Frage an Sylvia-Yvonne Kaufmann von Kanstansin K. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Kaufmann,
wäre es nicht besser, Sie würden Ihr Mandat sofort abgeben?Denn die Wähleinnen und Wähler haben Sie nicht gewählt, damit Sie zur SPD wechseln.m
Kann es nicht sein, dass Sie einfach enttäuscht waren, weil Die Linke Sie nicht mehr zur Europawahl aufstellte?
Mit freundlichen Grüßen
Kanstansin Kavalenka
Werte Frau Kavalenka,
Mein Mandat als Europaabgeordnete läuft am 13. Juli aus, und bis dahin werde ich es mit derselben Ernsthaftigkeit wahrnehmen wie ich es all die Jahre getan habe.
Die Gründe meines Parteiwechsels können Sie der Presseerklärung entnehmen, die ich am 14. Mai veröffentlicht habe. Hier ihr Wortlaut:
Ich will ein starkes soziales und demokratisches Europa. Als Sozialistin und überzeugte Europäerin werde ich künftig in und mit der SPD für ein Europa streiten, das für die Menschen da ist.
Bald endet mein Mandat als Europaabgeordnete. Entsprechend der Erwartung linker Wählerinnen und Wähler und aus tiefster persönlicher Überzeugung habe ich mich viele Jahre für die Vertiefung der europäischen Einigung sowie für soziale und demokratische Fortschritte in der Europäischen Union engagiert.
Mein politisches Leben ist seit fast 20 Jahren eng mit Europa verbunden. Es begann 1990 im Europarat und dann von 1991 bis 1994 als Abgeordnete mit Beobachterstatus im Europäischen Parlament. Elf Jahre war ich im Parteivorstand der PDS für Friedens-, internationale und Europapolitik verantwortlich, davon viele Jahre als stellvertretende Parteivorsitzende. 1994, 1999 und 2004 war ich Spitzenkandidatin meiner Partei für die Europawahlen. Seit 1999 bin ich Mitglied des Europäischen Parlaments. Dort übte ich mehr als sieben Jahre die Funktion einer stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion GUE/NGL aus, und war von 2004 bis 2007 Vizepräsidentin des Parlaments. Zehn Jahre lang war ich das einzige Mitglied der Fraktion im Verfassungsausschuss des Parlaments. Ich gehörte – als einzige Frau aus der Bundesrepublik Deutschland – sowohl dem Konvent zur Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta als auch dem Europäischen Verfassungskonvent an. Nicht ohne Stolz kann ich heute auf konkrete Arbeitsergebnisse zurückblicken, die bleiben werden. Auch freue ich mich darüber, dass mein langjähriges Wirken für die europäische Integration über Parteigrenzen hinweg Anerkennung gefunden hat.
Dennoch hat der Europaparteitag der LINKEN in Essen entschieden, mich nicht erneut für das Europäische Parlament zu nominieren. Als Demokratin respektiere ich das, denn die Tätigkeit als gewählte Abgeordnete ist immer nur ein Mandat auf Zeit.
Als Sozialistin und überzeugte Europäerin will ich aber nicht länger für die europapolitische Geisterfahrt in Haftung genommen werden, die von diesem Parteitag beschleunigt wurde. Die LINKE hat sich dort in ihrem Nein zum Lissabonner Reformprojekt der EU endgültig einbetoniert. Man kann den Vertrag von Lissabon durchaus von links kritisieren. Was aber nicht geht, ist, Inhalte zu verfälschen und alle seine unbestreitbaren Fortschritte zu leugnen. Genau das aber ist passiert. Pure Ideologie siegte über Vernunft. Vorige Woche, an meinem letzten Arbeitstag in Straßburg, habe ich dies erneut erfahren. Dieselben Linken, die keine Gelegenheit auslassen, das Demokratiedefizit in der EU zu beklagen, verweigerten sich allen ernsthaften Schritten, die das Europäische Projekt demokratischer machen. Die linke Fraktion im Europaparlament stellte sich gegen die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative, weil sie an Lissabon gekoppelt ist.
Die LINKE hat nicht begriffen, dass das geeinte Europa in Gestalt der Europäischen Union nie zustande gekommen wäre, wenn andere politische Kräfte über Jahrzehnte hinweg ihre eigenen Vorstellungen zum alleinigen Maß aller Dinge erhoben hätten. Mit Verbalradikalismus und Fundamentalpposition sind die kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus und der Marktradikalismus in der EU nicht zu brechen und die Herausforderungen der Globalisierung nicht zu bewältigen. Dazu bedarf es in Europa glaubwürdiger Konzepte, die von der Lebenswirklichkeit ausgehen, die auf Gestaltung der Gesellschaft und das Ringen um breiteste demokratische Mehrheiten setzen. In diesem Sinne war ich als Mitbegründerin der PDS bemüht, der Partei ein klares proeuropäisches Profil zu verleihen. Nunmehr stelle ich fest, dass ich damit komplett gescheitert bin. Deshalb habe ich DIE LINKE verlassen.
Ich bin davon überzeugt, dass es einer gestärkten Sozialdemokratie bedarf, um die politische Achse in Europa nach links zu verschieben. Mit ihrem Europamanifest hat die SPD ein überzeugendes Programm für die Europawahlen. Das werde ich gerne unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia-Yvonne Kaufmann