Frage an Sven Giegold von Michael U. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Giegold,
wegen des vom Europäischen Gerichtshof monierten Messehallen-Deals ist der Kölner Oberbürgermeister Roters mit dem Kanzleichef von EU-Kommissionspräsident Barroso zusammengetroffen. Nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 29. Januar 2010("Roters pokert in Brüssel") sagte er zu, das Problem mit den neuen Messehallen innerhalb eines halben Jahres zu lösen. Verhandlungsziel sei, die Belastungen für die Stadt und die Messegesellschaft zu reduzieren.
Der Europäische Gerichtshof hatte am 29.Oktober vergangenen Jahres Deutschland im Zusammenhang mit den Kölner Messehallen wegen eines Verstoßes gegen die EU-Richtlinie zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verurteilt (Urteil C-536/07, http://www.curia.europa.eu ).
Der Auftrag für die Kölner Hallen war ohne öffentliche Ausschreibung an einen privaten Investor vergeben worden. Um den freien Wettbewerb zu umgehen, wurde er als “Mietvertrag” deklariert, obwohl es sich nach den Feststellungen des EU-Gerichts tatsächlich um einen Bauauftrag gehandelt hatte.
Nun schreibt die in Luxemburg erscheinende Zeitschrift FORUM in ihrer jüngsten Ausgabe Nr. 293 ( http://www.forum.lu ), dass sich das Europäische Parlament in Brüssel in einer ähnlichen Situation befindet wie die Stadt Köln. Der Bauauftrag für seine beiden jüngsten Gebäude (D4/D5) im Wert von 340 Millionen € sei als “Pachtvertrag” deklariert worden, um Ausschreibungen zu umgehen.
FORUM berichtet weiter, der EU-Bürgerbeauftragte habe die Betrugsbekämpfer vom OLAF-Amt bislang vergeblich aufgefordert, die Ausschreibungsverfahren ernsthaft zu untersuchen.
Stimmt es, dass es beim Bau des Europa-Parlaments und dessen Finanzierung keine öffentliche Ausschreibung gab?
Wenn ja, teilen Sie die Einschätzung, dass dies ein schwerer Verstoß gegen EU-Vorschriften war?
Wird das Parlament nun Geld von dem regelwidrig begünstigten Unternehmen zurückverlangen?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort und
mit freundlichen Grüßen
Michael Urnau
Sehr geehrter Herr Urnau,
vielen Dank für Ihre Frage. Da ich selbst dem Europaparlament erst seit 2009 angehöre, musste ich dazu in meiner Fraktion erst einmal recherchieren. Meine Meinung ist: Selbst wenn das Parlament gegen Vergaberecht verstoßen hätte, würde das den Rechtsbruch der Stadt Köln in Sachen Deutzer Messe nicht besser machen oder gar rechtfertigen. Aber die Nachfrage in meiner Fraktion hat ergeben:
Beim Bau der D4/D5-Gebäude des Europäischen Parlaments wurde die Vergabe des Auftrags nach den entsprechenden Vorschriften der Haushaltsordnung der EU (die u.a. die Vergabe von Aufträgen durch EU-Institutionen regelt) durch das sogenannte Verhandlungsverfahren vorgenommen, wobei zunächst ein Aufruf zur Interessensbekundung veröffentlicht wurde, bei dem sich potentielle Bauträger melden konnten, und dann durch Verhandlungen aus dem Kreis der so festgestellten und zugelassenen möglichen Bauträger der Auftragnehmer bestimmt wurde. Dieses Verfahren ist in Art. 91(1)d der Haushaltsordnung vorgesehen.
Wenn der Artikel in der luxemburgischen Zeitschrift Forum auf Seite 7, wo er aus Art. 89 der Haushaltsordnung zitiert, nicht den Rest des Satzes ausgelassen hätte, hätten die LeserInnen als Fortsetzung lesen können: "[...] außer wenn das in Art. 91 Absatz 1 Buchstabe d genannte Verhandlungsverfahren angewendet wird."
Die Vergabe scheint daher juristisch und auf formale Weise korrekt gewesen zu sein. Persönlich finde ich es jedoch unbefriedigend, wenn das Parlament in Gestalt seiner Verwaltung für eigene Aufträge eine Ausnahmeregelung in Anspruch nimmt, während es politisch und durch seine Gesetzgebung öffentliche Auftraggeber und Wirtschaft den strengen Wettbewerbsregeln der öffentlichen Auftragsvergabe unterwirft. Das scheint mir nicht glaubwürdig zu sein.
Wie bereits ausgeführt, scheinen die formalen Vorschriften erfüllt zu sein, so dass es keine Möglichkeit für Rückforderungen gibt (die im übrigen nicht vom Parlament, sondern von der Europäischen Kommission zu kommen hätte). Als Grüne werden wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter dafür einsetzen, dass künftige Bau- und andere öffentliche Aufträge des Parlaments nach den allgemeinen Regeln öffentlicher Auftragsvergabe verlaufen und so wenig Ausnahmen wie möglich gemacht werden. Das wurde in der Vergangenheit von Paul van Buitenen als Mitglied der Grünen-Fraktion vertreten und wird zur Zeit durch Bart Staes, den Abgeordneten der flämischen Grünen im Kontrollausschuss des EP sichergestellt. (Unter folgendem Link können Sie zum D4/D5-Gebäude die schriftliche Anfrage des Abgeordneten der Grünen-Fraktion Paul van Buitenen an die Kommission und die Antwort finden:
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+E-2007-5143+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE )
Mit freundlichen Grüßen
Sven Giegold