Frage an Sibylle Schmidt von Andreas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Halten Sie als ehemals in Gremien aktives SPD-Mitglied, das die SPD aufgrund von "mangelnder Kommunikationsbereitschaft über die Organisation der Flüchtlingskrise im April 2016" verließ, die Bücher von Thilo Sarrazin (nach wie vor SPD-Mitglied), vor allem "Der neue Tugendterror" und "Wunschdenken" für sinnvolle Debattenbeiträge in Hinblick auf den praktischen Zustand der Demokratie, insbesondere der Meinungsfreiheit und der darauf basierenden Teilhabe sowie der praktischen Wahrnehmung der Bürgerrechte?
Lieber Andreas,
seit November lese ich Unmengen an Drucksachen, Pressebeiträge, Anfragen, Anträge, Brancheninformationen und Fachzeitschriften für das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlung. Muss leider gestehen, dass ich die beiden letzten Bücher von Thilo Sarrazin noch nicht gelesen habe. Deswegen kann ich mir kein Urteil erlauben im Gegensatz zu dem Kreischalarm, den „Deutschland schafft sich ab“ schon am ersten Verkaufstag auslöste. Dort sind sicher nicht alle Formulierungen mein Geschmack. Thilo Sarrazin gehört auf alle Fälle zu den Wirtschaftsweisen und alten Intellektuellen, die nach und nach in unserem Land aussterben. Wenn es irgendeine Chance gegeben hätte, in der SPD noch irgendwie das Ruder herumzureißen, wäre ich geblieben. Es sind sehr viele Genossen/-innen ausgetreten und der Partei tut das gut. Nicht, weil sie so viele Denker und Arbeiter verloren hat, sondern weil der Konkurrenzdruck sie dazu zwingt, sich inhaltlich und personell neu aufzustellen. Willy gibt's da nicht mehr. Vielleicht sollte man das den Wählern/-innen mal erklären und eine Runde aussetzen. Es tut gut, einen verlassenen Kreis wieder von außen zu betrachten.
Meine weisen Mentoren haben lange gezweifelt, ob die Demokratie noch die selbstreinigende Kraft hat, die bei Einführung so angepriesen wurde. Wird sie die neuen Medien und die beginnende Regulierung des anarchistischen Internets überstehen? Eine Regulierung der dunklen Seiten der Netzmacht ist vorstellbar, aber warum traf es ausgerechnet im Zustand höchster Erregung die Debattenkultur? Weil diese die Contenance verlor? Oder weil sie den „Guten“ zu kritisch wurde? Oder Beides? Es beruhigt sich alles ganz langsam. Im Abgeordnetenhaus läuft es gut. Die AfD spricht Themen an, die Bürgern unter den Nägeln brennen. Anträge werden zwar abgelehnt, aber von einigen exzellenten CDU Referenten aufbereitet und vier Wochen später eingereicht. FDP und die halbe SPD stimmt für die Weitergabe an Ausschüsse, wo das Ganze koalitionsfähig gemacht wird. Dann isses durch. Läuft. Opposition ist nicht Mist, wie Müntefering einst verlautete. Opposition ist Therapie für die Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Sibylle