Frage an Sven Diedrich von Lukas Z. bezüglich Bildung und Erziehung
Guten Tag,
Ich habe eine Frage bezüglich des Zieles Ihrer Partei, eine Einheitsschule bis zur Klasse 10 einzuführen.
Ich besuche ein Gymnasium (12 Klasse) und wenn ich mich mit Schulfreunden und anderen Schüler meiner Schule unterhalte, dann haben viele Angst vor der Vorstellung einer Einheitsschule bis zu Klasse 10, da sie sich dann nicht genug gefördert sehen und eher im Nachteil gegenüber Real- und Gesamtschülern sehen. Das hat auch nichts mit Arroganz zu tun, sondern ist eine, von mir nachvollziebare, Angst vor Benachteiligung.
Deswegen frage ich Sie, wieso Sie den Plan der Einheitsschule nicht offener mit Schülern (selbstverständlich aller Schulrichtungen) diskutieren?
Als Schüler hat man heutzutage immer das Gefühl, das "die da oben" Reformen beschließen, ohne wirklich zu wissen, wie es in den Schule aussieht (damit meine ich die Realität in den Schulen, abgesehen von Zahlen und Daten, die Ihnen natürlich bestens bekannt sind). Wie wollen sie dies ändern und den Schülern das Gefühl geben, dass Sie wissen, was Sie tun und vor allem, dass Sie wissen, wie es "real" in den Schulen aussieht?
MfG,
Zimmermann
Lieber Lukas Zimmerman,
besten Dank für Ihre interessante Frage. Sie berührt ein hoch sensibles Thema, aber gleichzeitig auch eines der dringendsten Probleme unserer Stadt, ich würde sogar sagen unserer Gesellschaft.
Unsere Erkenntnis ist, dass das gegenwärtige Schulsystem nicht geeignet ist, den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu entsprechen. Zahlreiche nationale und internationale Tests und Vergleiche haben das schonungslos offen gelegt. Wir haben uns umgeschaut, wie die bildungsstarken Nationen Schule gestalten. Da war uns klar, wir müssen Schule anders machen.
In unserem Wahlprogramm haben wir das wie folgt formuliert:
"Das Projekt der Linkspartei. PDS heißt: Berlin wird skandinavisch schlau. Es beschreibt Wege zu einer gemeinsamen Schule für alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder ethnischen Herkunft, unabhängig von Alter und Geschlecht, unabhängig von der Religionszugehörigkeit und unabhängig von einer Behinderung. Diese Schule ist von einer Lehr- und Lernkultur gekennzeichnet, in der gegenseitige Achtung und Akzeptanz wie auch das Lernen mit- und voneinander selbstverständlich sind. Sie fördert das individuelle Lernen, die Leistungsbereitschaft und den Spaß an der Leistung und vermittelt den Umgang mit Verschiedenheit und interkulturelle Kompetenz. So werden alle eine Chance haben, die Schule erfolgreich abzuschließen.
Kernstück eines solchen Bildungssystems ist die allgemein bildende integrative Schule vom 1. bis zum 10. oder 12. Schuljahrgang. Schulen sollen in der kommenden Wahlperiode auf freiwilliger Grundlage verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten entwickeln und Wege zu einer integrativen Schule erproben können. Zugleich will die Linkspartei. PDS diesen Prozess mit einer breiten öffentlichen Debatte begleiten, um so für das Schuljahr 2011/12 eine politische Entscheidung über die weitere Ausgestaltung des Berliner Schulsystems treffen zu können. Dies ist das Schuljahr, in dem die 2005 eingeschulten Kinder, die als erste den Gesamt-komplex von Reformmaßnahmen in der Grundschule durchlaufen haben, die Sekundarstufe I, also die 7. Jahrgangsstufe, erreichen. Sie sollen dann dort ein qualitativ gleichwertiges Angebot vorfinden."
Eins ist klar, Voraussetzung für das Gelingen der Reform sind grundlegende Verbesserungen der materiellen und personellen Bedingungen an den Schulen. Mehr Geld, das tatsächlich in den Schulen ankommt und nicht in der Verwaltung hängen leibt. Die Schulen benötigen mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Räume, kleinere Klassen.
Wir wollen diese Idee in breiter Öffentlichkeit mit allen Interessierten diskutieren. Der gegenwärtige Wahlkampf bietet eine gute Gelegenheit dafür. Gehen Sie auf die Politiker zu, sprechen sie mit Ihnen.
Und glauben Sie mir, wir stehen mitten drin im Leben. Wir wissen, was in den Schulen abgeht. Ich selbst habe 3 schulpflichtige Kinder in der 1., 4. und 10. Klasse. Ich kenne die Defizite an unseren Schulen. Und genau deshalb bin ich so sehr davon überzeugt, dass unsere Schule dringend reformiert werden muss.
Abschließend noch eine Bemerkung zum Begriff. Unsere Schule heißt Gemeinschaftsschule, nicht Einheitsschule. Das ist nicht nur einfach ein anderer Begriff. Dahinter steht ein anderer Weg und ein anderes Ziel.
Lieber Herr Zimmermann, vielleicht ist es mir gelungen, Verständnis und Interesse für unser Modell bei Ihnen zu entwickeln und Ihre Ängste ein wenig abzubauen. Die Politiker der LINKEN stehen vor, aber auch nach der Wahl zur Verfügung, um den von Ihnen geforderten Diskurs zu führen.
Herzliche Grüße,
Sven Diedrich