Frage an Tankred Schipanski von Florian K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Schipanski,
warum ist das sog. Homeschooling ("Schule zu Hause") in Deutschland nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen legal? Prof. Volker Ladenthin von der Uni Bonn hat auf verschiedene Umstände aufmerksam gemacht, unter denen eine Verpflichtung der Kinder, Bildung allein in Form einer staatlichen Schulpflicht wahrzunehmen, in zahlreichen Fällen zu Problemen führen, z.B. bei Kindern, die Schwierigkeiten im sozialen Bereich o.ä. haben. (vgl. z.B. ders., "Homeschooling", Bonn 2010)
Warum kann den betreffenden Eltern nicht ermöglicht werden, die Schulbildung selbst in die Hand zu nehmen? Länder wie Österreich, Spanien, Schweiz, Großbritannien, Italien Irland, Belgien, Schweden, Portugal, USA sehen jedenfalls keinen Bedarf, Eltern staatlich zu bevormunden, sondern haben vielmehr Modelle entwickelt, welche die Bildungspflicht auch für Kinder, die keine Schule besuchen, in einem hilfreichen Rahmen sicherstellen können.
Mir sind ferner keine belastbaren Daten bekannt, die dafür sprechen, dass eine sinnvolle Regelung von Homeschooling die entsprechenden Kinder sozial benachteiligt.
Wie lautet Ihre Position bzw. die Position Ihrer Partei zu diesem Thema? Was werden Sie politisch für diejenigen Eltern unternehmen, die sich durch die staatliche Schulpflicht heute in ihrer Erziehungsaufgabe eingeschränkt fühlen, bzw. deren Kinder darunter leiden?
mit freundlichen Grüßen,
Florian Kraemer.
Sehr geehrter Herr Kraemer,
in Deutschland herrscht - im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern - keine Bildungs-, sondern eine Schulpflicht, was bedeutet, dass der Staat in diesem einen Fall in die elterliche Verantwortung der Erziehung eingreift und im Zweifel den Schulbesuch der schulpflichtigen Kinder auch gegen den elterlichen Willen durchsetzt. In der Tat gibt es aber einige Situationen, in denen Hausunterricht für die individuellen Bedürfnisse des betroffenen Kindes zuträglicher wäre. Deshalb besteht in extremen Ausnahmefällen auch für deutsche Kinder die Möglichkeit zu einer privaten und freien Beschulung. Das betrifft unter bestimmten Voraussetzungen zeitweilig im Ausland lebende Kinder, physisch oder psychisch erkrankte oder behinderte Kinder. In diesen Fällen ist eine Abkehr von der Schulpflicht unter strengen Auflagen, beispielsweise in Bezug auf den einzuhaltenden Lehrplan, und bei Teilnahme an sogenannten Externenprüfungen möglich und auch sinnvoll. Doch insgesamt halte ich die Schulpflicht für eine große Errungenschaft, die sicherstellt, dass allen Kindern in Deutschland quantitativ und qualitativ ähnliche Bildungsinhalte vermittelt werden - unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion und den Erziehungsmethoden der Eltern. Doch der staatliche Erziehungsauftrag dient nicht nur der Wissensvermittlung. Unerlässlich für das Miteinander in unserer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft ist es, dass sich alle Kinder zu verantwortlichen Staatsbürgern entwickeln, um an den demokratischen Prozessen teilhaben zu können. Durch den Schulbesuch sollen die Kinder in das Gemeinschaftsleben hineinwachsen und dabei lernen, mit unterschiedlichen Ansichten und Wertvorstellungen tolerant umzugehen oder aber sich mit von der Mehrheit abweichenden Überzeugungen selbst zu behaupten. Dies kann meiner Einsicht nach aber nur dann gelingen, wenn der Kontakt mit Gleichaltrigen und dadurch mit der Gesellschaft nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig stattfindet. Ein weiteres Argument für den verpflichtenden Schulbesuch ist, dass so in einem größeren Maße der Entstehung von religiösen oder weltanschaulichen Parallelgesellschaften vorgebeugt werden kann. Zumindest haben die in dieser Hinsicht gefährdeten Kinder durch den Schulbesuch regelmäßig Kontakt zu anderen Anschauungen und damit die Chance auf eine eigene Meinungsbildung.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Tankred Schipanski