Frage an Sven Wolf von Ingo W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Wolf,
ab Mai dieses Jahres soll das neue TVgG-NRW in Kraft treten. Welche Auswirkungen wird dieses Gesetz auf die Unternehmen, bei denen die Kommunen die Mehrheitsanteile halten, haben? Können sich Kommunen weiterhin noch leisten, mit „ihren“ Unternehmen und deren Töchterunternehmen (z. B. Bäder GmbH) ohne Tarifvertrag zu bleiben?
Sehr geehrter Herr Weinreich,
vielen Dank für Ihre Frage zu diesem sehr komplexen, aber auch wichtigen Themenbereich.
Grundsätzlich gilt der Anwendungsbereich des Tariftreuegesetzes NRW nicht nur für Gebietskörperschaften im engeren Sinne, sondern auch für deren Unternehmen und Töchterunternehmen.
Allerdings kann aus der Anwendung des Tariftreuegesetzes nicht für alle Töchterunternehmen zwingend eine Tarifbindung vorgeschrieben werden. Mit der in § 4 vorgesehenen Formulierung haben wir eine verfassungskonforme und europarechtskonforme Tariftreue- und Mindestlohnregelung geschaffen. Nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz in der derzeit geltenden Fassung finden die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrages für die nachfolgenden Branchen auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages Beschäftigten zwingend Anwendung, wenn er für allgemeinverbindlich erklärt oder durch Rechtsverordnung erstreckt ist. Das sind aktuell die Bereiche: Bauhauptgewerbe oder Baunebengewerbe im Sinne der Baubetriebe-Verordnung, Gebäudereinigung, Briefdienstleistungen, Sicherheitsdienstleistungen, Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken, Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft, Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst, Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch und Pflegedienstleistungen.
Zu beachten waren bei unserem Gesetz für NRW aber auch Entscheidungen in Europa. Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 03.04.2008 (RS. C-346/06, Rüffert ./. Land Niedersachsen) für den Bereich der Bauwirtschaft entschieden, dass bei einer landesvergaberechtlichen Tariftreueregelung die Richtlinie 96/71/EG beachtet werden muss. Voraussetzung ist danach grundsätzlich, dass der jeweilige Tarifvertrag allgemein wirksam ist. Die Einhaltung nicht für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge kann danach nicht als Anforderung in Vergabeverfahren aufgenommen werden, weil es den Bietern aus anderen Mitgliedstaaten aus Gründen der Transparenz nicht zugemutet werden kann, sich über den Inhalt der am Ort der Leistungserbringung geltenden Vereinbarung der Tarifvertragsparteien informieren zu müssen.
Für die Zulässigkeit von Tariftreueregelungen im Bereich des ÖPNV lässt sich die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 heranziehen. Nach Artikel 4 Absatz 6 dieser Verordnung kann der Auftraggeber den Betreiber bei der Vergabe von Personenverkehrsdiensten im Einklang mit nationalem Recht dazu verpflichten, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten. Dabei kann es sich auch um soziale Kriterien wie Mindestarbeitsbedingungen und Verpflichtungen aus Kollektivvereinbarungen handeln. Der § 4, Absatz 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW stellt daher für den Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und für den Bereich der öffentlichen Personenbeförderung auf einschlägige und repräsentative Tarifverträge aus Nordrhein-Westfalen ab. Die Unternehmen müssen ihren Beschäftigten mindestens ein Entgelt zahlen, das auch in einem solchen Tarifvertrag vorgesehen ist.
Für Beschäftigungsbereiche, für die weder allgemeinverbindliche Tarifverträge noch Verordnung 1370/2007 gelten, gilt der Mindestlohn nach § 4, Abs. 3 Tariftreue- und Vergabegesetz NRW. Absatz 3 folgt dem Regelungskonzept der Verpflichtung durch Tariftreueerklärung. Das dort bezeichnete Mindeststundenentgelt von 8,62 Euro wird nicht kraft staatlicher Geltungsanordnung Inhalt der Arbeitsverträge. Vielmehr ist der Auftragnehmer aufgrund der durch Angebot und Zuschlag entstanden einzelvertraglichen Bindung im Sinne einer Drittwirkung verpflichtet, den bei der Auftragsausführung eingesetzten Beschäftigten ein Mindeststundenentgelt in der gesetzlich bestimmten Höhe zu zahlen. Durch die Festlegung, dass nur Unternehmen beauftragt werden dürfen, die das jeweilige Mindeststundenentgelt garantieren, erhalten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumindest dann eine auskömmliche Vergütung, wenn sie zur Erfüllung von Verträgen mit öffentlichen Auftraggebern eingesetzt sind. Das Mindeststundenentgelt von 8,62 Euro entspricht der bei Inkrafttreten des Gesetzes untersten besetzten Entgeltgruppe des in Nordrhein – Westfalen gültigen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TV-Land-West). Mit der Anforderung einer Verpflichtung des Auftragnehmers durch Verpflichtungserklärung auf diese Mindeststundenentgelte verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, dass sich die öffentliche Hand nicht durch Auslagerung von Aufgaben auf private Auftragnehmer ihrer Verantwortung für eine angemessene Vergütung der Beschäftigten entziehen kann, derer sie sich, wenn sie die beauftragte Leistung selbst erbringen würde, bedienen müsste.
Zudem gibt es Regelungen für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer: § 4, Absatz 4 regelt die Festlegung des sog. Günstigkeitsprinzips. § 4, Absatz 5 sieht vor, dass Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich schriftlich verpflichten, dafür zu sorgen, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer für gleiche oder gleichwertige Arbeit ebenso entlohnt werden wie die regulär beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Auftragnehmers sowie des Nachunternehmers oder Verleihers von Arbeitskräften.
An diesen sehr ausführlichen Erläuterungen sehen Sie, sehr geehrter Herr Weinreich, dass die von uns geschaffenen Regelungen in NRW zahlreiche andere Vorschriften beachten mussten, um im Einklang mit unserer Verfassung und den europäischen Vorschriften zu stehen. Dies ist uns gelungen und dem Motto gerecht zu werden, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen gehen, die ihren Beschäftigen einen fairen Lohn zahlen. Für uns als SPD gilt: Gute Arbeit für alle!
Soweit sich Ihre Anfrage an mich als Mitglied des Rates der Stadt Remscheid richtet werde ich Ihre Hinweise gerne aufgreifen und in die politische Willensbildung der SPD-Ratsfraktion einfließen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Wolf