Frage an Sven-Christian Kindler von Michael B. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Kindler,
als Student beschäftigen mich zur Zeit viele Probleme, insb. Existenzängste, ein hoher Schuldenberg und der permanente Leistungsdruck an der Universität.
Die GRÜNEN haben es in der letzten Legislaturperiode, aber auch zuvor schwer gehabt, bildungspolitische Fragen und Problematiken der jungen Menschen (BAFöG, Studiengebühren, Studienkredite zu günstigen Zinsen, Einführung des G8-Gymnasiums, Zentralabitur) wirklich sachgerecht zu beantworten.
Meine Frage an Sie, Herr Kindler:
Befürworten Sie eine Grundgesetzänderung, die die Bildungshoheit der Länder auflöst und an den Bund überträgt, sodass wirklich von "einheitlichen Bildungsstandards" gesprochen werden kann? Wenn nein, mit welcher Begründung wollen Sie ein Schüler- und Studentenfeindlichen "Staat" unterstützen?
Wie rechtfertigen Sie die Tatsache, dass Millionen Staatsbürgschaften für die Wirtschaft bereitgestellt werden, jedoch die "bildungspolitische Misere" nicht ablässt - eher schlimmer wird?
Wie wollen Sie die Studienbedingungen an den niedersächischen und an den bundesweiten Universitäten verbessern?
Was würden Sie eher bevorzugen: einen hochverschuldeten Staat, der weiter dafür sorgt, dass miserable Manager die Unternehmen weiter führen und junge, qualifizierte Akademiker auf der Straße ohne Aussicht auf einen Job stehen lässt ODER einen Staat, der auf Bildungg setzt, qualifizierter deutsche Studierende in die Unternehmn schickt, damit "Perversitäten" wie LemansBrothers, HypoRealEstate und Co. gar nicht erst passieren?
Viele Fragen, die mich zur Zeit sehr bewegen. Ich hoffe, Sie können wenigstens einige beantworten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit
MfG
M. Bottke
Sehr geehrter Herr Bottke,
danke für Ihre Fragen und Ihr Interesse.
Ich möchte zunächst betonen, dass auch ich die Entwicklungen im deutschen Bildungssystem in den letzten Jahren mit Sorge verfolge und wie Sie auch ein vehementer Gegner von Studiengebühren bin. Zu ihren Fragen:
Fast alle Probleme, die Sie ansprechen, zum Beispiel das Zentralabitur, G8 oder die Studiengebühren, gehören in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Diese Fehlentwicklungen können deshalb nicht den Grünen bzw. der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung anlasten. Die rot-grüne Bundesregierung hatte per Bundesgesetzt sogar Studiengebühren verboten. Leider hat das Bundesverfassungsgericht wegen der Gesetzgebungskompetenz der Länder dieses Verbot aufgehoben. Selbstverständlich muss auch der Bund seine Pflicht tun, wo er zuständig ist, und sich mehr für Bildung einsetzen. Beispielsweise ist der aktuelle BAföG-Satz viel zu gering und reicht bei weitem nicht zur Deckung des Lebensunterhaltes, geschweige denn der Studiengebühren, aus.
Sicherlich könnte die Bundesregierung mehr bewirken, wenn sie im Bereich Bildung mehr Kompetenzen hätte. Dafür wäre die von Ihnen angesprochene Grundgesetzänderung erforderlich. Das ist allerdings momentan relativ schwierig, da das eine 2/3-Mehrheit sowohl im Bundestag und im Bundesrat erfordern würde und erst im Rahmen der Föderalismusreform zusätzliche Kompetenzen auf die Länder übertragen wurden. Grundsätzlich bin ich allerdings dafür den Bund bei der Entscheidung über die Bildungspolitik mehr Kompetenz zu geben. Der bildungspolitische Flickenteppich ist angesichts der großen Probleme im Bildungssektor und der vielfältigen Herausforderungen nicht mehr hinnehmbar.
Darüber hinaus sprechen Sie die Staatsbürgschaften für Unternehmen und Banken an. Beim Finanzsektor war und bin ich dafür mit Staatshilfen die Banken zu stabilisieren, um schlimmere gesamtwirtschaftliche Auswirkungen zu verhindern. Allerdings hat die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) schwere Fehler begangen. Die Banken wurden nicht verpflichtet die Hilfen anzunehmen, dementsprechend verschwanden die faulen Kredite nicht vom Markt, das Misstrauen unter den Banken bei der Kreditvergabe blieb und der Interbankenhandel kam nicht in Schwung. Weiterhin halte ich es für richtig, wenn der Staat sich schon beteiligt, auch als Staat als Eigentümer aktiv zu werden, um dann auch Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen. Die Gewinne, welche die Banken dann später erwirtschaften, müssen wieder dem Staatshaushalt zufließen.
Staatshilfen für Unternehmen aus anderen Branchen sehe ich noch kritischer. Auch hier muss der Staat, wenn er sich beteiligt, als Eigentümer auftreten und dann die Geschäftspolitik ändern, um das Unternehmen sozialökologisch auszurichten. Diese Rettung muss in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden.
Investitionen während der jetzigen Krise müssen unbedingt nachhaltig sein. Wenn der Staat sich schon in solchen Höhen verschuldet, dann dürfen die Interessen der jungen Generation dabei nicht außer Acht gelassen werden. Es ist unfassbar, wie viel Geld auf einmal da ist, wenn es um die Interessen großer Unternehmen geht- für eine Verbesserung der Bildungssituation reicht es dann aber nicht mehr. Immer wieder betonen Politiker_innen, dass Bildung unsere wichtigste Ressource ist. Dann müssen diesen Lippenbekenntnissen nur endlich auch Taten, also im Klartext: Investitionen, folgen.
Ich hoffe, Ihre Fragen hiermit ausreichend beantwortet zu haben.
Für Ihr Studium wünsche ich Ihnen alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen,
Sven-Christian Kindler