Frage an Steffen Bockhahn von Maria H. bezüglich Wirtschaft
Hallo Herr Bockhahn,
ich weiß, dass Sie für einen anderen Wahlkreis gewählt wurden - allerdings halte ich Sie persönlich für kompetenter, die folgende Frage zu beantworten.
Welche Rolle sehen Sie für Mecklenburg innerhalb der gesamtdeutschen wirtschaftlichen Entwicklung?
Wäre Mecklenburg nicht das beste Beispiel dafür, dass allein die Entwicklung des Dienstleistungssektors völlig nutzlos für die Strukturförderung einer Region ist, wenn diese nicht auf einem Einkommen aus erstem und zweiten Wirtschaftssektor fußt und gerade nicht durch eine globalisierte Produktion kompensiert werden kann?
Was würde von Mecklenburg übrig bleiben, wenn es den Länderfinfanzausgleich nicht geben würde?
Ist es in diesem Missverhältnis des erwirtschafteten Einkommens nicht geboten, dass von staatlicher Seite (auf kommunaler Ebene) unternehmerisch gehandelt wird? Ich persönlich fände das einen lohnenswerten Feldversuch. Aber wie unternehmerisch tauglich sind unsere Politiker (selbst die Kanzlerin muss das glauben, was Ackermann und Obermann ihr erzählen)?
Es gibt eben in Mecklenburg keine adäquate private Investition. Und die wenigen, die es tun, knebeln die kommunale Politik, wenn sie diese nicht sogar für eigene Interessen missbrauchen.
Wäre das bedingungslose Grundeinkommen eine mögliche Alternative?
Was halten Sie von Regionalem Geld?
Ich weiß, dass ich Ihnen hier eine Menge Fragen aufbürde. Bitte lassen Sie sich Zeit bei der Beantwortung, denn es ist mit sehr wichtig. Ich habe für mich als Grundübel und Ursache der Krise die Akkumulation von Finanzkapital entdeckt. Wie schaffen wir es also, das wahre Kapital - das Humankapital - wieder zu fördern? Ich sehe da eine Reihe von Chancen für Mecklenburg, wenn wir uns nicht von Nutznießern des jetzigen Irrwegs permanent erzählen lassen würden, dass so wie es ist, einem Naturgesetz folgt.
Ach so ... Welchen Fachbereich sehen Sie für sich den interessantesten?
In sonniger Wertschätzung
Maria Hengstermann
Sehr geehrte Frau Hengstermann,
Mecklenburg-Vorpommern ist Bestandteil des europäischen Binnenmarktes. Unter dem kann man in der Betrachtung des Ist-Zustandes nicht ansetzen. Dabei unterscheiden wir uns massiv von industrialisierten Regionen und sind zweifelsfrei ein ländlich geprägter Raum, in dem insbesondere Dienstleistung und Nahrungsmittelproduktion im Zentrum stehen. Die wenigen industriellen Ansiedlungen sind ohne Frage nicht das Rückgrat unserer Wirtschaft.
Eine dauerhaft stabile Wirtschaft ohne industrielle Kerne ist auf Dauer jedoch nicht leistungsfähig. Diese müssen gar nicht zwingend vor allem exportorientiert arbeiten. Sie erzeugen jedoch eine Wertschöpfung, die für den gesamten Wirtschaftskreislauf erforderlich ist. Potenziale gibt es dafür. So hat die Nahrungsmittelwirtschaft noch gewaltige Reserven. Unfassbar große Mengen der Ernte auf den Feldern des Landes werden weit weg transportiert, bevor sie dann zu Nahrungsmitteln oder Grundstoffen für die weitere Verarbeitung veredelt werden. Darüber hinaus gibt es natürlich im Bereich der erneuerbaren Energien vor allem bei Biomasse und Windkraft große Möglichkeiten für die einheimische Wirtschaft.
Nicht zu vergessen ist der wichtigste Rohstoff, den es überhaupt gibt, die Menschen. Wir müssen deutlich stärker die Möglichkeiten der Universitäten und Fachhochschulen, der Forschungseinrichtungen und der High-Tech Unternehmen nutzen. Dieser wird deutlich zu wenig gefördert, bietet aber erhebliche Potenziale.
Fakt ist, dass der Staat sich davor scheut, sich an neuen Unternehmen zu beteiligen. Womit er bei Rüstungsunternehmen wie Airbus oder "Goldgruben" wie VW kein Problem hat, will er bei innovativen Unternehmen nichts zu tun haben. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass staatliche Fonds sich an der Gründung neuer Unternehmen mit Perspektive beteiligen. Erwirtschaften diese Gewinne, steht neues Kapital zur Förderung weiterer Projekte zur Verfügung. Warum nicht? Die Banken kommen ihrer Pflicht zur Sicherstellung eines ausreichenden Kreditangebotes schon lange nicht mehr nach. Also muss Abhilfe geschaffen werden.
Selbstverständlich bin ich dafür, dass ein ganz wesentlicher Teil des Wirtschaftskreislaufes dem Markt entzogen und der öffentlichen Eigentümerschaft und Kontrolle unterworfen wird. Die öffentliche Daseinsvorsorge, also Wohnen, Wasser, Wärme, Energie, Gesundheit, Bildung und Personenverkehr gehören nicht auf den Markt. Hier steht der Staat in der Pflicht und am Ende zählen nicht zuerst Profite sondern flächendeckende und bezahlbare Versorgung für alle.
Richtig ist: M-V ist nachwievor Nehmerland im Länderfinanzausgleich. Der Betrag belief sich im Jahr 2012 auf 452 Mio. Euro. Richtig ist aber auch: Seit dem Jahr 2006 hat das Land keine neuen Schulden aufgenommen, sondern konnte in einigen Jahren Schulden - insgesamt 440 Mio. Euro - durch Haushaltsüberschüsse abbauen. Auch dank der hervorragenden und besonnen Arbeit der rot-roten Landesregierung bis zum Jahr 2006, also mit Beteiligung der PDS. Durch eine wenig intelligente Haushaltspolitik zahlt M-V nun aber schon seit ein paar Jahren Gelder zurück, statt damit den Kommunen unter die Arme zu greifen, die völlig überschuldet sind.
Hinzu kommen so genannte Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen im Rahmen des Solidarpaktes II in Höhe von 1,204 Mrd. Euro in 2011 (macht 10,5 Prozent des Gesamtmittel aus diesem Topf). Angesichts eines Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in Höhe von 76,8 Prozent des Bundesdurchschnitts und einer Arbeitslosenquote von aktuell 10,7 Prozent (Juli 2013) sind diese Bundesmittel weiter richtig und auch nötig. Hier zeigt sich wieder das Fehlen industrieller Kerne. Die Menschen hier sind ja nicht faul. Aber die Wertschöpfung einer Kellnerin ist rein rechnerisch geringer, als die einer Ingenieurin bei BMW.
Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) finde ich interessant und ich stehe dem Projekt offen gegenüber. Leider muss ich zugeben, dass mich bisher noch niemand wirklich von der Finanzierbarkeit überzeugen konnte. Viele haben es schon versucht, aber Haushälter sind da eher vorsichtig.
Auch für die Idee des regionalen Geldes ist mir durchaus sympathisch, ist damit doch die Grundidee einer solidarischen Ökonomie verbunden. Bezogen auf eine überschaubare, örtliche Ausdehnung kann es zu intensiver nachbarschaftlicher und gegenseitiger Hilfe führen. Es kann zu einer Stärkung der individuellen Verantwortung für soziale und regionale Strukturen führen. Regionale Wirtschaftskreisläufe können angeregt werden, die Menschen können sich jenseits der normalen Erwerbsarbeit entfalten und tätig werden. Es stärkt allgemein die Verbundenheit mit der Region und schwächt die Abhängigkeit vom "herkömmlichen" Geld und kann die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erhöhen. Als Ergänzung sehe ich das sehr positiv, ein Ersatz für eine funktionierende Makroökonomie wird es aber nicht funktionieren. Seine Einführung darf nicht den Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung oder den Abbau des Sozialstaates rechtfertigen.
Mit freundlichen Grüßen
Steffen Bockhahn