Frage an Stephan Brandner von Alexander L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brandner,
ich erlaube mir mal folgende Frage an Sie zu stellen:
Wie stehen Sie zum Artikel 146 Grundgesetz? Laut meiner Ansicht ist dieser Artikel mit der Wiedervereinigung so geändert worden, dass er bindend wurde. Denn liest man den Wortlaut vom Gesetz noch vorher, also bevor es zur Wiedervereinigung kam, steht es anders formuliert ziemlich genauso da, für den Fall, dass wir ein wiedervereintes Deutschland haben.
Weiterhin möchte ich Ihnen die Frage stellen, ob laut einer Aussage meines Berufsschullehrers dafür zutreffend ist, dass dieser Artikel sozusagen durch den Artikel 23 "außer Kraft" gesetzt.
Ich teile diese Auffassung in dem Falle nicht, da die man sich ja mit dem Artikel 146 zu einer Verfassung verpflichtet hat. Das Grundgesetz ist nur als Übergang gedacht. Sehe ich das falsch?
Mit freundlichen Grüßen
A.L.
Sehr geehrter Herr Ludwig,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich schließe mich bezüglich des Art.146 GG der herrschenden Meinung an.
Mit der auf der Grundlage des Art. 23 S. 2 aF, also unter Aufrechterhaltung des Geltungsanspruchs des GG durch räumliche Ausdehnung seines Geltungsbereichs, möglichen Wiedervereinigung wurde Art. 146 aF zunächst obsolet. Im Zuge eines politischen Kompromisses um den „richtigen“ Weg zur Herstellung der deutschen Einheit wurde die Bestimmung dennoch 1990 in veränderter Form beibehalten.
Dass betreffender Artikel trotz der durch den Beitritt der DDR gem. Art. 23 S. 2 aF vollendeten Wiedervereinigung nicht als hinfällig betrachtet und gestrichen worden ist, liegt meiner Information zufolge vor allem an der damaligen innenpolitischen Situation: Während die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP die Herstellung der Einheit über Art. 23 aF favorisierte und Art. 146 aF streichen wollte, bevorzugten große Teile der SPD eine Wiedervereinigung über Art. 146 aF. Der schließlich gefundene Kompromiss sah die Zustimmung der SPD-Fraktion zum Einigungsvertrag und dem darin vorgesehenen Beitritt der DDR nach Art. 23 S. 2 aF vor, während man im Gegenzug darauf verzichtete, durch Streichung des Art. 146 diesen Weg originärer gesamtdeutscher Verfassungsgebung endgültig zu versperren (vgl. Dreier/Dreier Rn. 12 mwN; Schwarz JA 2015, 721).
Zwischen den Wegen des Art. 23 S. 2 aF und Art. 146 aF hat wohl aber auch keine Wahlfreiheit bestanden. Vielmehr mussten die auf das GG verpflichteten bundesdeutschen Staatsorgane vorrangig den Weg des Art. 23 S. 2 aF beschreiten, weil dieser die Fortgeltung des GG sicherte. Nur wenn die „anderen Teile Deutschlands“ diesen Weg nicht mitzugehen bereit gewesen wären, hätte die Option des Art. 146 aF mobilisiert werden dürfen und müssen.
Nichtsdestotrotz enthält der Art. 146 die Option für eine Verfassungsneuschöpfung, jedoch keine Pflicht dazu. Eine Verfassungsneuschöpfung ist jedoch eine Option für die Zukunft, die meiner Ansicht nach zwar interessant ist, aber auch jede Menge Gefahren mit sich bringt. Daher stehen wir zu unserem Grundgesetz und sollten hier lieber einige Neuerungen voran bringen, die wir als AfD-Fraktion immer wieder benennen.
Beste Grüße
Stephan Brandner