Frage an Sibylle Centgraf von Armin U. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Centgraf,
auf der Berliner Landeskleingartenkonferenz 2011 machten Sie folgende Aussage:
"Das Kleingartenwesen gehört bei den Grünen zum Thema Klimaschutz – denn dieser beginnt schon im Kleinen. Sollen die nationalen und europäischen Klimaziele eingehalten werden, müssen wir alle naturverträglicher Leben."
Dazu habe ich folgende Fragen:
Wie hoch soll Ihrer Meinung nach die Durchschnittstemperatur und der Durchschnittsniederschlag in berliner Kleingärten sein?
Welchen Meßzeitraum halten Sie zur Ermittlung des Klimas in berliner Kleingärten für sinnvoll?
Sehr geehrter Herr Ulrich,
menschliches Handeln hat zwar Auswirkungen auf das Klima ist aber (Gott sei Dank) nicht durch den Menschen zu steuern. Wer sich viel draußen aufhält oder Land bewirtschaftet ist allerdings besonders von der Klimaveränderung betroffen. In unserer Region zeigt sich der Klimawandel in häufigeren Starkregenereignissen - also mehr Wasser in kürzerer Zeit und eine weniger gepufferte Wetterlage. Der klimatisch stabilisierende Faktor, namentlich die großen Landmassen östlich von Berlin - also die Kontinental-Beeinflussung Berlins, verliert offensichtlich seine Pufferwirkung. Der gerade in Berlin gewohnte, sommerliche trockene, niederschlagsarme Hochdruckeinfluss ist nicht mehr stabil. Daran kann auch die positive kleinklimatische Wirkung der Kleingärten nichts ändern. Durch angepasste Landnutzung lässt sich zwar der Wasserabfluss verzögern, die Beeinflussung der Niederschlagsmengen ist in Kontinentaleuropa allerdings unmöglich.
Messreihen, um den naturwissenschaftlichen Beweis für die positive Wirkung von Kleingärten auf das Stadtklima zu führen, sind gar nicht mehr notwendig. Die positive Wirkung von grünen Freiflächen ist bereits vielfach untersucht und es liegen verallgemeinerbare Aussagen über die ökologischen „Leistungen“ verschiedener Oberflächennutzungen vor. Zwar fehlt noch die genaue Quantifizierung von der Kühlungsleistung verschiedener verdunstender Pflanzen in den verschiedenen Monaten, aber solche Messreihen werden an der Universität (TU und HU-Adlershof) durchgeführt und nicht im genutzten Kleingarten.
Im Mauer-Berlin der 70er Jahre wurde in Berlin durch Prof. Sukopp eine neue wissenschaftliche Disziplin, die „Stadtökologie“, etabliert. Professor Sukopp hat das erste Bundesnaturschutzgesetz von 1976 mit geschrieben und war langjähriges Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen. Von seinen Studien und der Ökologie als Wissenschaft von den Lebenszusammenhängen fasziniert, kam ich 1885 an die Technische Universität, um bei Professor Sukopp zu studieren.
Der revolutionäre Ansatz der Stadtökologie geht davon aus, dass der Erhalt der „natürlichen Lebensgrundlagen“ mit seinen für das Überleben des Menschen notwendigen natürlichen Funktionen nicht alleine auf Schutzgebiete für Naturvorrang beschränkt zu sein hat, sondern stattdessen überall erfolgen soll.
Dieser Ansatz des flächendeckenden Naturschutzes war in dieser Zeit des Kalten Krieges, der Studentenbewegung und der Ölkrise umso bemerkenswerter. Gab es doch die damals stadtplanerisch vorherrschende Strömung der „Autogerechten Stadt“. Sie propagierte die Funktionstrennung von Arbeiten, Wohnen und Freizeit. Für den Natur- und Umweltschutz zeigt die Stadtökologie dem gegenüber die Vorteile einer kleinteiligen Funktionsmischung auf. Planerisch bedeutet das die kleinteilige Durchmischung verschiedenster Nutzungen und Landschaftsformen - also das Gegenteil von ausgeräumten, landwirtschaftlichen Monokulturen.
Das beste Anschauungsbeispiel für diese kleinteilige Nutzungsmischung war das grüne Mauer-Berlin. Durch zahlreiche Brachen und extensiv genutzte Bereiche zwischen den intensiv genutzten Stadtbiotopen ergab sich für West-Berlin eine extrem hohe Artenvielfalt (Diversität) auf engem Raum. Die Anzahl der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten ist auch heute noch in der Stadt höher als im Umland. Dazu tragen nicht zuletzt die Gärten und Kleingartenkolonien bei, die über ganz Berlin verstreut sind und so einen wichtigen Beitrag zur Biotopvernetzung bilden.
Schon in den 70ern ergaben klimatische Beobachtungen und die auch in Berlin stetig durchgeführten Messreihen, dass große zusammenhängende Grünareale zur merklichen nächtlichen Abkühlung beitragen. So sind die Temperaturen im Großen Tiergarten und durchschnittlich 4° C niedriger als im versiegelten Stadtbereich. Einerseits speichern Asphalt und Beton die Sonnenwärme des Tages stärker, andererseits ist die Verdunstungskälteder Vegetation ein ganz erheblicher Kühlungsfaktor.
Die naturwissenschaftlich positive Wirkung von Pflanzenräumen ist also schon bewiesen. Nicht zu beweisen und eine Frage des Geschmacks und des individuellen Schönheitsempfindens ist die Grüngestaltung. Zwar ist auch diese Ästhetikdiskussion im wissenschaftlichen Diskurs behandelt, viel wichtiger ist aber das kollektive Erleben von Schönheit. Ein Weg für die Erfahrung des „Eins-Seins“ mit der Natur und im Einklang mit dem Leben ist die Erbauung im Garten.
Zu diesen Überschneidungsfeldern von Erfahrung und Natur habe ich übrigens 1990 einen wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel „Die Heterogenität der Ökologie als Voraussetzungen ihrer Weltbildfunktion“ geschrieben. Gerade, weil ich mich akademisch mit der Frage befasst habe, weiß ich: einen schönen Sommerabend, einen Grill-Nachmittag mit der Familie, ein faules Sonnenbad mit Buch oder das Graben in der Erde, das Wachsen-sehen und das Betrachten überraschender Blüten sind unbezahlbar wertvoll und unbedingt erhaltenswert. Aus voller Überzeugung trete ich dafür ein: Nur Berlin mit allen Kleingärten ist eine Stadt für Alle!
Ihre Sibylle Centgraf