Frage an Sevim Dağdelen von Daniela D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Frau Dagdelen!
Wie stehen Sie zum ESM? Wie werden Sie sich in einer Abstimmung bzgl des ESM verhalten?
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Dirschnabel
Sehr geehrte Frau Dirschnabel,
Sie wissen sicher, dass DIE LINKE den Fiskalvertrag ablehnt. Ausschlaggebend sind dafür folgende Gründe:
Der Vertrag trägt nicht dazu bei, die Eurokrise zu überwinden, da er nicht an deren wirklichen Ursachen ansetzt. Anstelle die Staaten zu "disziplinieren" müssen die Finanzmärkte diszipliniert, d.h. reguliert werden. Die durch den Fiskalpakt erzwungene Sparpolitik wird die Krise somit nicht lösen, sondern die EU noch tiefer in die Rezession führen.
Der Fiskalvertrag bedroht weiterhin die Sozialstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten und das Europäische Sozialmodell. Eine Beteiligung der Krisenverursacher und -profiteure, zum Beispiel im Rahmen einer Millionärssteuer, wird von der herrschenden Politik ebenso ausgeschlossen wie eine sozial gerechte Steuerpolitik zur Steigerung der Einnahmen. Deshalb werden die neuen haushaltspolitischen Regelungen alle Mitgliedstaaten zu verschärftem Sozialabbau, Privatisierung staatlichen Eigentums sowie einem Abbau öffentlicher Leistungen zwingen.
Der Fiskalvertrag ist auch ein massiver Anschlag auf die Demokratie in allen beteiligten Staaten: Sobald ein Land von den neuen haushaltspolitischen Regelungen und damit vom strikten Weg der Austerität abweicht, verlieren die nationalen Parlamente ihr demokratisches Haushaltsrecht. Auch die Unkündbarkeit des Vertrags und damit die Festschreibung der Schuldenbremse auf ewig ist unter Demokratiegesichtspunkten nicht hinnehmbar.
Schließlich bedroht der Fiskalvertrag den gesamten europäischen Integrationsprozess: Wenn die EU nur mehr mit Sozialabbau und Entdemokratisierung in Verbindung gebracht wird, kann die Zustimmung der Bevölkerung berechtigterweise nur weiter sinken.
DIE LINKE hat einen entsprechenden Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht und wird sich im gesamten Ratifizierungsprozess dafür einsetzen, dass dieser Vertrag nicht ratifiziert wird. Sollten sich SPD und Grüne - was zu befürchten ist - nicht mehr umstimmen lassen und der Vertrag ratifiziert werden, wird DIE LINKE vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Fiskalvertrag klagen.
Sehr geehrte Frau Dirschnabel,
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der ab 2013 den bisherigen Rettungsschirm ersetzen soll, setzt einen gefährlichen Kurs fort. Weder wurde die marktradikale Ausrichtung korrigiert, noch setzt der ESM an den Krisenursachen an. Auch die mangelhafte parlamentarische Kontrolle der Eurorettung wurde mit dem ESM keineswegs verbessert. Obwohl für den ESM das Lissabon-Vertragswerk geändert werden muss (Artikel 136 AEUV), wird er bewusst außerhalb der EU-Institutionen angelegt, um die Kontrolle durch europäische und nationalstaatliche Parlamente gering zu halten. Zudem lässt auch der ESM-Vertrag weitgehend offen, in welcher Form private Gläubiger an den Kosten der Krise beteiligt werden (ESM-Vertrag Artikel 12 Absatz 2). Obwohl damit ein zentraler Aspekt völlig ungeklärt ist, soll der ESM-Vertrag schnellstmöglich durch die Parlamente gepeitscht werden.
Damit macht die marktliberale Eurorettung eine wirtschaftliche Erholung der verschuldeten Staaten aus eigener Kraft unmöglich und vertieft die soziale und ökonomische Spaltung von Eurozone und EU. Das Erstarken rechtspopulistischer und nationalistischer Parteien infolge der Krise zeigt, dass die marktradikale Ausrichtung der EU auch zur politischen Desintegration Europas führt. Darum hat DIE LINKE als einzige Fraktion im Deutschen Bundestag die Euro-Rettungspakete abgelehnt. Wir sind der Auffassung, dass es sich nicht um eine Griechen- oder Euro-Rettung sondern eine Bankenrettung handelt. Eine Transferunion für Banken lehnen wir ab.
Durch Sozialkürzungen wird die wirtschaftliche Entwicklung in den EU-Staaten abgewürgt, während Banken und Finanzinvestoren an den horrenden Zinsen verdienen. Weder in Griechenland, noch in Deutschland hat die Bevölkerungsmehrheit über ihren Verhältnissen gelebt. Auch die deutsche Wirtschaft mit ihrem niedrigen Lohnniveau ist eine der Hauptursachen dafür, dass unsere Handelspartner sich verschulden mussten und nun dem Diktat der Finanzmärkte unterliegen.
Die Menschen in Deutschland werden so zweimal zur Kasse gebeten: Durch niedrige Löhne und nun für Garantien. Die Menschen in den anderen EU-Staaten über Sozialabbau. Das in Ländern wie in Griechenland (mit Wissen der Bundesregierung) auch ein hohes Maß an Korruption und Misswirtschaft herrschte ist dabei unbestritten.
Wir wollen einen Neustart der Europäischen Union, der Soziale Gerechtigkeit und nicht die möglichst weitgehende Liberalisierung der Wirtschaft zum Ziel hat und der zu einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik führt.
Weitere Informationen zur Euro-Krise und detailliertere Lösungsvorschläge finden sie auf http://www.linksfraktion.de/themen/eurokrise-eurorettung/.
Mit freundlichen Grüßen
Sevim Dagdelen