Frage an Sven-Christian Kindler von axel s. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Mit Sorge beobachte ich die landwirtschaftlichen Flächen in der Umgebung meines Wohnortes und Niedersachsen überhaupt. Jedes Jahr kommen neue Biogasanlagen dazu, wodurch der Bedarf an Mais natürlich stetig wächst. Früher hatten wir viele Grünflächen, die ungenutzt waren. Ideal für Brachvögel, Kibitze (die man seitdem nicht mehr hört) Lärchen, Störche, Maulwürfe, Mäusebussarde, Turmfalken und und und. Natürlich auch für die Artenvielfalt der Insekten und nicht zuletzt die Optik (man konnte weit hinein ins Land schauen mit Wiesenflächen)
Jetzt schaut man zunehmend nur auf Maisfelder so weit das Auge reicht. Auf dem Weg von Zeven zu meinem Wohnort über Hatzte fast überall!!
Angeblich soll das CO2 neutral sein.
Ich sehe das so:
Ackerbestellung( pflügen, Aussaat, Ernte) kostet Sprit für Trecker und Häcksler. Außerdem hin und herfahren der Ware. Ist das in der Bilanz dabei?
Später Gülleverteilung des Bioabfalls auf Äckern.
Abgesehen dieser "Co2 Bilanz" werden die Flächen ausgelaugt, Unmengen Dünger braucht man (Ebenfalls natürlich vorher hergestellt - CO2 Bilanz?)
Die Artenvielfalt leidet und so weiter. Schlimm auch die E 10 Durchsetzung, was immer mehr dazu führt, dass Regenwälder dafür verschwinden müssen, da der Bedarf weltweit niemals mit vorhandenen Ackerflächen bestritten werden kann.
Wie stehen Sie und Ihre Partei zu Biogas und E 10?
Warum wird Windgas nicht gefördert? (Eine Initiative von greenpeace - Gasherstellung in Kraftwerken über Windenergie) Ein wirklich CO2 neutrales Biogas!! Ideal auch als Speicher der Energie bei weniger oder gar keinem Wind, da dann das Biogaskraftwerk einspringen kann
Über eine detaillierte Antwort wäre ich als Grünen Wähler sehr dankbar
Mit freundlichem Gruß
Axel Schmidt
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihren Brief, in dem Sie Ihrer Sorge darüber Ausdruck verleihen, dass das Landschaftsbild Niedersachsens durch den massiven Ausbau von Biogasanlagen zunehmend von Maiswüsten dominiert wird. Auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betrachten diese Entwicklungen mit Sorge.
Niedersachsen ist bundesweiter Spitzenreiter bei Biogasanlagen. Über 1.300 Anlagen produzieren 600 Megawatt Strom. Tendenz steigend. Allein in den letzten zwei Jahren wurden über 400 neue Anlagen gebaut. Da diese überwiegend als sogenannte Nawaro-Anlagen – also auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden – wächst ebenso auch der Energiepflanzenhunger.
Der Maisanbau in Niedersachsen hat in der Folge im Jahr 2011 mit zusätzlich 83.000 ha – das ist mehr als die gesamte in Niedersachsen ökologisch bewirtschaftete Fläche – neue Rekordhöhen erzielt. Mit insgesamt 615.000 ha Maisanbau ist mittlerweile ein Drittel der Ackerfläche und ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Mais bewachsen.
Diese massive Vermaisung und die daraus resultierende Entstehung von Monokulturen ist vor allem das Ergebnis politischer Fehlsteuerung der Großen Koalition in der Biogasförderung. Die Entscheidung im Jahre 2009 den so genannten Mais-Bonus für nachwachsende Rohstoffe (Nawaro-Bonus) auf 7 Cent weiter zu erhöhen und die Förderung insgesamt stärker auf Großanlagen auszurichten, hat ebenso dazu beigetragen, wie die Zulassung von artenarmen Monokulturen. Die weitreichenden Folgen für das Landschaftsbild, die Umwelt und die biologische Vielfalt haben Sie hinreichend geschildert. Sie haben auch recht damit, dass die Gewinnung von pflanzlicher Biomasse selbst nicht immer CO2 neutral zu haben ist. Im Gegenteil: wird pflanzliche Biomasse unter hohem Einsatz von Pestiziden und mineralischen Stickstoffdüngern in Monokulturen angebaut oder wird zur Erschließung zusätzlicher Flächen Grünland umgebrochen, verschlechtert sich die Klimabilanz deutlich.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind aber überzeugt, dass der Nutzung von Bioenergie eine wichtige Rolle in der Klima- und Energiepolitik zukommen muss und diese für den Erfolg der Energiewende unverzichtbar ist. Der vollständige Umbau unserer Energieversorgung und unseres Verkehr auf erneuerbare Energien, weg vom Öl, wird nur gelingen, wenn wir mittelfristig auch auf den Einsatz von Bioenergien bzw. Biotreibstoffen setzen. Mit einem Anteil von 70 Prozent ist Biomasse global derzeit der wichtigste Energieträger unter den erneuerbaren Energien. Der Einsatz von Biomasse im Energiebereich hat erhebliche klimapolitische und ökonomische Vorteile. Er senkt die Freisetzung von CO2 jährlich um über 50 Millionen Tonnen. Der Löwenanteil davon entfällt mit 36 Millionen Tonnen auf den Wärmebereich. Heute arbeiten 122.000 Menschen in der Bioenergiebranche, die allein im Jahr 2010 ein Investitionsvolumen von rund 2,7 Milliarden Euro in Deutschland erreicht hat. Bioenergien haben ihre Stärke als speicherbare Energieform, die sowohl als Strom, Wärme oder Treibstoff nutzbar gemacht werden kann. Im Strombereich können Biomasse-Kraftwerke maßgeblich zur Bereitstellung von Regelenergie und zum Lastausgleich beitragen, da sie schnell zugeschaltet werden können, wenn es Windflauten gibt und die Sonne nicht scheint. Gleichzeitig sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN davon überzeugt, dass Bioenergien unter den erneuerbaren Energien eine Sonderstellung einnehmen, da ihre Erzeugung limitiert ist und zudem ihre Klimabilanz von Herkunft und Erzeugung abhängt. Der Einsatz von Bioenergien ist ihm Rahmen einer Klimaschutzstrategie folglich kein Selbstläufer, er ergibt nur Sinn, wenn sichergestellt wird, dass die Klimabilanz über die gesamte Erzeugungskette deutlich positiv ist und ökologische, wirtschaftliche und soziale Schäden vermieden werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenden sich deshalb mit Nachdruck gegen die gegenwärtigen Fehlentwicklungen in diesem Bereich, die derzeit die ökologischen und sozialen Probleme sogar verschärfen. Für uns hat die Produktion und gerechte Verteilung von Lebensmitteln, um die Ernährung der Menschen sicher zu stellen, Vorrang vor allen Nutzungsinteressen. Zudem muss sich die Förderung von Bioenergien klar und eindeutig an ihrem Nutzen für den Klima-, Umwelt- und Naturschutz ausrichten. So fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass beim Anbau von Energiepflanzen folgende Kriterien eingehalten werden: mindestens eine viergliedrige Fruchtfolge auf den landwirtschaftlichen Flächen, kein Einsatz von Agrogentechnik, Einhaltung von mindestens 10% ökologisch wertvoller Strukturelemente (Blühstreifen, Hecken, Biotope etc.), Verbot des Grünlandumbruchs und die Begrenzung des Energiepflanzenanbaus auf nicht mehr als 20% der landwirtschaftlichen Nutzfläche in einer Region.
Für diese Maßnahmen ist eine Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) notwendig. Viele Boni im jetzigen EEG steuern in die falsche Richtung. So fördert der Nawaro-Bonus den Maisanbau gegenüber der Reststoffnutzung und der Güllebonus macht die industrielle Massentierhaltung rentabel. Fachliche Vorgaben zur landwirtschaftlichen Praxis und zu Wärmekonzepten sind unzureichend und werden nicht eingehalten. Statt falsche Anreize für den Maisanbau zu setzen, fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Förderinstrumente im EEG, die auf eine umwelt-, natur- und tiergerechte Landnutzung ausgerichtet sind. Wir wollen die Veränderungen am EEG (Anhebung des Nawaro-Bonus) durch die große Koalition zurücknehmen und durch eine an klaren ökologischen Kriterien orientierte Förderung ersetzen. Neben der degressiv gestalteten Grundvergütung (kleinere Anlagen bekommen mehr als größere) wollen wir in Zukunft nur noch Vergütungen für eine besonders ökologische Erzeugung und für einen geringen Anteil von Energienutzpflanzen an der Gesamtbiogasproduktion geben. So wird die Verwendung von Grünschnitt, Wildpflanzen und Abfallstoffen lukrativer. Die Gesamtförderung für Neuanlagen ist an den energie- und umweltpolitischen Ausbauzielen sowie dem Anteil an der Landnutzung jährlich neu zu berechnen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen zudem auf mehr Effizienz bei Biogasanlagen und die Stärkung kleiner und mittlerer Anlagen gegenüber Großanlagen. Neuanlagen müssen grundsätzlich Strom und Wärme nutzen, Kraft-Wärme gekoppelt sein sowie ein vernünftiges Wärmekonzept vorlegen. Die Nutzung der Wärme vor Ort muss grundsätzlich Vorrang vor der energieintensiven Einspeisung haben. Und auch hier sollten Bioenergien in erster Linie als flexible Speicherenergien zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn Wind- und Solarstrom den Bedarf nicht decken können.
Solange es keine technischen Alternativen gibt oder ein grundlegend verändertes Mobilitätskonzept greift, werden wir biogene Kraftstoffe auch für den Verkehr brauchen. Dies gilt perspektivisch nicht mehr für den Pkw-Verkehr, für den mit der Elektrifizierung des Automobils eine technische Lösung heranwächst, die es erlaubt Wind- und Sonnenstrom für die Mobilität zu nutzen. Wo es technisch möglich ist, ziehen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Nutzung erneuerbarer Energien für den Verkehr ganz klar den Biokraftstoffen vor. Dies ergibt sich schon ans dem Vergleich der Flächenproduktivität: Für die durchschnittliche Jahresfahrleistung von 12.000 km mit Elektroantrieb reicht rechnerisch eine Fotovoltaikanlage mit 20 Quadratmeter Fläche. Für die gleiche Fahrleistung mit einem Verbrennungsmotor müssen zum Beispiel 5000 Quadratmeter mit Raps angebaut werden.
Aus heutiger Sicht gibt es aber absehbar keine Möglichkeit, z.B. die Schifffahrt und den Luftverkehr zu elektrifizieren. Auch der Lkw-Verkehr auf der Langstrecke ist aus heutiger Sicht technisch vom Verbrennungsmotor abhängig. Zwar wird ein Teil des Straßengüterverkehrs auf die Schiene verlegbar sein, ein Großteil der Transportwege wird aber mittelfristig selbst bei einer ambitionierten Verlagerungspolitik immer noch auf der Straße verbleiben. Auch bei den biogenen Kraftstoffen muss selbstverständlich sichergestellt werden, dass Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Es sind insbesondere die Kraftstoffe – auch steuerlich – zu bevorzugen, die im gesamten Lebenszyklus die geringsten Treibhausgase verursachen.
In Ihrem Brief sprechen Sie außerdem Windgas an, das zum Beispiel Greenpeace Energy seinen Kunden seit Oktober 2011 unter dem Namen „proWindgas“ anbietet. Das Verfahren zur Erzeugung von Windstrom und sein Einsatz als Kraftstoff ist leider mit hohen Wirkungsgradverlusten verbunden, bietet aber energie- und klimapolitisch viele Vorteile. So können Biomethan und Windgas in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden, das auch als langfristiger Energiespeicher für den unstetig erzeugten Wind- und Sonnenstrom dienen kann und damit die Speicherproblematik entlastet. Wird zudem, wie im Falle der Pilotanlage im Emsland, abgeschiedenes CO2 aus einer Biogasanlage verwendet, ergibt sich für das in den Pflanzen gebundene Treibhausgas sogar eine doppelte Nutzung, bevor es wieder in die Atmosphäre entweicht. Wenn diese Technik funktioniert, muss sich zeigen, ob sich dies auch unter Energieeffizienz- sowie Kostengesichtspunkten in größerem Umfang als sinnvoll erweist. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben jedenfalls in unserem Fraktionsbeschluss vom September 2011 eine Forschungsförderung für die Herstellung von Windgas gefordert. Diesen Beschluss, der sich vollumfänglich mit der stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse befasst finden Sie hier: http://www.gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse@de.pdf
Herzliche Grüße
Sven-Christian Kindler