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Sönke Rix
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Frage von Jens F. •

Frage an Sönke Rix von Jens F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Rix,

vielen Dank für Ihre Antwort. Bewusst provokant, bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 21.5.07: Sie stimmen also verfassungswidrigen Gesetzen zu, nur weil es sich um die Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt?
Ich erlaube mir den Hinweis auf das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages WD 3 - 282/06, das ebenfalls aussagt, dass die Umsetzung durch nationales Recht erhebliche Bedenken auslöst. Es mag sein, dass die Bundesrepublik verpflichtet ist, die Richtlinie umzusetzen, doch kann niemand Abgeordnete zwingen, dem zuzustimmen. Der Anwaltstag hat heute eine scharfe Resolution hierzu verabschiedet. Selbst der Präsident des BVerfG hat sich in einem Interview kritisch geäussert.
Wegen der Vielzahl der kritischen Stimmen und der Tatsache, dass allein das Minsterium, aus dem der Entwurf stammt, die Verfasungsmässigkeit bejaht, sollten Sie als Abgeordneter selbst entscheiden, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht. Nur auf die EU zu verweisen, ist aber für mich zu wenig und widerspricht dem Artikel 38 I GG, der Sie als Abgeodneter ja gerade von Weisungen frei stellen.
Bezüglich ihrer Ausführungen "In der Praxis bedeutet das, dass die Unternehmen, [...] keine wesentlich längeren Speicherungen vornehmen werden [..]": Die Telekom etwa speichert zur Zeit bei Flatrate-Kunden die Daten für 7 Tage. Von 7 Tage auf 6 Monate umzusteigen dürfte wohl "wesentlich" sein.
Das Urteil 65, 1 ist nur bedingt hilfreich, wobei der von Ihnen zitierte Satz daraus nur ein sehr kleiner Auschnitt ist: Es hat 5 amtliche Leitsätze. Ich zitiere daraus:
"Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist."

mfg
Ferner

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Ferner,

weder Sie, noch der Anwaltstag können ein Gesetz für verfassungswidrig erklären. Die einzige Instanz, die die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes abschließend feststellen kann, ist das Bundesverfassungsgericht. Es wird tätig, wenn ein Gesetz verabschiedet wurde und eine klagebefugte Partei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hat. Ich vermute, dass Ihnen dieser Weg bekannt ist.

Im Übrigen können Sie davon ausgehen, dass ich verantwortungsvoll mit meinem Mandat als Abgeordneter umgehe und nicht blindlings einem Gesetz zustimme. Ihre Bedenken und Anregungen ziehe ich dabei ebenso ins Kalkül, wie die der vielen anderen Bürgerinnen und Bürger, die mir geschrieben haben. Auch das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes ist mir bekannt. Dabei suche ich mir allerdings nicht nur die Passagen heraus, die mir in den Kram passen, sondern berücksichtige alles. Zum Beispiel auch dies aus der Zusammenfassung:

(…) „Sollte das Umsetzungsgesetz verfassungswidrig bzw. eine verfassungskonforme Umsetzung generell nicht möglich sein, ändert dies jedoch nichts an der *weiter bestehenden europarechtlichen Pflicht zur Umsetzung *der Richtlinie. Eine Abänderung des Inhalts der Richtlinie kann *nur auf europäischer *Ebene erlangt werden.

Rechtschutz gegen die Richtlinie kann vor dem *EuGH*, der bereits mit ihr befasst ist, erlangt werden. Gegen das Umsetzungsgesetz kann vor dem *Bundesverfassungsgericht *mittels Verfassungsbeschwerde, abstrakter Normenkontrolle und konkreter Normenkontrolle vorgegangen werden. Sollten sich in einem solchen Verfahren Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Richtlinie ergeben, ist die entsprechende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.“ (…)

Das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes kommt im Detail zu der Einschätzung:

(…) „Aus der Verbindlichkeit des Richtlinienziels i.V.m. Art. 10 EGV folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten“. Erfüllen die nationalen Umsetzungsmaßnahmen diese Anforderungen nicht oder bleibt der nationale Gesetzgeber untätig, so kann es sowohl zu Schadensersatzpflichten gegenüber geschädigten Bürgern als auch zu einem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission nach Art. 226 EGV (bzw. auf Antrag eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 227 EGV) gegen den säumigen Mitgliedstaat kommen.

Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf innerstaatliche Gründe berufen, um eine mangelhafte oder unterlassene Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht zu rechtfertigen. Die Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie besteht vielmehr unabhängig von innerstaatlichen Hindernissen. Ist die Umsetzung des Richtlinienziels trotz Ausschöpfung des in der Richtlinie naturgemäß gegebenen Umsetzungsspielraums innerstaatlich nicht möglich, ohne gegen die nationale Verfassung zu verstoßen, so ist das nationale Umsetzungsgesetz verfassungswidrig. In Deutschland könnte die Nichtigkeit eines solchen Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt werden10. Auf Gemeinschaftsebene bliebe die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie allerdings bestehen. Denn Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Richtlinie ist allein Gemeinschafts-, nicht jedoch nationales (Verfassungs-)Recht. Die Folge ist, dass sich der Mitgliedstaat, der sich an der innerstaatlichen Umsetzung aufgrund seiner nationalen Verfassung gehindert sieht, gemeinschaftsrechtswidrig verhält und mit Sanktionen seitens der Kommission im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens zu rechnen hat. Als Ausweg bliebe dem betreffenden Staat dann die Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH - deren Erfolg sich jedoch allein nach Gemeinschaftsrecht richtet - oder das Bemühen, auf politischem Wege auf die Rücknahme oder Abwandlung der Richtlinie in den entsprechenden Gremien der Gemeinschaft hinzuwirken. Notfalls muss eine Verfassungsänderung vorgenommen werden, wenn die Umsetzung dem Grundgesetz entgegensteht.“ (…)

Soviel zu den juristischen Spitzfindigkeiten, in die ich mich nicht weiter vertiefen möchte, weil ich – wie ich eingangs bereits erwähnt habe – kein Jurist bin. Da werde ich mich ganz auf meine fachkundigen Kollegen verlassen, den vorliegenden Gesetzentwurf politisch bewerten und dann eine abschließende Entscheidung treffen, wenn der Gesetzentwurf zur Entscheidung vorliegt.

Zur Zeit befindet er sich zur Beratung im Bundesrat. Mit einer Stellungnahme wird zum 08. Juni 2007 gerechnet. Erst danach findet die 1. Lesung im Bundestag statt, die mit einer Überweisung an den zuständigen Ausschuss endet. Ich kann mir gut vorstellen, dass es dann auch noch zu einer Anhörung zu diesem Thema im Ausschuss kommt. Geplant ist, die Richtlinie bis Ende des Jahres umzusetzen und zum 01.01.2008 in Kraft treten zu lassen.

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