Frage an Siemtje Möller von Susanne B. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Möller,
mit neuen Gesetzen wollen Politiker mehr Organspender. Die potentiellen Spender sollen umfassend über die Organentnahme informiert werden. Wenn Sie unter http://www.faz.net/aktuell/politik/organspende-das-war-ein-katastrophaler-ausbau-von-ersatzteilen-12536010.html einen Erfahrungsbericht lesen, einer bei einer Organentnahme beteiligten Ärztin, werden Sie wahrscheinlich zu der in Kurzfassung wiedergebenen Einschätzung kommen:
"....Sie hatte einen Motorradunfall gehabt. Wahrscheinlich ist sie mit dem Kopf aufgeschlagen, so wurde eine Hirnblutung ausgelöst....die Leute, die kriegten erst mal gesagt: „Ihre Tochter ist hirntot...Der Oberarzt hat dann gesagt: „Ihrer Tochter nützen die Organe nichts mehr. Jemand anders kann mit den Organen aber weiterleben.... Wenn die Klinikangestellten in den Techniken der Gesprächsführung bewandert sind, dann kriegen sie jemand Unsicheren auch dazu, zuzustimmen...Sie müssen sich vorstellen: Sie haben da einen OP-Tisch mit einem Körper, der ist vom Hals bis knapp über dem Schambereich völlig geöffnet, ...Und dieser ausgeweidete Körper. Das hat mich sehr schockiert.
..Wenn einer der Angehörigen jemals so eine Explantation sehen würde und würde darüber sprechen oder es würde im Fernsehen gezeigt, dann gäbe es keine Einwilligungen mehr zur Organentnahme.
..Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand möchte, dass das mit seinem Körper passiert.
..ich habe beschlossen, dass ich kein Organspender sein möchte. Und konsequenterweise möchte ich auch keine Organe bekommen....".
Fragen:
Wenn Sie die potentiellen Spender über den Spendevorgang umfassend informieren, werden Sie keine freiwilligen Spender mehr haben. Wieso wollen Politiker ein Gesetz, dass dem in Ihrem Antrag formulierten Ziel offensichtlich zuwider läuft?
Werden Sie per Gesetz und Zwangsmaßnahmen, jeden zur Organ- und Gewebeentnahme heranziehen?
Sehr geehrte Frau B.,
ich danke Ihnen für Ihren Beitrag und die daran angeschlossenen Fragen.
Rund 10.000 Patientinnen und Patienten, darunter auch viele Kinder, brauchen in Deutschland ein Spenderorgan. Beispielsweise liegt die Wartezeit für eine Niere im Schnitt bei sechs Jahren. Dadurch sterben pro Jahr noch immer zu viele Menschen, die auf den Wartelisten vergeblich auf ein neues Organ warten. Daher brauchen wir eine Veränderung bei den rechtlichen Bedingungen für eine Organspende. Ansonsten werden wir nie ausreichende Spenderzahlen erreichen, denn das aktuelle System funktioniert leider nicht vollumfänglich.
Seit 2012 gilt die Entscheidungslösung, nach der nur die Personen als mögliche Spenderinnen und Spendern in Frage kommen, die einer Entnahme zustimmen. Seitdem ist die Zahl der Spenderinnen und Spendern jedoch deutlich zurückgegangen. Wenn Organe nur Menschen entnommen werden dürfen, die ihre Bereitschaft zuvor auf einem Spenderausweis dokumentiert haben, dann ist das scheinbar eine zu hohe Hürde und für einige auch ein zu großer Aufwand. Viele wollen spenden, haben aber keinen Ausweis. Die Nicht-Spende ist damit Routine.
Ich plädiere daher für die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende. Jede und jeder, der einer Organspende nicht ausdrücklich widerspricht und diese Entscheidung dokumentieren lässt, kommt dann grundsätzlich als Spender in Frage. So könnten viele Menschen vor dem Tod gerettet oder ihnen ein besseres Leben ermöglicht werden. Ich habe vollstes Verständnis für Ihre Entscheidung, dass Sie sich bewusst gegen eine Spende entscheiden und hoffe, dass Sie diese Entscheidung auch dokumentieren, denn die Widerspruchslösung soll die Menschen dazu bringen, sich überhaupt erst die Frage zu stellen, ob sie spenden wollen oder nicht. Das schuldet man Schwerstkranken, die auf ein Organ warten. Die hohe Zahl von Todesfällen unter Menschen, die auf der Warteliste stehen und nicht mehr rechtzeitig ein Organ bekommen, ist nicht hinnehmbar. Es gibt keine Pflicht zur Spende, jedoch die Verpflichtung, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und bei einer ablehnenden Haltung diese auch zu dokumentieren.
Die Gesellschaft darf verlangen, dass sich eine Bürgerin oder ein Bürger sehr bewusst mit der Frage auseinandersetzt, wie sie oder er zur Organspende steht. Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger, auch die, die sich bisher noch nie mit dem Thema beschäftigt haben, erwarten schließlich, im Fall der Fälle selbst ein Organ zu bekommen. Die Widerspruchslösung wird dieser Anspruchshaltung gerecht. Man kann sich zu jedem Zeitpunkt entscheiden, etwa bei jedem Arztbesuch, ob man widerspricht oder ausdrücklich zur Organspende bereit ist. Zugleich werden auch die Angehörigen ein Widerspruchsrecht erhalten: Wenn die Familie nach dem Tod ihres Angehörigen glaubhaft versichert, dass dieser sich gegen die Organspende entschieden hätte, etwa weil er oder sie mehrfach darüber gesprochen hat, dann wird auch kein Organ entnommen. So werden Irrtümer und Fehler verhindert. So können ohne viel unnötige Bürokratie Leid und unnötigen Tod verhindert werden. Die Regelung rückt konsequent das Leiden der betroffenen Patientinnen und Patienten und Organempfängerinnen und -empfänger in den Vordergrund, ohne die Freiheit des oder der Einzelnen zu missachten.
Mit freundlichem Gruß
Siemtje Möller