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Sevim Dağdelen
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Frage von Dittmar K. •

Frage an Sevim Dağdelen von Dittmar K. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Dagdelen,

ich habe 37 Jahre lang gearbeitet, seit ich 15 Jahre alt bin.
Nun bekomme ich incl. einem geringen Zuschlag 417 Euro Hartz IV.

Im rbb hörte ich, daß EU-Einwanderern selbst dann Kindergeld bezahlt wird, wenn die Kinder in den Heimatländer bleiben.

Siehe auch diesen Bericht:
http://www.bild.de/politik/inland/europaeische-union/weniger-kindergeld-fuer-polen-und-rumaenen-34027940.bild.html

Finden Sie das mir gegenüber fair?

Wie Sie anhand dieses Berichts sehen, gibt es nach Berlin einen erheblichen Zuzug aus Rumänien und Bulgarien: http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/swr/2013/rumaenien-fantanele-100.html

Warum schafft man nicht diese Kindergeldregelung ab? Wenn man so viel Kindergeld bekommt, kann man auch eher für wenig Geld arbeiten. Und aus meiner Sicht nützt das die Fleischerindustrie u.a. gnadenlos aus.

Gerade hörte ich, daß Großbritannien die Zuwanderung aus EU-Ländern eventuell begrenzen möchte ( in den Nachrichten von rbb kam das gerade). Wenn dem so sein sollte, ist das mit geltendem EU-Recht in Einklag zu bringen?

Warum nimmt man immer mehr Länder in die EU auf, obwohl es heute schon genug Probleme gibt?

Mit freundlichen Grüßen

Dittmar Kulik

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Sehr geehrter Herr Kulik,

leider sitzen Sie da der rechtspopulistischen Propaganda von Teilen der Bundesregierung und Regierungsfraktionen, insbesondere aus der CSU, auf. Es kann weder von einem erheblichen Zuzug von Menschen aus Bulgarien noch aus Rumänien die Rede sein. Und schon gar nicht handelt es sich dabei - wie zumeist behauptet - um eine sogenannte Armutsmigration. Unter dem Strich profitiert Deutschland von den Freizügigkeitsregelungen, insbesondere auch von der Beschäftigung, den Beitrags- und Steuerleistungen der eingewanderten Bürgerinnen und Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Dies haben mehrere Studien ergeben. Für einen oftmals beklagten, jedoch nie belegten verbreiteten "Missbrauch" gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Die vermeintliche "Zuwanderungswelle" existiert nicht. Denn bulgarische und rumänische Staatsangehörige machen mit gut 400.000 Personen gerade einmal 5,5 Prozent der ausländischen Bevölkerung in Deutschland aus. 2014 könnte sich ihre Zahl um 100.000 bis 180.000 erhöhen, die Bundesregierung rechnet jedoch nicht mit "erheblichen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt". In der Vergangenheit gab es auch schon in Bezug auf osteuropäische Beitrittsländer wie Polen überhöhte Wanderungsprognosen, die sich nicht realisierten. Ein großer Teil der auswanderungswilligen Rumänen und Bulgaren befindet sich bereits im EU-Ausland, überwiegend nicht in Deutschland.

Vergleicht man den Zeitraum von Ende 2010 bis Ende 2012, so ist die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Rumänen (+73 Prozent) und Bulgaren (+67,8 Prozent) in Deutschland stärker gestiegen als deren Zuzugszahlen (+ 62 Prozent bzw. + 58,6 Prozent). Auch die Bundesregierung schlussfolgert hieraus: "Diese Entwicklung deutet auf weiterhin gute Beschäftigungsaussichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt hin". Ähnlich ist die Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen: Die Arbeitslosenquote unter den erwerbsfähigen Migrantinnen und Migranten beider Länder betrug Mitte 2013 7,4 Prozent (etwa 15.000 Erwerbslose Ende des Jahres 2013) - und lag damit noch unter dem Wert der Gesamtbevölkerung (7,7 Prozent), und erst recht unter dem der ausländischen Bevölkerung (15 Prozent). Jeder zehnte Bulgare und Rumäne war auf Hartz IV-Leistungen angewiesen, als Arbeitsloser oder "Aufstocker", auch das liegt unter dem Wert aller Ausländer (15 Prozent). Der Anteil von rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen an allen Hartz IV-Beziehenden betrug im Juli 2013 nur 0,6 Prozent - dies waren gerade einmal 38.000 Personen.

Auch das Argument, dass "Armutsmigranten" häufiger ein Gewerbe anmelden, um dann staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen ("Scheinselbständigkeit"), ist haltlos. Ende 2012 bezogen gerade einmal 3,3 Prozent aller rumänischen Selbstständigen in Deutschland ergänzende Sozialleistungen (561 von 17.000) - eine sehr geringe Zahl, die für einen etwaigen "Missbrauch", von wenigen Einzelfällen abgesehen, nichts hergibt.

Auch das Vorurteil, die Betroffenen kämen vor allem wegen des Kindergeldes, entbehrt jeder Grundlage: Ende 2012 erhielten nur 27.000 von etwa 324.000 rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen Kindergeld (8,3 Prozent).

Das Problem sind nicht die, die nach Deutschland bzw. in die EU kommen, sondern die, die getreu dem Motto ´Die Wirtschaft braucht mehr Ausländer, die ihr nützen und weniger kosten´ durch billigere ausländische Fachkräfte die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt gezielt verschärfen wollen. Betroffen sind von diesem Nützlichkeitsrassismus auch und besonders in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten. Denn die Bundesregierung wird ihre Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt und den (Aus-) Bildungsinstitutionen auch weiterhin nicht wirklich bekämpfen und drängt qualifizierte Migrantinnen und Migranten in Deutschland weiter ins Abseits. Das ist weder sozial noch integrativ. Deutschland will sich dabei nach purem Eigennutz und ohne Rücksicht auf die Folgen für das jeweilige Herkunftsland des weltweiten Fachkräftepersonals bedienen. Ihm werden die Kosten für die Ausbildung von Fachkräften überlassen. Schutzregelungen wie die 2012 beschlossenen Blue-Card-Bestimmungen zur angeblichen Verhinderung eines Brain Drain von Fachkräften, die vor Ort benötigt werden, sind ein pures Feigenblatt und sollen keine Wirksamkeit entfalten. Die bei der blue-card-Regelung geforderten Einstiegsgehälter unterschreiten übliche Facharbeiterlöhne und sind gerade kein Indiz für Mangelberufe.

DIE LINKE fordert zur Lösung der sozialen Herausforderungen Mindeststandards für Beschäftigte, ob sie nun aus Deutschland, aus Europa oder aus Drittstaaten kommen. Angesichts der Probleme von Migrantinnen und Migranten brauchen wir eine Ausbildungsplatzumlage, die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in schnellen Schritten auf 10 Euro in der Stunde und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wichtig ist, dass wir eine verbindliche europäische Mindestlohnregelung in Höhe von 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittslohns brauchen und diese gesetzlich oder tarifvertraglich auf nationaler, regionaler oder Branchenebene gewährleistet werden kann. In jedem Fall muss es aber in jedem Mitgliedstaat allen Beschäftigten einen existenzsichernden Lohn garantieren. Würde diese Forderung, die DIE LINKE sicher auch im Europawahlprogramm verankern wird umgesetzt, könnte eine Migration zur Existenzsicherung ein Stück weit bekämpft werden.

Mit freundlichen Grüßen
Sevim Dagdelen

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