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Simon Lissner
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Frage von Thomas K. •

Frage an Simon Lissner von Thomas K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

besser: Kriegspolitik

Lieber Simon,

von den grünen Honoratioren wird immer behauptet, die Brd müsse in Afghanistan unter Einsatz der Bundeswehr die Menschenrechte, vor allem die Frauenrechte, den demokratischen Aufbau verteidigen, unterstützen, herstellen, sichern usw. Tom Königs war dort auch schon als Un-Verantwortlicher.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass man mit der Bundeswehr nur schwerlich Frauenrechte, Menschenrechte usw. sichern, herstellen, umstellen usw kann.

Mal abgesehen von der traurigen Tatsache, dass sich díe innergesellschaftlich-feudalistisch-patrichalischen Verhältnisse in Afghanistan vielleicht mit der Situation in Europa vor und während des dreißigjährigen Krieges vergleichen lassen (zänkische Männer-Stammes-Gesellschaft) und mal abgesehen von der Tatsache, dass sich in der Vergangenheit schon die kolonialen Briten und die machtsichernden Sowjets deshalb geschlagen von dort zurückziehen mussten und deshalb vollkommen unklar ist, wie man diese rückständige Gesellschaft, die in ihrer überwiegenden Mehrheit die dortigen patriachalischen pp. Verhältnisse mitträgt, ummodeln will.

Wie lautet die Ausstiegsszenario der Grünen aus Afghanistan? Gibt es bei den maßgeblichen Personen der Grünen irgendeine Vorstellung wann und wie man da, wenn die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, Frieden schaffen mit immer mehr Waffen (durch die Bundeswehr) deutlich geworden ist, sich zurückziehen könnte?

Wie bewerten die Grünen Zapateros Politik der Zurücknahme der spanischen Truppen aus dem Irak (ich weiß, die Grünen sind nie im Irak einmarschiert), aus der Einsicht, dass der Krieg dort ein schwerer Fehler war?

Herzliche Grüße, auch an Deinen Landesverband und die Bundesgrünen

Thomas Kieseritzky

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Thomas,

vielen Dank für deine Anfrage. Die Grüne Partei hat hinsichtlich Afghanistan im September 2007 einen außerordentlichen Parteitag durchgeführt und einen Beschluss gefasst, der aktueller denn je ist. der Beschluss enthält eine ausführliche Antwort auf die Frage nach einem Ausstiegsszenario. Als Mitautor des Beschlusses teile ich diese Positionen dort. Du findest den Beschluss unter
http://simonlissner.de/wp-content/upload/197532.militaerische_eskalation_ist_keine_loesu-1.pdf

Tragischerweise, befürchte ich, hat die Wirklichkeit die seinerzeitige Einschätzung noch übertroffen. Das Zeitfenster für einen Strategiewechsel hin zu Frieden und Aufbau schließt sich rasant. Die westlichen Verbündeten Karsais nehmen jede terroristische Provokation derer, die aus religiösem Wahn und/oder kriminellen Motiven handeln, auf, um im Zuge einer Strategie, die ich "Erzwingung eines Sieg-Friedens" nennen möchte, die Kriegshandlungen zu eskalieren, statt Mittel für den Frieden zu erhöhen und den Dialog zu suchen, bzw. Verhandlungen anzustreben, letzteres muss man vor allem gegenüber einem Feind, wenn man denn wirklich Krieg vermeiden möchte. Naturgemäß ist letzteres schwierig.

Teile der westlichen Militärführung scheinen unterdessen ernste Zweifel daran zu haben, diesen "Sieg-Frieden" erzwingen zu können. So hört man, dass sich der Einfluss "der Taliban" in verschiedenen Regionen den militärischen Offensiven zum Trotz, "stabilisiert". Diese ernste Warnung westlicher Militärexperten setzt bei mir Bilder frei: Die Flucht der US-Amerikaner aus Saigon. Nach dieser Flucht kam der Frieden für Vietnam und das Land – immer noch unter dem Krieg leidend, arbeitet seither an seiner Zukunft, es hat eine Perspektive, auch wenn wir nicht mit allem Übereinstimmen, was die vietnamesische politische Führung macht. Hingegen, in der Folge des Vietnamkrieges, sahen wir auch das verbrecherische Pol-Pot Regime, das Leid und Elend über die Bevölkerung brachte. Auch dies war eine Hinterlassenschaft des Krieges in Asien. Die Strategie der westlichen Mächte in Afghanistan lässt letzteres wahrscheinlicher scheinen, als eine glückliche Zukunft, besonders für Afghanistans Frauen.

Vorschläge zu einem Ausstiegsszenario sind ebenso ignoriert worden, wie die Petersberger Beschlüsse nur halbherzig umgesetzt wurden. Zahlreiche Mitglieder der Grünen Partei haben 2007 einen außerordentlichen Parteitag gefordert, weil sich die kriegerische Eskalation bereits abzeichnete. In dem dort gefassten Beschluss haben wir ein "Petersberg II" vorgeschlagen. In dem Beschluss findest du eine Reihe von Vorschlägen, was getan werden sollte. Die Bundesregierung setzt demgegenüber auf "Bündnistreue" und schickt Panzer nach Afghanistan. Sie erweitert die Erlaubnis zum Waffengebrauch. Sie verstrickt die Bundeswehr immer mehr in Kriegshandlungen. Ein Strategiewechsel ist erkennbar, aber es ist ein anderer, als der von uns geforderte. Die aktuelle Strategie ist m.E. völkerrechtlich durch nichts mehr gedeckt: Mehr bewaffnete Gewalt, Wahlen mit vorgehaltener Waffe, Eskalation zum Krieg.

Wir stehen auch vor der Situation, die Hoffnungen der Menschen in Afghanistan bitter enttäuscht zu haben. Statt zu helfen, erleben wir Jahr für Jahr die, bei uns kaum zu Kenntnis genommene, humanitäre Katastrophe im Winter. Wir schicken Kriegsgerät, aber lassen die Menschen erfrieren und verhungern. Die Hilfen zum Aufbau kann man guten Gewissens nicht anders bezeichnen: Es ist gerade der Tropfen auf den heißen Stein, nur geeignet, unser eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen. Die Ausgaben für Kriegsgerät und Kriegspersonal erreichen ein Vielfaches. Besonders peinlich für die Europäer: Die nichtmilitärischen Leistungen der USA übertreffen die von Europa aufgewendeten Summen bei weitem.

Jede in religiösem Wahn oder aus kriminellen Motiven begangene Mordtat wird zum Anlass genommen, die "militärische Entscheidung" zu suchen. Die Täter werden samt und sonders unter dem kriegsbedingten, politischen Kampfbegriff "Taliban" subsumiert, ohne die unterschiedlichen Interessen zu differenzieren. Dass sich nunmehr die "Taliban" anscheinend wie die Fische im Wasser in der Bevölkerung bewegen, ruft – allerdings nur bei zahlreichen westlichen Beobachter/innen, Erstaunen hervor. Erstaunlich ist das aber nicht, weil es die Mensche, die Familien, die Zivilisten sind, die den horrenden Preis als sogenannte Kollateralschäden zahlen und, wie man erwarten kann, nicht mehr bereit sind, diesen zu zahlen.

Die Bundesregierung hat weder ein Konzept für den Frieden in Afghanistan, noch hat sie ein Konzept für einen Ausstieg. Stattdessen fabulieren Jung und Steinmeier davon, man werde wohl noch zehn Jahre – ja was eigentlich, Krieg dürfen wir es ja nicht nennen, führen und bleiben müssen. Das hat mehr mit einer Besetzung zu tun. Dieser Dilettantismus wird ein böses Ende nehmen, fürchte ich.

Du fragst nach der Position unserer Grünen Bundestagsfraktion. Als Mitinitiator und Mitautor des Beschlusses von 2007 komme ich nicht umhin festzustellen, dass ich mich im Dissens zu großen Teilen der aktuellen Bundestagsfraktion befinde, nicht aber zum Mehrheitsbeschluss der Partei. Nur 9 Abgeordnete haben der erneuten Ausweitung des Kriegseinsatzes mit Nein widersprochen. 30 haben dem Einsatz der AWACS zugestimmt. Diese 30 machen die Kritik der Grünen Partei am Einsatz, aus meiner Perspektive gesehen, zahnlos. Was soll eine Regierung schon von einer "Opposition" halten, die jede ihrer Schritte mehrheitlich absegnet?

Die 30 Abgeordneten können sich dabei nicht auf den Parteitagsbeschluß berufen. Sie berufen sich auf ihr Gewissen. Die Gewissensfreiheit ist ein hohes Gut.

Ich werde meine Anstrengungen intensivieren, und weiter zu überzeugen versuchen. In diesem Bemühen brauchen die Freundinnen und Freunde in der Partei und ich jede mögliche Unterstützung, und wir freuen uns über die Unterstützung.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Grüne Partei in dieser Frage eine Diskussion führt, welche unsere Gesellschaft insgesamt führen sollte. Die Gegner/innen dieses Krieges müssen sich in ihren Verbänden, Vereinen, Organisationen und politischen Parteien endlich wirksam und öffentlich zu Wort melden und für Bewegung sorgen, bevor der Horror und die Angst vernünftiges Denken völlig aufgefressen haben und das Sterben der Menschen in Afghanistan, ja auch der Soldat/innen, als "alternativlos" erscheint.

Grüße

Simon