Frage an Stefan Urbat von Daniel S. bezüglich Umwelt
Hallo Herr Urbat,
auf die Frage von Herrn Wagner haben Sie interessant geantwortet.
Ich stimme in den meisten Punkten mit ihnen überein.
Es war für mich fast klar, die Piratenpartei bei der Bundestagswahl zu wählen.
Allerdings wird auf die Frage "Die Laufzeit der Atomkraftwerke soll verlängert werden." im Wahl-o-mat mit "Nein" geantwortet.
Wie kam diese Festlegung zu stande? Im Parteiprogramm steht dazu leider nichts.
Ich kann mir nicht erklären, wieso wir Kernkraftwerke abschalten (und für abbauen) und gleichzeitig neue Kohlekraftwerke bauen sollten.
Es erscheint mir sowohl Finanziell als auch von der Energiebilanz in meinen Augen unverständlich.
Ich würde gerne ihre Meinung dazu hören.
Hallo Herr Sommer,
immerhin entspricht die Mehrheitsmeinung meiner Parteikollegen meiner eigenen an dieser Stelle (so sind unsere Antworten auf Fragen entstanden, die nicht im Programm stehen: Abstimmung unter den Listen- und Direktkandidaten), was nicht immer der Fall war, wie Sie sich vorstellen können.
Ich fasse nochmal die wichtigsten Punkte in meinen Augen hier zusammen, die für ein Festhalten an dem ursprünglichen, von Prof. Ernst-Ulrich von Weizsäcker als damaligen Bundestagsabgeordneten und Energie- und Klimaexperten terminierten Ausstiegsplan für der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung sprechen:
1. die Endlagerfrage ist noch immer nicht zufriedenstellend gelöst, da Gorleben eben doch nicht so optimal geeignet ist, wie lange Zeit offiziell behauptet wurde. Unter diesen Umständen ist von weiterer unnötiger Produktion von Atommüll eher abzusehen, da es das Endlagerproblem quantitativ verschärft.
2. der Anteil der Kernenergie an der Primärenergieerzeugung beträgt z.Zt. nur ca. 12%. Dieser Anteil ist also relativ niedrig, der weitgehend Kohlendioxid-neutral erzeugt wird (die Herstellung der Kraftwerke verursacht einen gewissen, allerdings gemessen am Energieoutput entgegen unsinniger Behauptungen mancher Gegner geringen Kohlendioxidausstoss): es erscheint im Rahmen des Zeitplans durchaus realistisch, diesen Anteil durch regenerative Energieen zu ersetzen bzw. durch Energieeinsparung gleich einmal abzubauen.
3. die Abschaltung von Kohlekraftwerken bzw. die Beendigung des Neubaus solcher erscheint aus demselben Grund realistisch: durch Energieeinsparung lässt sich insbesondere die Grundlast reduzieren, so dass typische Grundlastkraftwerke wie Kohle- und Kernkraftwerke in diesem Bereich an Bedeutung verlieren. Der verbleibende Rest lässt sich z.B. weitgehend durch bestehende Wasserkraftwerke abdecken, so dass wir nicht einmal zwingend auf Energiespeichertechniken (Wasserstoff, andere Gase oder Flüssigkeiten) angewiesen sind.
Sollten sich wirklich durchdachte Endlagermöglichkeiten ausreichender Kapazität bieten, neue Reaktorlinien mit hoher Sicherheit und geringem Proliferationsrisiko (bitte v.a. ohne hochangereichertes Uran 235, wie bei Hochtemperaturreaktoren wie in Uentrop-Schmehausen) machbar werden, dann bin ich durchaus gewillt, meine Meinung hierzu zu ändern. Längerfristig würde ich aber dennoch eher auf hoffentlich machbare Kernfusionsreaktoren setzen, die gleichermaßen eine längere Energieversorgungszeit als auch geringere Probleme mit radioaktiven Abfällen versprechen. Letzteres ist allerdings noch Gegenstand teurer internationaler Forschung, also noch nicht spruchreif.
Noch eine Anmerkung zum Schluß: die Einführung von Brutreaktoren erscheint mir politisch nicht durchsetzbar, da das anfallende Plutonium als Rohprodukt für neue Brennstäbe recht heikel (chemisch toxisch und recht hohe Radioaktivität) ist und zu einem massiven Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit geführt hat (ich halte es für weniger bedenklich als hochangereichertes Uran 235, s.o., was aber komischerweise in der Öffentlichkeit als Gefahr hinsichtlich Kernwaffenherstellung viel weniger bekannt ist, obwohl es weltweit durch bestimmte Reaktortypen in nicht geringen Mengen im Einsatz ist). Das begrenzt natürlich stärker die Zeit, in der Kernspaltungsreaktoren Energie mit den vorhandenen Uranvorräten liefern könn(t)en.
Mit freundlichen Grüßen,
Dipl.-Phys. Stefan Urbat