Frage an Silvia Schmidt von Siegfried D. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Schmidt,
warum wird das BSG Urteil nicht umgesetzt?
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Dreise
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80.000 Ost-Rentner haben Anspruch auf höhere Bezüge
80.000 Rentner aus der ehemaligen DDR haben nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) Anspruch auf eine höhere Rente.
Zu Unrecht seien Ostdeutsche bei der Anrechnung von Unfallrenten auf die Altersrente Westdeutschen gegenüber benachteiligt worden, entschied das Kasseler Gericht. Der bei unfallverletzten Rentnern aus der DDR verwendete niedrigere Freibetrag sei nicht verfassungskonform, entschied das BSG. Die Ungleichbehandlung habe keine gesetzliche Grundlage. In den verhandelten Fällen ging es um monatliche Mehrbeträge von 20 bis 100 Euro. (AZ.: B 4 RA 13/05 R u.a.)
Das BSG hatte die Schlechterstellung der Ost-Rentner bei der Anrechnung von Unfallrenten bereits 2003 gekippt. (dpa)
Sehr geehrter Herr Dreise,
Für Ihre Anfrage danke ich Ihnen sehr herzlich. Im Folgenden möchte ich Ihnen dazu die Position der SPD-Bundestagsfraktion darstellen.
Nach § 93 Abs. 2 Nr. 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird bei der Anrechnung der Unfallrente ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt. Die Vorschrift bestimmt auch, dass sich der Freibetrag für Rentner aus den neuen Ländern auf die Höhe der Grundrente (Ost) beläuft. Der Deutsche Bundestag, also das nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für die Gesetzgebung zuständige Verfassungsorgan, hat diese seit 1992 geltende Regelung im Jahre 2004 gegen vereinzelte Gerichtsentscheidungen nochmals bestätigt und ausdrücklich klar gestellt, dass bis zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in Deutschland bei der Anrechnung der Unfallrente auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin unterschiedliche Freibeträge gelten.
Trotz dieser ausdrücklichen Festlegung des Gesetzgebers hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts insbesondere wegen rechtsförmlicher Bedenken nun abermals in einigen Fällen entschieden, dass für die Kläger seiner Ansicht nach in Ost und West die gleichen Freibeträge gelten sollten. Zu diesem Schluss gelangte der 4. Senat vor allem, weil er die Vorschrift des § 84a BVG über die Absenkung der Grundrente in den neuen Ländern für ungültig hielt. Damit setzte sich der 4. Senat nicht nur über den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers hinweg, sondern auch in Widerspruch zu dem für die Auslegung dieser Vorschrift in erster Linie zuständigen 9a. Senat, der mehrfach entschieden hat, dass nach § 84a BVG für die neuen Länder weiterhin eine abgesenkte Grundrente zu zahlen ist.
Um den Bedenken des 4. Senats Rechnung zu tragen und abschließende Klarheit für die Verwaltung, die Gerichte und die Bürger zu schaffen, hat der Gesetzgeber mit einem am 7. April 2006 beschlossenen Gesetz abermals eindeutig seinen Willen bekräftigt, an den unterschiedlichen Grundrenten und damit auch an den unterschiedlichen Freibeträgen festzuhalten ("Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet").
Die Anwendung unterschiedlicher Freibeträge führt auch nicht zu einer Benachteiligung der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern. Denn sowohl bei den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung als auch bei den Renten der gesetzlichen Unfallversicherung handelt es sich jeweils um so genannte Lohnersatzleistungen. In dem Maße, wie es Unterschiede im Lohnniveau zwischen den neuen und alten Ländern gibt, differieren deshalb auch die Höhen der den Lohn ersetzenden Renten. Im Jahre 1992 haben zum Beispiel die aus dem jeweiligen Durchschnittsentgelt der neuen Länder errechneten Renten der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung jeweils rund 57 bis 58 % der aus dem Durchschnittsentgelt der alten Länder errechneten Renten betragen. Gleichermaßen lag auch bei einem Zusammentreffen beider Renten und der daraus folgenden Anrechnung unter Beachtung des Freibetrags in Höhe der Grundrente (Ost) die Höhe der Gesamtleistung aus beiden Renten bei rund 58 %. Bei einer -- der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes folgenden -- Zugrundelegung der Freibeträge in Höhe der Grundrente (West) hätte im Jahr 1992 das Verhältnis der Gesamtleistung aus Renten der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung dagegen 69 % der entsprechenden Gesamtleistung der alten Länder betragen.
Der Abstand zwischen dem Freibetrag (Ost) und Freibetrag (West) ist nicht statisch, sondern verändert sich entsprechend der Entwicklung des aktuellen Rentenwerts (Ost) im Verhältnis zum aktuellen Rentenwert (West). Mit der fortschreitenden Angleichung der Lebensverhältnisse hat sich daher auch der Freibetrag (Ost) auf rund 88 % des Freibetrags (West) angenähert.
Bei Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts würde sich also die jeweils geltende Relation von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den alten und den neuen Ländern verschieben. In den Genuss dieser Privilegierung kämen nur diejenigen Versicherten, bei denen neben der Rente aus der Rentenversicherung noch eine Rente aus der Unfallversicherung zu leisten ist. Die Anwendung des § 84a BVG ist daher keine Benachteiligung der Rentnerinnen und Rentner aus den neuen Ländern, sondern vermeidet eine nicht begründbare Begünstigung von Rentnern, die Renten aus beiden Systemen erhalten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Silvia Schmidt, MdB