Frage an Stefan Rebmann von Alexander Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Rebmann,
meine Frage an Sie ist eigentlich stellvertretend für alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
Mit Urteil vom 3. Juli 2008 urteilte das BVerfG, dass § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 des Bundeswahlgesetzes verfassungswidrig sind, soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann.
Mit dem heutigen Tage (30. Juni 2011) endet die vom BVerfG gesetze Frist zur Neuregelung.
Ich bitte um Stellungnahme, wie es sein kann, dass der Deutsche Bundestag eine verbindliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes missachtet? Sie mögen einwenden, dass die Verhandlungen schwierig, langwierig sind. Das die Neuregelung des Bundeswahlrechtes nicht trivial ist. Dem stimme ich zu.
Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Deutsche Bundestag ab dem morgigen Tag eine verbindliche Vorgabe des BVerfG missachtet. Und es geht hier nicht um Kleinigkeiten; es geht um einen Grundpfeiler unserer Demokratie -- Wahlen! Wenn unsere Abgeordneten die Verfassung und das BVerfG in dieser entscheidenden Frage missachten, wie kann ich meinen Abgeordneten noch trauen, wenn diese mal wieder nach ELENA, Vorratsdatenspeicherung, Einschränkung meiner Bürgerrechte, Einsatz der BW im Inneren etc. pp. schreien?
Was wäre denn, würde sich der Bundestag am Montag auflösen? Hätte nicht der nächste Bundestag -- gewählt nach einem verfassungswidrigen Wahlrecht -- ein Legitimationsproblem?
Ich appelliere dringend an Sie und Ihre Kollegen -- gleich welcher Partei: Setzen Sie sich zusammen und reformieren das Wahlrecht so bald als möglich gemäß den Vorgaben des BVerfG.
Bei diesem Thema darf es nicht darum gehen, ob und welche Partei einen Nachteil aus dem Wegfall der Überhangmandate zieht! Es geht hier nicht um Parteien, es geht um unsere Demokratie!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Zschach,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zu diesem in der Tat wichtigen Thema.
Erlauben Sie mir, zunächst festzuhalten, dass ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich begrüße. Eine Situation, wie wir Sie 2005 in Dresden zumindest theoretisch hatten, ist nicht hinnehmbar. Ebenso gilt aber, dass keine Regierungsmehrheit geben darf, die ihre Mehrheit allein auf den Sondervorteil der Überhangmandate stützt. Überhangmandate verzerren bereits heute den Wählerwillen erheblich: obwohl die CDU bei der Bundestagswahl 2009 in Baden-Württemberg rund 400.000 Stimmen verloren hat, hat sie dort zehn Mandate hinzugewonnen. Gerade bei knappen Ergebnissen verbunden mit einer sinkenden Wahlbeteiligung drohen ohne Reform des Wahlrechts in Zukunft weitere Überhangmandate.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits im Mai 2009 darauf hingewiesen, dass eine Korrektur, die die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, auch kurzfristig umsetzbar wäre http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,47310,00.html . Wir wollten also bereits vor der Wahl zum Deutschen Bundestag vom September 2009 eine mit dem Grundgesetz kompatible Regelung finden. Seitdem haben wir die Regierung mehrfach aufgefordert, rechtzeitig einen Gesetzesentwurf vorzulegen und wir stehen selbstverständlich auch weiterhin für Gespräche zur Verfügung.
Die unterschiedlichen Modelle der einzelnen Fraktionen im Deutschen Bundestag und die damit verbundenen Interessen sind offen gesagt nachvollziehbar, können diese Verzögerung aber nicht entschuldigen. In der Vergangenheit gab es bei Reformen des Wahlrechts immer einen breiten Konsens. Insofern ist das Vorgehen der CDU, entsprechende Gespräche zunächst hinauszuzögern und dann abzubrechen, um den Sonderinteressen ihres Koalitionspartners entgegen zu kommen, für mich nicht nachvollziehbar. Zumal der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Jahr 2005 Überhangmandate selbst als „rechtlich bedenklich“ und „nicht wünschenswert“ bezeichnet hat http://www.focus.de/politik/deutschland/wahlrecht-verzerrte-verhaeltnisse_aid_211549.html Dieses Vorgehen zeugt m.E. leider von mangelndem Respekt vor dem Grundgesetz und hat die jetzige Situation, in der wir im Falle einer Auflösung des Bundestags ein erhebliches Legitimationsproblem hätten, maßgeblich verursacht.
Es bleibt zu hoffen, dass aus dieser theoretischen keine reale Staatskrise wird.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Rebmann MdB