Frage an Sigrid Beer von Manfred S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Beer,
lt. einem Bericht der Ruhr Nachrichten vom 01.12.2011 teilen Sie bezüglich der geplanten Erhöhung der Bezüge der Landtagsabgeordneten um € 500,00 p.m. auf rd. € 10.700,00 p.m. mit, die Grunddiät bleibe gleich, weil die € 500,00 an das Versorgungswerk abgeführt würden. Zitat lt. Zeitung: "Kein Abgordneter bekommt durch diese Regelungmehr Geld oder höhere Altersbezüge als bisher".
Leider verstehe ich Ihre Aussagen nicht und bitte Sie deshalb um Beantwortung folgender Fragen:
Wofür werden die insgesamt rd. € 1,1 Mio, (Gesamtaufwand für alle Abgeordneten) verwendet und wer profitiert davon?
Was ist eine "notwendige Nachsteuerung"?
In der Hoffnung auf eine Antwort verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Manfred Seeger
Sehr geehrter Herr Seeger,
für Ihre E-Mail vom 05.12.2011 danke ich Ihnen. Sie wenden sich darin gegen die vorgeschlagene Änderung des Abgeordnetengesetzes.
Gerne möchte ich Ihnen dazu einige Erläuterungen geben, die in der verkürzten Presseberichterstattung nicht dargestellt wurden.
NRW hat Modellcharakter mit dem System seiner Regelung der Abgeordnetenbezüge. Denn in NRW zahlen die Abgeordneten selbst für ihre Altersversorgung ein, hier gibt es keinerlei steuerfreien Pauschalen, sondern alle Abgeordneten weisen jeden ausgegeben Cent nach, bestreiten das Wahlkreisbüro aus ihren Bezügen, kommen für ihr Arbeitsmaterial auf und versteuern wie Freiberuflerinnen und Freiberufler nach den geltenden Steuersätzen und Richtlinien.
Im Jahr 2005 hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen diese grundlegende Reform des Systems der Abgeordnetenbezüge einstimmig beschlossen. Diese Reform ist bisher bundesweit einmalig und gilt als vorbildlich, setzt sie doch den Vorschlag einer unabhängigen Kommission um. Sie erfüllt drei wesentliche Ziele:
• Transparenz der Abgeordnetenbezüge,
• Gleichstellung mit allen Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern und
• Sicherstellung einer dem Mandat angemessenen Bezahlung.
Um diese Ziele zu erreichen, wurden nicht nur die Privilegien steuerfreier Pauschalen konsequent abgeschafft und das volle Einkommen der Versteuerung unterworfen.
Zudem wurde die bisherige staatliche Altersversorgung abgelöst durch ein Versorgungswerk, in das die Abgeordneten Pflichtbeiträge zu leisten haben.
Damit wurde und wird eine eigenständige Altersversorgung durch die Abgeordneten selbst aufgebaut. Auch die Abgeordneten, die noch in der Phase der alten Regelungen in den Landtag kamen, zahlen jetzt die Pflichtbeiträge, obwohl sich ihre Ansprüche dadurch nicht weiter aufbauen. Sie profitieren in ihrer Altersversorgung auch nicht mehr von einer Erhöhung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk. Diese Solidarität von Abgeordneten, die schon lange dem Parlament angehören, sorgt somit zusätzlich für die Stabilisierung des Versorgungswerks.
Bei der Umsetzung der Diätenreform im Jahre 2005 waren zwei wesentliche Aspekte noch nicht abschließend zu beurteilen:
1. Wie können in einem transparenten Verfahren die Anpassungen der Bezüge erfolgen?
2. Reicht der verbindlich für das Versorgungswerk vorgesehene Betrag zur Sicherstellung einer angemessenen Altersversorgung aus?
Die erste Frage konnte bereits in der 14. Wahlperiode durch die Neufassung des § 15 AbgG NRW und einer absolut transparenten Aufschlüsselung der Veränderungsbeträge gelöst werden. Es wurde ein Index eingeführt, nach dem sich die Anpassungen berechnen. Maßstab für die Anpassung sind u.a. die jährlichen Veränderungsraten der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen, die Veränderungsrate der Renten, des Arbeitslosengeldes II und der Sozialhilfe sowie des Verbraucherpreisindexes.
Zur Beantwortung der zweiten Frage (Angemessenheit der Versorgung) mussten die Erfahrungen des Aufbaus des Versorgungswerks und der Entwicklung der Ergebnisse innerhalb der ersten Legislaturperiode des neuen Abgeordnetenrechts ausgewertet werden.
Dabei hat sich herausgestellt, dass der ursprünglich für die Altersvorsorge vorgesehene und unmittelbar an das Versorgungswerk weitergeleitete Betrag nicht zur Sicherung einer angemessenen Altersvorsorge ausreicht. Dies soll durch den vorliegenden Gesetzentwurf korrigiert werden, ohne dass die vorbildlichen Grundlagen der Diätenreform in Frage gestellt werden.
Das Achte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes sieht deshalb folgende Lösung vor:
• Der Anteil der Abgeordnetenbezüge, die der Finanzierung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung dient, wird separat ausgewiesen.
Dies dient der Transparenz und dem Nachweis, dass es nicht um die Erhöhung von aktuellen Bezügen geht, sondern die komplette Erhöhung zur Sicherung der Versorgung im Alter der Abgeordneten und deren Hinterbliebenen dient.
• Der Beitrag für die Altersvorsorge der Abgeordneten wird um 500 € im Monat erhöht – und diese Erhöhung unterliegt der steuerlichen Progression, woraus folgt:
Tatsächlich werden die Abgeordneten bei Annahme des Gesetzes je nach steuerlicher Einzelbetrachtung zwischen 60 und 200 Euro weniger netto im Monat haben.
Ein Kernelement der von allen Seiten gelobten Diätenreform von 2005 war, wie schon ausgeführt, der Wegfall der staatlichen Altersversorgung und deren Ersatz durch eine aus eigenen Beiträgen finanzierte Altersversorgung. Wie bei der Bemessung der Abgeordnetenbezüge ist bei der Altersvorsorge darauf zu achten, dass Abgeordnete angemessene Leistungen erhalten.
Dies ist auch verfassungsrechtlich geboten. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 48 Abs. 3, dass Abgeordnete einen Anspruch auf eine angemessene und ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben.
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Bezüge der Abgeordneten ihre Freiheit und Unabhängigkeit gewährleisten. Deshalb müssen die Bezüge eines Vollzeitparlamentariers eine Amtsführung gestatten, die der Bedeutung des Mandats entspricht.
Die Diätenreform in NRW hat die Abgeordneten aus der hohen staatlichen Versorgung in ein eigenständiges Versorgungswerk überführt. Die Altersbezüge müssen daher auch auf reduziertem Niveau mit der Versorgung anderer Parlamentarier vergleichbar bleiben.
Zur Beurteilung der Angemessenheit der Abgeordnetenbezüge dienen auch die folgenden Hinweise:
• Im Land NRW kommen auf einen/eine Abgeordnete/n je 98.745 Einwohner. Im Bundesvergleich der 16 Landtage ist das der größte Wert.
• Der gesamte Haushalt des Landtags kostet jeden Bürger in NRW pro Jahr 5,68 €, verglichen mit beispielsweise 8,46 € in Bayern oder 8,03 € in Hessen (im Vergleich der jeweiligen Haushalte von 2011). Nach der Erhöhung steigt der Betrag pro Bürger und Jahr bezogen auf Nordrhein-Westfalen um 6 Cent.
Eine weitere realistische Einordnung der Höhe der Beträge, sowohl des Grundbetrags, wie auch der Altersversorgung, bietet ein Vergleich mit kommunalen WahlbeamtInnen. Auch kommunale WahlbeamtInnen werden auf Zeit gewählt.
BürgermeisterInnen erhalten ab einer Gemeindegröße von 10.001 EinwohnerInnen eine Eingruppierung in die Besoldungsgruppe „B 3“. Beigeordnete (WahlbeamtInnen) werden ab 30.001 EinwohnerInnen ab Besoldungsgruppe „B 2“ (Grundbesoldung monatlich brutto: 6.380,77 €) eingruppiert.
Die DirektorInnen der Landschaftsverbände sind mit „B 8“ einzugruppieren, LandrätInnen bei „B 6“. Insgesamt können kommunale WahlbeamtInnen, je nach Aufgabenzuschnitt, bis zu „B 11“ eingruppiert werden und damit eine Grundbesoldung monatlich brutto in Höhe von 11.524,40 € erhalten.
Nach acht, respektive zehn Jahren steht kommunalen WahlbeamtInnen eine Altersversorgung in Höhe von 35 % (Mindestsatz) zu. Dies macht zum Beispiel für die o.g. Besoldung „B 2“ einen monatlichen Pensionsbetrag von 2.274 € aus.
Landtagsabgeordneten steht nach der jetzt vorgesehenen Gesetzesänderung nach 10 Jahren Zugehörigkeit zum Landtag NRW ab dem 65. Lebensjahr dementsprechend ein Betrag von 1.573 € pro Monat zu.
Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Die Anpassung der Pflichtbeiträge führt nicht zu einer zusätzlichen Belastung des Haushaltsplans des Landtags, sondern wird aufgrund von Minderausgaben an anderer Stelle des separaten Haushaltsplans des Landtags finanziert, also auch nicht aus den Fachhaushalten der Ministerien.
Das Gesetzgebungsverfahren stellt sicher, dass Raum für eine intensive Debatte im Landtag und in der Öffentlichkeit bleibt:
Nach der 1. Lesung des Gesetzentwurfs am 8. Dezember 2011 erfolgt eine Überweisung an den Hauptausschuss, in dem eine vertiefte Diskussion ermöglicht wird. Der Beschluss erfolgt wie bei allen Gesetzen erst in der zweiten oder gegebenenfalls in einer dritten Lesung im Plenum des Landtags Nordrhein-Westfalen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem, zugegebenermaßen sehr ausführlichen Brief die Zusammenhänge verständlich erläutern und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Sigrid Beer MdL