Frage an Sven Giegold von Christian R. bezüglich Verbraucherschutz
Guten Tag Herr Giegold - ich habe eine Frage zum Vertrag von Lissabon:
Ich sehe in den Negativ-Definitionen zur Grundrecht-Charta mein Recht auf Leben (Artikel 2) als EU-Bürger gefährdet ... da heisst es:
3. a) “Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um [...] einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.” (Amtsblatt der Europäischen Union C303/17)
Warum sieht der Vertrag von Lissabon die Tötung von EU-Bürgern als legitimes Mittel zum Niederschlagen eines Aufruhrs vor? Wie stehen Sie dazu? Steht das nicht im krassen Gegensatz zur politischen Überzeugung der Grünen?
Zum Hintergrund:
Ich habe im Selbststudium den Vertrag von Lissabon gelesen. Anfangs war ich sehr begeistert, weil z.B. die Grundrechte-Charta mir als EU-Bürger viele positive Dinge zusichert - wie z.B. Artikel 2 "Das Recht auf Leben".
Doch liest man das Vertragswerk genauer, so findet man im EUV unter Artikel 6 (1. Teil des Vertrags von Lissabon) den bindenen Hinweis, dass die in der Charta genannten Grundrechte unter Berücksichtigung der Erläuterungen ausgelegt werden.
Welche Erläuterungen, dachte ich mir ... schliesslich sind diese im offiziellen Informationsband der EU zum Vertrag von Lissabon nicht abgedruckt -soviel zum Thema Transparenz. Im Amtsblatt der Europäischen Union C303/17 wurde ich fündig. Dort ist von "Negativ-Definitionen" zur Grundrecht-Charta die Rede und ich fand die zu Anfangs beschriebene Tötungs-Klausel, welche mich schockierte. Um zu verdeutlichen ... es geht dabei nicht um Notwehr - das wäre Teil des Bürger-Rechts. Die Grundrecht-Charta regelt die elementaren Rechte zwischen EU und Bürger.
Nach meinen Recherchen geht diese Klausel auf die ‘Europäischen Menschenrechts Konvention’ (EMRK) zurück. Doch warum ist das Teil der Grundrecht-Charta? Warum muss die EU so wehrhaft gegenüber dem Bürger sein, dass sie seine legitime Tötung in Kauf nimmt?
Danke für Ihre Zeit.
Sehr geehrter Herr Rotzoll.
Der Passus stammt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates. Die EMRK ist auch seit 1953 für Mitglieder des Europarates rechtsbindend, die Konvention wurde in innerstaatliches Recht transformiert. Nun soll die EU durch den Lissabonvertrag der EMRK beitreten. Der erwähnte Passus hat sicherlich einen reaktionären Charakter, den ich ablehne. Manche Juristen bewerten allerdings bei dieser Frage das deutsche Strafgesetzbuch als noch problematischer, so lässt §32 StGB theoretisch auch Tötung bei Eigentumdelikten zu. ( Siehe "Europarecht - schnell erfasst, Herausgeber Stefan Lorenzmeier, Christian Rohde).
Im Übrigen hat sich trotz diesen Einschränkungen die EMRK, vor allem mit dem Anti-Folter Verbot (Art. 3) als eine Speerspitze im Kampf für Menschenrechte erwiesen. So zum Beispiel musste Deutschland nach Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg, der ja auf der Basis des EMRK arbeitet, in der Türkei nachweislich verfolgten kurdischen Familien Aufenthalt gewähren, die von deutschen Gerichten in allen Instanzen nur Ablehnung erfahren hatten. Art. 3 de EMRK schränkt nachweislich die Möglichkeiten der Abschiebungen bei Foltergefahr ein (sicherlich nicht weitgehend genug, aber immer hin). Und auch bei Abschaffung der Todestrafe in Europa, trotz dieses reaktionären Passus in der EMRK, hat der Europarat ein zentrale Rolle gespielt.
Ergo: Auch wenn ich ihre Kritik an dem Passus Teile, und Polizeieinsätze national und europäisch den höchsten Menschenrechtsansprüchen genügen müssen (weder Folter noch Tötung!), würde ich bei der EMRK nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Mit freundlichen Grüßen
Sven Giegold