Frage an Tankred Schipanski von Mathias W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schipanski,
Sie haben gegen den Antrag zur Einführung von Volksentscheiden gestimmt.
Unter welchen Bedingungen würden Sie denn mehr direkte Demokratie für sinnvoll halten?
Die Ereignisse der letzten Wochen (Stuttgart 21, Castortransport) zeigen doch deutlich genug, dass die Politik sich von den Interessen ihrer Bürger immer weiter entfernt.
Oder sind Sie der Meinung, dass Sie es besser wissen, was für uns gut ist?
MfG. M. Wienecke
Sehr geehrter Herr Wienecke,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Gern nehme ich dazu Stellung.
Ich bekenne mich zur repräsentativen Demokratie, in der politische Führung und demokratische Verantwortung wirksam miteinander verbunden werden. Repräsentative Demokratie schließt allerdings auch Elemente unmittelbarer Demokratie nicht aus. Auf den regionalen Ebenen können diese das repräsentative System sinnvoll ergänzen. Auf Landes- und Kommunalebene, wo es um Problemlösungen vor Ort geht, bestehen bereits vielfältige Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger, etwa bei Befragungen sowie durch Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide, direkt an der Politikgestaltung zu beteiligen. Auf Bundesebene jedoch, könnten Volksentscheide oder ähnliche Verfahren den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft kaum gerecht werden.
Naturgemäß können die meisten Volksentscheide nur einfache „Ja“ oder „Nein“ Antworten anbieten. Die Gesetzgebung ist oftmals aber sehr vielschichtig und muss eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigen. Um hier zu zufriedenstellenden Antworten zu gelangen, wird im Deutschen Bundestag auf dem Wege der Gesetzgebung ein Verfahren angewandt, dass ein hohes Maß thematischer Tiefe und Flexibilität erlaubt. Durch drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstattergespräche wird eine ausgewogene und faire Gesetzesfindung sichergestellt. Auf dem Wege dieses „lernenden Verfahrens“ ist Spielraum, Änderungen und Anpassungen zu berücksichtigen. Volksentscheide erlauben eine solche detailreiche Abstimmung nicht. Die unangemessene Verkürzung vieler Sachthemen könnte leicht zu populistisch beeinflussten Ergebnissen führen, bei denen die notwendigen Kompromisse der parlamentarischen Diskussion auf der Strecke blieben. Dieses würde insbesondere zu Lasten von Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Tankred Schipanski