Wie helfen Sie im Haushaltsausschuss, dass genügend Mittel für ME/CFS und Long Covid bereitgestellt werden (Forschung und Versorgung), trotz der aktuellen Probleme mit dem Haushalt?
Sehr geehrter Herr Kindler ,
bitte setzen Sie sich dafür ein, dass trotz der aktuellen Haushaltshaltsprobleme die Mittel zur Forschung und Versorgung der ME/CFS und Long Covid-Patienten bereitgestellt bzw. erhöht werden.
Mein an ME/CFS erkrankter Sohn Jonas kann sein Bett seit 9 Jahren nicht mehr verlassen. In vielen Medien wie ZDF-Hirschhausen, Zeitungen und Internetseiten wurde über ihn berichtet (Klopfzeichen von Jonas), aber an unserer verzweifelten Lage hat sich dadurch nichts verbessert. Wir und 500.000 weitere Erkrankte und ihre Familien benötigen endlich und dringend Forschung. Die bisherigen Ansätze sind grotesk gering angesichts der vielen Betroffenen und des immensen Schadens für die Wirtschaft durch fehlende Arbeitskräfte. Wir haben nicht mehr die Kraft und die Zeit, vor dem Bundestag zu demonstrieren oder sonst lautstark auf uns aufmerksam zu machen.
Viiele Grüße und für Ihren politischen Weg viel Erfolg
Christian B.
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Wie Sie auch aus den zahlreichen Beiträgen in verschiedenen Medien entnehmen können, liegt mir das Thema sehr am Herzen und wir diskutieren es parlamentarisch auch sehr rege. Auf allen Kanälen erreichen uns sehr viele Schreiben von Menschen mit ME/CFS-Erkrankung oder deren Angehörigen, die ihre gesundheitliche Verfassung sehr ausführlich schildern sowie ihren Unmut über die unzureichende Versorgungslage äußern. Auch habe ich mit einigen Betroffenen sowie Betroffenenorganisationen persönlich gesprochen. Daher können Sie sich sicher sein: Wir wissen um die großen Einschnitte im Leben sowie die schwierige Lage, in der die ME/CFS-erkrankten Patient*innen und ihre Angehörigen durch ihre Einschränkungen im Alltag und z.T. den dauerhaften Pflegebedarf sind. Zudem ist uns bewusst, dass sie im Gesundheitssystem vielfach auf Unverständnis treffen, dass Fehldiagnosen gestellt werden oder einzelne Ärzte*innen für Diagnosen teilweise viel privates Geld verlangen, wenn Betroffene bei Ärzte*innen mit Kassenzulassung teilweise über lange Zeiträume keine Termine erhalten.Vor diesem Hintergrund wird zurecht die aktuelle Forschungs- und Versorgungslage bemängelt. Dabei ist ME/CFS als neurologische Erkrankung bereits seit 1969 anerkannt. Nichtsdestotrotz haben viele Vorgängerregierungen dieser Erkrankung und den Betroffenen kaum Aufmerksamkeit gewidmet und Maßnahmen diskutiert, obwohl wir Grüne (beispielsweise durch eine Kleine Anfrage vom 7. August 2019, https://dserver.bundestag.de/btd/19/122/1912204.pdf?fbclid=IwAR0wrCUhCpAX8Ilf6k9RfCtPt8CeP2IfkAF67HYDezcb7cMPkjmpzRq6fko) die vorherige Regierung bereits dazu aufgefordert haben, sich des Themas endlich anzunehmen.Erst seit grüner Regierungsbeteiligung haben wir in dieser Legislatur die mangelhafte Versorgungs- und Forschungslage auf die politische Agenda gesetzt und bereits entscheidende Verbesserungen eingeleitet. Nicht zuletzt hat ME/CFS als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern erstmals auch explizit Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden. Es gab auch mehrere der Anträge der Union zum Thema, die in ihren Forderungen aus unserer Sicht jedoch entweder bereits eingeleitet wurden oder politisch nicht zielführend waren. So kann die Politik beispielsweise weder Curricula für die Fortbildungen von Mediziner*innen selbst festlegen noch kann sie selbst Schwerpunktarztpraxen und -kliniken finanzieren. Aber wir haben auf Grundlage dieser Anträge sehr gewinnbringende Fachgespräche und Expertenanhörungen im Gesundheitsausschuss durchgeführt, in denen auch die Handlungsspielräume ausgelotet wurden. Auch befassen wir uns fraktionsübergreifend bereits seit Frühjahr 2022 im Rahmen einer Petition damit, welche Verbesserungen seitens der Politik möglich und nötig sind, um die Änderungen zur Versorgung von ME/CFS-Patient*innen im Gesundheitswesen anzustoßen. Zu der erwähnten Petition haben wir am 5. Juli 2023 im Petitionsausschuss den einstimmigen Beschluss gefasst, diese zur Berücksichtigung an die Bundesregierung zu überweisen.Im Koalitionsvertrag haben wir uns – wie schon erwähnt - bereits auf die Verbesserung der Forschung und Versorgung verständigt. Auch wenn es keinen Gesetzestext oder Koalitionsantrag gibt, der den Namen „ME/CFS“ trägt, so haben wir als Ampel doch seit Beginn der Legislatur eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und Versorgung gezielt zu verbessern:•Zur Forschungsförderung insbesondere zum Krankheitsbild selbst sowie zu Medikamenten und Therapien sind Haushaltsmittel in Höhe von 22,5 Millionen Euro in 2022 und 2023 bereitgestellt worden und werden bereits bewirtschaftet. Im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern gibt es damit hier eine recht hohe Bewilligungsquote von Forschungsanträgen (etwa 1/3 der Summe aller beim BMBF eingegangenen Anträge wurden bewilligt). Dazu gehört beispielweise eine klinische Studie an der Charité Berlin, in deren Rahmen aktuell die Wirksamkeit von vier Gruppen von bereits bekannten Medikamenten für die Behandlung von Patient*innen mit Long-Covid und Chronischem Fatigue Syndrom erforscht wird. Dies ist sehr wichtig, um potenzielle Behandlungsmöglichkeiten auf verschiedene Wirkstoffe auszuweiten. Es ist sehr erfreulich, dass sich laut den Angaben von Frau Prof. Scheibenboden ein Forschungsnetzwerk aufbaut und damit die von der Ampel eingeführte Forschungsförderung Wirkung entfaltet. Wir Grüne setzen uns weiterhin dafür ein, dass auch für 2024 und die Folgejahre weitere Mittel über das Forschungsetat des BMBF bereitgestellt werden, damit zumindest die laufende und bereits bewährte Forschung im Rahmen der Nationalen Klinischen Studiengruppe die nötige Planungssicherheit für die nächsten Jahre hat. •Außerdem wird ab 2024 das BMG 20 Millionen Euro aus dem eigenen Budget zur Erforschung der Versorgung von Betroffenen von Long-Covid in Deutschland zur Verfügung stellen. Ergänzt werden diese Mittel durch weitere 20 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds für Forschungsprojekte. Da ME/CFS auch infolge einer Covid-Infektion auftreten kann, kommen diese Maßnahmen natürlich auch den ME/CFS-Betroffenen zu Gute. •Ein ganz zentrales Anliegen von uns Grünen ist es, gemeinsam mit den Ampel-Partner*innen die Versorgungssituation durch Spezialambulanzen zu verbessern, damit mehr Menschen schneller eine Diagnose bekommen, aufgrund derer sie adäquat behandelt werden können. Dazu wurde nun der Gemeinsame Bundesausschuss, der die inhaltlichen Vorgaben der gesundheitlichen Versorgung macht, im Rahmen des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes von uns per Gesetz beauftragt. Er muss bis Ende 2023 eine Richtlinie für die interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik von Long-Covid und Krankheitsbildern mit starken Erschöpfungs-Zuständen wie etwa ME/CFS erarbeiten. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen
Therapieangebot gesichert werden muss. Zudem wurde eine Telefonhotline für Betroffene eingerichtet, um den Betroffenen einen ersten Anlaufpunkt zu geben und sie über bereits bestehende Versorgungsangebote adäquat zu informieren und zu beraten. Eine erste Anlaufstelle stellt auch die neu eingerichtete Webseite (https://www.bmg-longcovid.de/service) des BMG dar, die aktuelle Informationen zu Long Covid und Post-Covid, aber auch ME/CFS, bündelt und neben einer Liste an aktuellen Beratungs- und Unterstützungsangeboten auch mehrsprachige Informationen sowie telefonische Beratung für Erkrankte und Ärzt*innen anbietet. •Außerdem freue ich mich besonders auf den Runden Tisch, der im Herbst 2023 einrichtet wird. In regelmäßigen Treffen werden Vertreter*innen aus der Wissenschaft, Betroffenenorganisation, Ärzteschaft, den Krankenkassen sowie aus der Politik die zusammenhängenden Themen Long-Covid, Post-Covid, Post-Vac sowie ME/CFS intensiv diskutieren und Handlungsmöglichkeiten ausloten, um die Versorgung zu verbessern. •Darüber hinaus sind wir bemüht, die politische und wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema anzuregen, um die Erkrankung bekannter zu machen. Zu diesem Zweck haben wir als Ampel und als Grüne Fraktion bereits verschiedene Veranstaltungen organisiert. Neben dem von der Ampelkoalition organisierten Fachgespräch vom 6. Juli 2022 führen wir auch in unseren Wahlkreisen Gespräche. Am 31. Mai 2023 habe ich beispielsweise an einem von den Grünen in Hamburg organisierten Fachgespräch mit Krankenkassen und Krankenhausgesellschaft teilgenommen. Dieses alles sind sehr wichtige Maßnahmen, die ihre Wirkung teilweise erst mit der Zeit zeigen werden. Denn die Erforschung des Krankheitsbildes und insbesondere die Entwicklung von Medikamenten und Therapiemethoden brauchen eine gewisse Zeit, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Und auch als Politik können wir leider immer nur verschiedene Stellschrauben in Gesetzesvorhaben, in Haushaltsberatungen oder in unserer Öffentlichkeitsarbeit drehen, aber natürlich leider keine Heilung versprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Sven-Christian Kindler