kann, sondern auch die Akzeptanz seiner Idee erhöht. Natürlich muss er Verbesserungsvorschläge nicht entgegen nehmen. Für diesen Fall existiert jedoch auch die Möglichkeit (für jeden Bürger) alternative Textentwürfe vorzustellen, die dem Gesetzentwurf des Parlamentariers gegenüber gestellt werden können. Diese Alternativen sollen von Parlamentariern aufgegriffen und letztlich neutral vertretend und entsprechend der Gegebenheiten, die Gesetze und Geschäftsordnung der Parlamente fordern, ihren Einzug in die Gesetzgebungsverfahren finden. Ein öffentliches, demokratisches Meinungsbild hilft hierbei, die besten der von Bürgern und Parlamentariern gemeinsam erarbeiteten Anträge für neue Gesetze heraus zu filtern. Dieses Meinungsbild ist auch insofern wichtig, da hiermit durch Parlamentarier (vielleicht Piraten?), Presse und Öffentlichkeit Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben, den (abseits der Volksbegehren) bisherige Mitbestimmungswege nicht bieten konnten.
Angenehm hervorheben kann man hierbei auch, dass es nicht zwingend notwendig ist, Termine wie Sitzungen einzuhalten, um gehört zu werden. Man muss auch kein Genie in allen Fachgebieten sein, um mitzuwirken. Hier kommt die Idee der "fließenden Demokratie" zum tragen. Für spezielle Fachgebiete kann man seine Stimme jemandem weitergeben, dem man vertraut. Vorteilhaft ist hier insbesondere die Tatsache, dass man seine Stimme auch sofort wieder entziehen kann, sofern man sich einem falschen Versprechen ausgesetzt fühlt, jemanden für inkompetent hält oder auf eine andere Art und Weise enttäuscht ist (Erfahren Sie mehr: https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Liquid_democracy ). Die Stimme lässt sich dann umgehend neu vergeben oder gar persönlich nutzen. Neue Technologien ermöglichen die Mitbestimmung von zu Hause aus und spezielle Regelwerke verhindern ein Chaos. Nicht zuletzt umwerfend charmant erscheint mir diese Idee auch deswegen, weil es unsere bestehende Demokratie in keiner Weise angreift. Es bedarf keiner Eingriffe in die aktuellen Gesetze um diese Mitbestimmungsoption auch in unseren Parlamenten Realität werden zu lassen.
Natürlich hat dieses Verfahren auch einen Namen: LiquidFeedback ( https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/LiquidFeedback ). Es ist keine Utopie, sondern wird bereits praktisch genutzt. Dieses System hat sich meiner Ansicht nach in der Piratenpartei bereits bewährt (Sehen sie selbst: https://lqfb.piratenpartei.de/ ).
Da wäre ich dann wieder zurück bei Ihrer Frage, Frau Hanser! Wenn die Bürger wissen, dass ihre Stimme Gewicht hat, wenn wir so die Qualität unserer Gesetzgebung erhöhen, wenn wir so vielleicht nicht nur unhaltbaren Versprechen und populistischen Forderungen, sondern auch aktiv der heute vielleicht zu starken Lobby-Arbeit begegnen, dann wird auch die Beteiligung und das Vertrauen in die gemeinsamen Entscheidungen wieder steigen!
Fehlen eigentlich nur noch die Piraten im Parlament, die letztendlich den Mumm haben, die so entwickelten Anträge und Meinungsbilder dem Landtag politisch neutral zu vertreten und auf diese Weise die Gesetzgebung zu entern!
Zum zweiten Teil: Ich möchte ungern Politiker anderer Parteien angreifen, sondern eher konstruktiv Lösungsvorschläge anbieten. Vermutlich kann man meine Einstellung dazu aus dem ersten Abschnitt jedoch deutlich erkennen.
Viele Grüße
Thilo Fester
www.thilofester.de