Frage an Stephanie Hentschel von Bernhard M. bezüglich Soziale Sicherung
Ehrenamtliche kümmern sich um Menschen, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind. Doch das ist leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts dieser unwürdigen Zustände in unserem so reichen Land !
Nehmen Sie Armut in der Bevölkerung wahr oder sehen Sie das anders?
Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?
Sehr geehrter Herr Meisel,
zunächst einmal vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich kann dazu nur sagen, dass ich aus eigener Erfahrung weiß, was relative Armut bedeutet. Mein Mann und ich haben sehr früh, noch zu Studienzeiten ein Kind bekommen, natürlich ungeplant. Trotz elterlicher Unterstützung und Jobben in den Semesterferien, lebten wir deutlich unter dem damals geltenden Sozialhilfesatz (Studenten sind nicht Sozialhilfeberechtigt). Auch das Stipendium welches ich bekam, lag deutlich unter dem, was uns als Sozialhilfe zugestanden hätte. So kenne ich die Kartoffel- und Nudelküche bestens, selbstverständlich weiß ich auch das Angebot von Kirchenbasaren und Flohmärkten zu schätzen, habe auf Kino, Urlaub und Kultur viele Jahre verzichtet. Allerdings war uns beiden damals klar, dass es irgendwann vermutlich besser werden würde, wir hatten die Hoffnung auf bessere Zeiten - auf ein Ende der finanziellen Durststrecke. Deshalb ist es wichtig Perspektiven zu schaffen die Betroffenen helfen, Armut zu überwinden - bei jungen Menschen ist dies vor allem eine gute Bildung.
Ich schreibe von relativer Armut, da man zugestehen muss, dass in diesem Land die Solidargemeinschaft versucht die Armut auszugleichen - das ist in den meisten anderen Ländern dieser Erde nicht der Fall. Es gibt viele, viele Menschen die wesentlich schlechter gestellt sind, als die Menschen, die bei uns unter die Armutsdefinition fallen. Bei uns geht es weniger um das nackte Überleben, aber doch um eine Teilhabearmut. Deshalb ist und kann ehrenamtliche Arbeit ja überhaupt so erfolgreich dazu beitragen, mangelnde Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu kompensieren.
Allerdings macht mir Sorgen, dass es zunehmend schlechter gelingt, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen angemessen zu integrieren, dies hängt auch mit dem Auseinanderbrechen der Familienstrukturen zusammen. Selbst in einem Viertel wie der Messestadt führt dies zur Isolierung, je schlechter der Gesundheitszustand eines Betroffenen ist, desto schwerer fällt ihm die Integration in das Stadtviertel. Er kann viele Angebote einfach nicht wahrnehmen. Von der schlechter werdenden gesundheitlichen Versorgung ganz zu schweigen. Hier müssen zum einen die Leistungen des Sozialgesetzbuches angemessen modifiziert werden und auch die Gesundheitspolitik muss endlich ernsthaft mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen diskutiert werden. Sie darf kein Spielfeld von Lobbyisten bleiben!
Zudem ist mit weiter zunehmender Altersarmut zu rechnen, gerade wo aktuell immer mehr Menschen, kein gerechtes Lohnentgelt mehr bekommen und immer mehr Menschen in Teilzeit und 400.- Euro Jobs beschäftigt sind, wird sich diese zukünftig enorm verstärken. Auch die neuen Scheidungsgesetzte, die keine Rücksicht mehr darauf nehmen, dass in der Vergangenheit meist die Frauen Jahrzehnte lange Erziehungsarbeit geleistet haben, entlassen diese oftmals ohne ausreichende finanzielle Ansprüche in das „neue“ Leben. Ohne ausreichende berufliche Praxis auf dem Arbeitsmarkt schlechtbezahlt oder sogar für die Arbeitgeber oft zu alt für eine Neueinstellung. Hier ist die Politik gefragt, die richtigen Stellschrauben in der Arbeitsmarktpolitik zu drehen.
Die Möglichkeiten Armut durch weitere finanzielle Hilfe des Staates generell auszugleichen dürften annähernd ausgeschöpft sein. Der Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland liegt bei etwa 2 Billion Euro, d.h. wir leben heute bereits auf Kosten der nächsten Generationen. Dies trotz eines gewaltigen Steueraufkommens und trotzdem wir einer der Staaten mit der höchsten Abgabelast auf Einkommen sind. Viele Kommunen in Deutschland stehen finanziell mit dem Rücken bereits an der Wand - was zur Schließung weiterer öffentlicher Einrichtungen wie z.B. Bibliotheken und Schwimmbäder führen wird oder auch Einsparungen im geförderten Wohnungsbau bedeuten kann. Dies bedeutet weitere Einschränkungen in der Lebensqualität für viele Menschen in diesem Land. Ich habe kein Patentrezept und behaupte auch nicht, dass sich unsere gesellschaftlichen Probleme leicht lösen lassen, aber ich bin der Überzeugung, dass sich mit einer fairen Sachpolitik, einem ausgereiften Problembewusstsein und daraus resultierenden Ideen vieles verbessern lässt.
Mit freundlichen Grüßen
Stephanie Hentschel