Silvia Lehmann, 2021, Copyright Karoline Wolf
Sylvia Lehmann
SPD
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Frage von Uwe K. •

Frage an Sylvia Lehmann von Uwe K. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Lehmann,

als Brandenburger Politikerin ist Ihnen sicherlich bekannt, dass viele Menschen in unserem Land im nicht tarifgebundenen Bereich arbeiten. Jahrelange Nullrunden und eine Bezahlung weit unter Tarif sind heute leider immer noch Normalität. Wer trotzdem arbeitet wird dafür später noch durch Punktabzug bei der Rente bestraft. Von den über eine Million Haushalten, die nach Abzug der Fixkosten weniger Geld als Hartz IV-Haushalte zur Verfügung haben, dürften so einige in Brandenburg sein. Fazit, Arbeit lohnt sich vielerorts nicht.
Sie aber bekommen automatisch jedes Jahr eine Erhöhung, obwohl das Diätenurteil des BVerfG vom 05.11.1975 eindeutig betont, dass die Höhe der Entschädigung öffentlich diskutiert werden muss.
Gleichzeitig steigen ihre Pensionsansprüche für die Sie keinen Cent einzahlen in die Höhe, so dass Sie schon nach einer Legislaturperiode mehr Geld bekommen wie weit mehr als 60% der Rentner die ein Arbeitsleben lang ins Rentensystem eingezahlt haben.
Wie können Sie damit leben?

MfG
U. krüger

Silvia Lehmann, 2021, Copyright Karoline Wolf
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr K.,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben via Abgeordnetenwatch. Gerne widme ich mich Ihren Fragen.
Vorab weise ich Sie darauf hin, dass ich mein Mandat am 3. Dezember als Nachrückerin angenommen habe. Für eine erneute Bundestagskandidatur werde ich nicht zur Verfügung stehen. Die Freude und Ehre, die Wählerinnen und Wähler meines Wahlkreises im Parlament zu vertreten, wird mir insgesamt weniger als eine Legislaturperiode zu Teil - was Sie hoffentlich ein wenig beruhigen wird in Bezug auf meine Person und eventuelle Pensionsansprüche. In den letzten zweieinhalb Monaten habe ich auf Bundesebene weder einer Diätenerhöhung zustimmen noch gestalterischen Einfluss auf die Pensionsansprüche nehmen können.

Bei allem anderen bin ich bei Ihnen. Es schmerzt mich sehr, dass es in diesem im Grunde wohlhabenden Land viele Menschen gibt, die kaum von harter Arbeit leben können und deren Einkünfte nach den Abzügen sogar unter dem Hartz IV Satz liegen. Das ist alles andere als gerecht. Als Sozialdemokratin fühle ich mich verpflichtet, mich für eine ausgleichende Änderung einzusetzen, zumal darüber bereits seit Jahren (beispielsweise 2013 in der Süddeutschen und 2017 im Spiegel) berichtet wird.
Die SPD kann in dieser Legislaturperiode einige wesentliche und medial leider zu wenig positiv kommunizierte Erfolge verzeichnen, die dem entgegenwirken, was Sie und ich anprangern.

Bei den in den oben erwähnten Zeitschriften angeführten Beispielen waren meist steigende Mieten die Ursache - selbst in kleineren Städten. Die SPD hat trotz großer Widerstände von Seiten der CDU/CSU wohnungspolitisch wesentliche Verbesserungen im Mietrecht erwirkt. Bereits zum 01.01.2019 ist das sogenannte „Mieterschutzgesetz“ in Kraft getreten. Es schützt vor extremen Mieterhöhungen und Verdrängung nach Modernisierungs- oder Sanierungsmaßnahmen. Zusätzlich wird das gezielte „Herausmodernisieren“ von Mieterinnen und Mietern mit einer Geldbuße von bis zu 100.000 Euro belegt. Außerdem wurde der Kündigungsschutz für soziale Wohnprojekte verbessert: Für soziale Träger, die Wohnraum zu sozialen Zwecken an- und weitervermieten, gelten die Kündigungsfristen des sozialen Mietrechts und nicht wie bisher die für Gewerbemietverhältnisse. Angesichts der anhaltenden Wohnungsnot hat der Bundestag die Mietpreisbremse gerade aktuell um weitere fünf Jahre bis 2025 verlängert und verschärft. Mieterinnen und Mieter können zu viel gezahlte Mieten erstmals auch rückwirkend für bis zu zweieinhalb Jahre zurückfordern. Unter Umständen macht es Sinn, sich bei Rechtsberatungsstellen oder Mietervereinen zu informieren und bei entsprechenden Empfehlungen Klage einzureichen. Dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung haben CDU/CSU (nach starkem Widerstand) sowie SPD und Grüne zugestimmt. FDP und AFD lehnten ihn ab. Die Linken enthielten sich.

Seit über fünf Jahren wirkt der Mindestlohn direkt gegen die von Ihnen beschriebene Schieflage - eine ursozialdemokratische Initiative. Allen Unkenrufen zum Trotz haben sich Wirtschaft und Arbeitsmarktlage in Deutschland seither nicht verschlechtert - im Gegenteil: Die gute Konjunktur hat sich von Jahr zu Jahr verbessert, ebenso wie die Situation vieler Beschäftigter. Wir Sozialdemokraten wissen, dass die derzeitige Höhe nicht (mehr) ausreicht und fordern eine wesentliche Anhebung und - vorab notwendig - eine Änderung der Mechanismen, nach denen Erhöhungen des Mindestlohnes entschieden werden. Dieses derzeit greifende Schema würde bedeuten, dass der Mindestlohn 2021 nur von 9,35 auf 9, 81 Euro steigen könnte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die SPD sind der Auffassung, dass das bei Weitem nicht ausreicht und fordern eine Erhöhung auf 12 Euro - dies würde die von Ihnen geschilderten Missstände beenden. Im Sommer wird ausgewertet werden, ob der gerade wirkende Mechanismus geändert werden muss und in welchem Zeitraum 12 Euro realistisch umsetzbar sind. Am 1. Januar dieses Jahres ist die Lohnuntergrenze von 9,19 Euro auf 9,35 Euro pro Stunde gestiegen. Bis zum 30. Juni wird die Kommission einen neuen Vorschlag für die Erhöhung des Mindestlohnes zum 1. Januar 2021 unterbreiten - ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, dass diese Erhöhung so groß wie möglich ausfallen wird. Drücken wir uns und allen Betroffenen gegenseitig die Daumen.

Eine langfristig helfende Maßnahme für arbeitende Menschen, die heute nach Abzügen unter dem Hartz IV Satz liegen, ist die soeben im Kabinett beschlossene Grundrente (die leider oft mit der Grundsicherung verwechselt wird, aber etwas anderes ist und vor allem mehr Geld bedeutet…) Wer mindestens 33 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, also beschäftigt war, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, soll im Alter besser dastehen als jemand, der all das nicht getan hat (und der dann Grundsicherung erhält). Mit der Grundrente sorgen wir dafür, dass die Menschen sich auf das Kernversprechen des Sozialstaats verlassen können. Es ist Aufgabe der Solidargemeinschaft sicherzustellen, dass Arbeit sich lohnt und Menschen nach einem langen Arbeitsleben ein Auskommen haben, das ihre Leistung anerkennt. Rund 1,3 Millionen Menschen werden die Grundrente erhalten können, davon ein großer Anteil Frauen. Denn häufig haben Frauen der Familie wegen nur Teilzeit gearbeitet – oder in Berufen, in denen viel verlangt, aber trotzdem wenig verdient wird. Es werden auch viele Ostdeutsche profitieren, die oft besonders lange – aber zu niedrigen Löhnen – gearbeitet haben. Die Verbesserungen werden auch den Rentnerinnen und Rentnern zugutekommen, die bereits eine Rente beziehen. Ab dem 1. Januar 2021 erhalten Geringverdiener nach 33 Jahren an Grundrentenzeiten einen Zuschlag auf die Rente – ohne einen Antrag stellen zu müssen oder zum Bittsteller zu werden. Das entspricht meinen Vorstellungen von sozial gerechter Politik.

Sehr geehrter Herr K., ich kehre zum Anfang meines Schreibens und den Pensionen von Abgeordneten zurück. Seit Jahren kursiert die Forderung, diese in das gesetzliche, solidarische Krankenkassensystem einzugliedern. Auf Landesebene galt dafür bis vor kurzem Baden-Württemberg noch als Vorbild, doch das Land hat sich nun ebenfalls dem Pensionssystem angeschlossen. Sollte es eine neue Gesetzesinitiative in diese Richtung geben, solidarisieren ich mich in jedem Fall mit den Wählerinnen und Wählern: Ich würde sie zeichnen und gerne auf dieses Privileg verzichten. Doch bislang ist es mir nicht bekannt, und ich will Ihnen nichts vormachen – es sieht bis 2021 nicht so aus.
Ich hoffe sehr, dass ich Ihre Fragen beantworten konnte.

Ich wünsche Ihnen alles Gute und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihre Sylvia Lehmann

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