Frage an Sevim Dağdelen von Andrea Andrade A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Was tun Sie für die Lehrkräfte in Integrationskursen?
Diese Lehrkräfte arbeiten fast überall nur auf Honorarbasis (ca. 20 EU pro Stunde), werden in die Selbstständigkeit gezwungen, müssen also sämtliche Sozialabgaben selbst tragen, haben keinerlei Rechte oder Sicherheiten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub, Kündigungsfristen, ... Dabei sollen sie zahlreiche Pflichten erfüllen - wo bleiben die Rechte? Wer will unter diesen Bedingungen, vor allem bei dieser Bezahlung (Stundenlohn netto unter 10 EU für einen Akademiker!) noch motiviert arbeiten?
Sehr geehrte Frau Andrade,
DIE LINKE kritisiert die prekäre Beschäftigungssituation von Menschen in Deutschland, aber eben auch von Lehrkräften in Integrationskursen seit Jahren und fordert substantielle Änderungen. In den letzten Jahren haben wir im Rahmen mehrerer Kleiner Anfragen auf die "unzumutbaren Arbeitsbedingungen in Integrationskursen" (so z.B. erstmalig auf Bundestagsdrucksache 16/13972) hingewiesen. Seit Einführung der Integrationskurse verlangt DIE LINKE bei den alljährlichen Haushaltsberatungen im Bundestag eine Aufstockung des entsprechenden Etats, ausdrücklich auch mit der Begründung einer besseren Bezahlung der Lehrkräfte (vgl. z.B. bereits den Antrag auf BT-Drs. 16/1865 vom 20.6.2006). Auch in den aktuellen Haushaltsberatungen fordern wir eine Aufstockung der Mittel, um im Rahmen des bestehenden Systems eine verbesserte Bezahlung der Lehrkräfte in Integrationskursen durchsetzen zu können (Bundestagsdrucksache 18/1856). Diese müssen ihre wichtige Arbeit trotz hoher Qualifikation und geforderter Zusatzausbildung zumeist für ein skandalös niedriges Honorar und unter höchst prekären Beschäftigungsbedingungen leisten und sind deshalb zum Teil sogar auf ergänzende staatliche Hilfen angewiesen.
Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion (Bundestagsdrucksache 18/160, Fragen 14/15) konnten die durchschnittlich gezahlten Honorare (nach Angaben der Träger) mit Anhebung der Mindestvergütungsgrenze für längerfristige Trägerzulassungen von ca. 18 auf gut 20 Euro angehoben werden. Von einer angemessenen und existenzsichernden Bezahlung ist auch dies meilenweit entfernt. Die meisten Lehrkräfte, überwiegend Frauen, gelten formal als selbstständige Freiberufler, d.h. sie erhalten keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und keinen bezahlten Urlaub, sie sind nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert und müssen sich selbst kranken- und rentenversichern, ohne dass ein Arbeitgeber einen Anteil übernehmen würde. Stundenhonorare berücksichtigen auch nicht die Vor- und Nachbereitungszeit des Unterrichts. Dennoch weist die Bundesregierung die Forderung engagierter Lehrkräfte und auch einiger Sprachkursträger nach besseren bzw. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zurück bzw. entzieht sie sich ihrer Verantwortung unter Hinweis auf die "Privatautonomie der Kursträger" (vgl. Bundestagsdrucksache 18/160, Fragen 20/21). Dabei gibt der Bund die Kursinhalte, die Lernbedingungen und das zur Verfügung stehende Geld vor. Die Bundesregierung setzt somit weiterhin auf Niedriglöhne im Bereich der Integrationskurse, die sie nach außen gerne als "Erfolgsgeschichte" dargestellt. Die prekäre Beschäftigung der Lehrkräfte wirkt sich auch negativ auf die Qualität des Unterrichts aus (vgl. Ramboll-Finanzierungsgutachten, S. 7). Im bestehenden System könnte ein Mindesthonorar zur Bekämpfung von Lohndumping und zur Qualitätssicherung beitragen, was im Übrigen rechtlich zulässig wäre (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10067, Fragen 24ff) und von der Bundesregierung in anderen Bereichen praktiziert wird (vgl. Bundestagdrucksache 18/160, Fragen 25/26). Dabei ist für uns die Forderung nach einem Mindest(!)honorar in
Höhe von 30 Euro pro Unterrichtseinheit nur eine erste, sofort umsetzbare Maßnahme im bestehenden System. Mittelfristig streben wir ein ganz anders strukturiertes Integrationskurssystem an, das den in diesem Bereich tätigen Lehrkräften gute Arbeitsbedingungen, sichere Beschäftigungsverhältnisse und faire Löhne sichert - idealerweise in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, in jedem Fall aber unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Weiterbildungsansprüchen, Krankheitszeiten, der Sicherung von Rentenansprüchen usw.
Mit freundlichen Grüßen,
Sevim Dagdelen