Frage an Sylvia-Yvonne Kaufmann von Horst G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Im November 2007 hatte das EP zur weiteren Demokratisierung der EU die erste „Bürger-Agora“ einberufen. 400 Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft konnten ihre Meinung zum Lissabon-Vertrag äußern. In der Resolution des EP zum Lissabon-Vertrag spiegelte sich jedoch mit keinem Wort die differenzierte Haltung der Zivilgesellschaft zum Vertrag wider.
Frage: Wie erklären Sie das Verschweigen der europäischen Bürger-Meinung zum Lissabon-Vertrag durch die Abgeordneten des EP, nachdem dieses doch erst die Zivilgesellschaft aufgefordert hatte, vermittels der Bürger-Agora ihre Meinung darzulegen ?
Frage: Werden Sie sich für die Fortsetzung dieses einzigartigen Projektes des EP zur Demokratisierung der EU durch die Bürgerbeteiligung an den Beratungen wesentlicher Entscheidungen zur Zukunft Europas einsetzen ?
Dr. Horst Grützke
Vorsitzender des „Europäischen Bürger-Netzwerkes EUROPA JETZT!“
Sehr geehrter Herr Grützke,
das Europäische Parlament hat am 8./9. November 2007 die erste Agora durchgeführt, an der ca. 400 Personen aus allen Mitgliedstaaten teilnahmen. Die Agora stellt ein neues Forum dar, mittels dessen das Europäische Parlament einen Beitrag zum verstärkten und strukturierten Dialog der europäischen Institutionen mit den Vertreterinnen und Vertretern der europäischen Zivilgesellschaft leisten möchte. Diese vor allem von meinem französischen Kollegen, Gerard Onesta, eingebrachte Idee habe ich von Anfang an unterstützt, und die Ergebnisse der Agora haben meine positiven Erwartungen vollauf bestätigt. Für den 12./13. Juni 2008 ist die zweite Agora bereits geplant. In fünf verschiedenen Workshops wird dort über notwendige Konsequenzen aus dem Klimawandel für die Politik diskutiert werden.
Ziel der Agora ist es, den Vertreterinnen und Vertretern der europäischen Zivilgesellschaft nicht nur die Möglichkeit zu eröffnen, direkt mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments in einen Meinungsaustausch zu bestimmten Fragen der europäischen Entwicklung einzutreten, sondern gegenüber den Abgeordneten ihre Ansichten darzulegen und damit natürlich auch auf deren Meinungsfindung Einfluss zu nehmen. Die von Ihnen angesprochene 1. Agora offenbarte dabei in der Tat ein durchaus differenziertes Bild der Auffassungen zum Vertrag von Lissabon, wenngleich auch sehr deutlich wurde, dass eine ganz überwiegende Mehrheit der Anwesenden den Vertrag wegen der darin enthalten Fortschritte unterstützt. Mich persönlich hat dies in der Richtigkeit meiner Auffassung bestärkt, dem Vertrag zuzustimmen.
Am 20. Februar 2008 hat das Europäische Parlament mit deutlicher Mehrheit (525 Ja-Stimmen, 115 Nein-Stimmen und 29 Enthaltungen) die Entschließung zum Vertrag von Lissabon verabschiedet [P6_TA(2008)0055]. Es hat darin nicht nur die aus seiner Sicht anzuerkennenden Fortschritte des Vertrages gegenüber dem Status Quo (also dem geltenden EU-Vertrag und dem geltenden EG-Vertrag), sondern sehr wohl auch die von der Mehrheit des Parlaments ebenfalls getragenen Kritikpunkte an dem Vertrag dargelegt und dem Vertrag im Ergebnis zugestimmt. Das Europäische Parlament, das am gesamten Verfassungsprozess - nicht nur der letzten acht Jahre - aktiv beteiligt gewesen ist, hat mit dieser Entschließung als europäisches Organ seine Stellungnahme zu dem von den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten unterzeichneten Vertrag abgegeben.
Das Europäische Parlament ist das einzig unmittelbar gewählte Organ der Europäischen Union. Es versteht sich völlig zu Recht bereits heute als die Vertretungskörperschaft der europäischen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, wie es künftig in den Verträgen auch ausdrücklich formuliert sein wird. Und die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben gegenüber ihren gewählten Abgeordneten einen Anspruch darauf, dass diese in einer Frage, die nichts weniger als die Zukunft des europäischen Einigungsprozesses betrifft, ihre Position darlegen. Diesen Anspruch hat das Parlament mit der von Ihnen angesprochenen Entschließung meines Erachtens verantwortungsvoll und umfassend erfüllt.
Wenn Sie selbst Teilnehmer der Agora gewesen sind, werden Sie bestätigen können, dass viele der auf dem Treffen geäußerten Auffassungen sich auch in der Position der Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments wieder findet, wie sie in der o. g. Entschließung zum Ausdruck gebracht worden ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Sylvia-Yvonne Kaufmann