Sind Sie für oder gegen Atomkraft? Was sind Ihre Argumente?
Sehr geehrte Frau S.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Atomkraft. Insbesondere in den letzten Jahren ist dieses Thema stark in den Vordergrund gerückt. Die Entscheidung, die vorübergehend am Netz gehaltenen Kernkraftwerke inmitten einer Energiekrise vom Netz zu nehmen, halte ich nach wie vor für falsch und möchte dies nachfolgend begründen.
Durch die Stilllegung erhöhen wir die Abhängigkeit von Energie aus dem Ausland. Wir müssen unter anderem Atomstrom aus Frankreich importieren. Zudem steigen die Strompreise für Verbraucher und Industrie, denn mehrere Studien belegen den preisstabilisierenden Effekt eines Weiterbetriebs. Es ist darüber hinaus fraglich, ob Deutschland ohne Versorgungsprobleme durch die anstehenden Winter kommen wird. Die Lage an den internationalen Energiemärkten kann sich schnell ändern. Haben ist besser als brauchen – jede Kilowattstunde zählt. Vor allem aber war die Entscheidung schlecht für das Klima: bis zu 30 Mio. Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr ließen sich vermeiden, wenn die Kernkraftwerke länger laufen würden. Bereits seit dem letzten Jahr verstromt Deutschland wieder mehr Kohle: Ihr Anteil ist vom dritten Quartal 2021 zum dritten Quartal 2022 um 13,3 Prozent gestiegen, der Gesamtanteil von Kohlestrom an der Stromerzeugung lag damit bei 36,3 Prozent. Unter dem Strich hätte ich es also für erforderlich gehalten, die drei letzten Kernkraftwerke vorübergehend am Netz zu belassen, zumal diese die hohen technischen Voraussetzungen mehr als erfüllt hätten.
Technologieoffenheit bedeutet, Wege zum Fortschritt nicht zu verbauen. Deutschland und insbesondere auch Baden-Württemberg lebt von seiner hervorragenden Forschung, den Erfindungen und Entwicklungen von Wissenschaftlern. Daher muss der Staat auch die Rahmenbedingungen dafür verbessern, wie Atom-Abfälle sicher und sauber abgebaut werden können. Vergessen werden darf aber auch nicht, dass es weltweit erhebliche Anstrengungen gibt, die Nutzung der Kernkraft weiterzuentwickeln, um Risiken der Nutzung zu minimieren und anfallende Abfälle zu reduzieren. Deutschland darf hier nicht abseitsstehen. Zwei Beispiele: Small Modular Reactors (SMR) verringern durch die Aufteilung großer Kernkraftwerke in viele kleinere das Risiko nuklearer Unfälle erheblich und zeichnen sich durch eine hohe Flexibilität aus. Dual-Fluid-Reaktoren sind eine Weiterentwicklung der bisherigen Kernkraftwerke. Der Abfall kann als Brennstoff genutzt werden, wodurch sich dessen Lagerdauer von 200.000 Jahren auf wenige hundert reduziert. Der Verzicht auf Brennstäbe erhöht Sicherheit und Effizienz.Für die Zukunft ist es natürlich unser Ziel, unseren Bürgerinnen und Bürgern sowie unseren Unternehmen eine klimaneutrale, sichere und zuverlässige Energieversorgung zu garantieren. Der Schlüssel dazu liegt in einer technologieoffenen Herangehensweise. Welche Rolle die Atomkraft dabei einnehmen wird, lässt sich derzeit nicht exakt vorhersagen. Es gibt sowohl Vorteile als auch Nachteile dieser Technologie, die sich im Laufe der Zeit auch im Vergleich zu anderen Energiequellen unterschiedlich stark gewichten werden. Ich bin daher der Ansicht, dass wir die Beurteilungskompetenz zur Kernenergietechnologie durch Wissenschaft und Forschung in Deutschland unbedingt erhalten müssen.
Für eine klimaneutrale Energieversorgung von Gesellschaft und Wirtschaft können wir nicht nur auf Elektrifizierung setzen, etwa bei Autos, Heizungen und in der Industrie. Vor allem aber wird die Bezahlbarkeit von Strom zu einer wichtigen Frage, ob die Energiewende gelingt. Es braucht ein sofortiges Ende der preistreibenden und ausbauhemmenden Erlösabschöpfung bei der Energieerzeugung. Zumindest befristet benötigt es die Absenkung des Umsatzsteuersatzes für Stromlieferungen auf 7 Prozent. Die Absenkung der Stromsteuer muss als Beitrag für eine Entlastung, besonders auch für Wirtschaft und Mittelstand, gesehen werden. Schließlich bedarf es einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für Direktlieferverträge für die Industrie (sogenannte PPAs, Power Purchase Agreements).
Als CDU Baden-Württemberg setzen wir auf dem Weg zur Klimaneutralität auf innovative Konzepte und auf markt-basierte Instrumente: Mit Emissionshandel, mit sozialem Ausgleich, mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien, mit Energieeffizienz und mit einer Kreislaufwirtschaft. Zudem ist unser Ziel, Investitionen in Innovationen für saubere Technologien freizusetzen. Zum Energiemix gehören für uns alle Erneuerbaren Energien sowie die vorübergehende Nutzung der Kernkraft – wir können auf diese Option derzeit nicht verzichten. Abschließend wird es eine der größten Herausforderungen sein, die Netze weiterzuentwickeln. In Baden-Württemberg ist das die Fortschreibung des Netzentwicklungsplans.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Teufel