Frage an Sevim Dağdelen von sigrid a. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dagdelen,
in Reden und Artikeln vertreten Sie pointiert die Ansicht, die vom "Bundesamt für Ausländer, Migration und Flüchtlinge " (BAMF) seit kurzem für die Einreise von EhepartnerInnen aus dem Ausland vorgeschriebene Sprachprüfung sei "eine Diskriminierung" und daher ersatzlos wieder abzuschaffen. Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass wirkliche Integration nicht mit der reinen Anpassungsleistung an eine nebulöse, weil in sich widersprüchliche und latent rassistische "deutsche Leitkultur" gleichzusetzen ist. Die Beherrschung des Deutschen lässt auch bei Einheimischen oft zu wünschen übrig, daher sollten migrantische Bürger keine Extraleistungen erbringen müssen.
Als Leiterin von "Integrationskursen", in denen die auch bereits jahrelang ansässigen ImmigrantInnen ihre Deutschkenntnisse verbessern müssen, stoße ich jedoch auf spontane Stellungnahmen vor allem der angeheirateten Frauen, die sich angesichts jahrelanger Sprach- und Ratlosigkeit nach ihrer Einreise in den 90er Jahren sehr positiv zum Nachweis von Deutschkenntnissen vor der Einreise äußern: "Hätte es das damals schon gegeben, wieviel geringer wären meine Probleme hier gewesen!"
Wäre es nicht sinnvoller, die Prüfungen zu entbürokratisieren und Sprachkurse, z.B. in der Türkei, zu subventionieren? Natürlich sind die Kosten eine Form der Selektion, doch warum soll man das Kind mit dem Bade ausschütten, nur um das Klischee von der intakten Migranten-Community zu bedienen, in der neu zugereiste Frauen keine Deutschkenntnisse benötigen? Stützt man so nicht eher die Funktion der mittlerweile berufsmäßigen "Interpretenschicht" zwischen den Kulturen, die von der Fremdheit und Ethnisierung zwischen "den" Deutschen und den "anderen" materiell profitieren? Die vor Deutschprüfungen von Ihnen unnötig rhetorisch in Schutz Genommenen haben im Unterschied zu den letztgenannten keine Wahlberechtigung.
Gespannt auf Ihre Antwort wartend,
mit freundlichen Grüßen,
Sigrid Asamoah
Sehr geehrte Frau Asamoah,
was Sie in Reaktion auf Ihre persönlichen Erfahrungen im Rahmen Ihrer Arbeit schildern, teile ich so nicht. Es geht der LINKEN und mir beim Ehegattennachzug nicht darum, ob und inwieweit Kenntnisse der deutschen Sprache wichtig sind. Natürlich sind deutsche Sprachkenntnisse hier im Alltag von Nutzen. Mir geht es in diesem Punkt nicht einmal um die Frage, ob und inwieweit diese Gesellschaft (z.B. Behörden etc.) eigentlich in ihrer Sprachkompetenz überhaupt den Anforderungen entspricht, die aus der Bevölkerungszusammensetzung erwachsen.
Hier geht es allein um die skandalösen und inhumanen Auswirkungen der Neuregelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug. Es ist nach meiner festen Überzeugung ein Verstoß gegen Artikel 6 des Grundgesetzes. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates, doch die Regelung der Sprachnachweise im Ausland verhindert - und zwar ohne stichhaltige Begründung -, dass Eheleute aus bestimmten Ländern (!) unmittelbar zusammen leben können.
Dass die Neuregelung mit einem angeblichen Kampf gegen Zwangsverheiratungen und einer "vorbereitenden Integration" der Betroffenen begründet wurde, ist schlicht zynisch und ein Schlag in das Gesicht der Betroffenen. Die Regelung wirkt vielmehr - das geht auch aus Ihren Ausführungen hervor - sozial selektiv, d.h. sie diskriminiert vor allem Menschen ohne große finanzielle Reserven, mit niedrigem Bildungsstand oder aus ländlichen Regionen, denn für diese ist der Spracherwerb im Ausland mit erhöhten Hürden verbunden. Dabei wäre das Ziel des Erwerbs der deutschen Sprache in Deutschland sehr viel einfacher und ohne eine zwangsweise Trennung der Eheleute zu erreichen. Die Schlechterbehandlung von in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen gegenüber hier lebenden EU-Angehörigen stellt in diesem Zusammenhang eine zusätzliche und nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung dar, für die es keine nachvollziehbare Begründung gibt.
Die Einschränkung dieses Grundrechts und die Ungleichbehandlung führt zu völlig abstrusen Handlungen seitens vieler Betroffener. Es gibt Menschen, die sich durch die gesetzliche Neuregelung gezwungen sehen, ihr Nachzugsrecht durch die frühe Geburt eines (deutschen) Kindes zu "erzwingen". DIE LINKE hat die Bundesregierung damit konfrontiert, dass sich durch diese Rechtslage der Druck auf zwangsverheiratete Frauen womöglich sogar noch vergrößern könnte, da sich unter Umständen der Druck auf sie erhöht, schnell ein Kind zu gebären und damit deren Abhängigkeit wesentlich vergrößert wird.
Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung frage ich alle drei Monate nach der Zahl der erteilten Visa zum Ehegattennachzug und nach diesbezüglichen rechtlichen und praktischen Problemen (vgl. zuletzt: Bundestagsdrucksachen 16/13905, 16/12979 und 16/11997). Diese Anfragen haben unter anderem erbracht, dass der unmittelbare Rückgang der erteilten Visa durch die Neuregelung drastisch war (weltweit um etwa 40 Prozent, in Bezug auf bestimmte Hauptherkunftsländer sogar um zwei Drittel) und dass auch längerfristig ein Rückgang um etwa ein Fünftel feststellbar ist. Dass der Ehegattennachzug extrem erschwert und in vielen Einzelfällen sogar verhindert wird, ergibt sich auch aus den hohen "Durchfallquoten" bei Sprachprüfungen im Ausland: So schaffen etwa 40 Prozent derjenigen, die keinen Zugang zu einem Sprachkurs eines Goethe-Instituts haben oder sich diesen nicht leisten können, die Prüfung nicht - und bei dieser Zahl sind wiederholte Prüfungs-Teilnahmen sogar mit eingeschlossen.
Inwieweit Zwangsverheiratungen und wie viele durch diese Regelung tatsächlich verhindert worden sind kann mir die Bundesregierung bis heute nicht beantworten. So viel zum vorgegebenen Anlass der Regelung.
Für mich ist es hinsichtlich der Diskriminierung von Menschen und unseren Forderungen nach gleichen Rechten unerheblich, ob die Zielpersonen wahlberechtigt sind oder nicht. Dabei lassen wir uns weder durch einen Kulturrelativismus, noch einen imaginären Kampf der Kulturen leiten.
Ich hoffe ich konnte Ihnen, Frau Asamoah, meinen und den Standpunkt meiner Fraktion nahelegen.
Mit freundlichen Grüßen,
Sevim Daðdelen