Frage an Sebastian Körber von Dieter R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Körber,
der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Beschäftigtendatenschutz sieht einen dramatischen Abbau des Datenschutzes am Arbeitsplatz vor. So kann Videoüberwachung am Arbeitsplatz gegenwärtig nur bei konkretem Verdacht gegen bestimmte Personen als letztes Mittel zulässig sein. Nach dem geplanten „Beschäftigtendatenschutzgesetz“ könnte jeder Arbeitsplatz hingegen permanent und ohne jeden Anlass videoüberwacht werden. Zudem würde der anlass- und verdachtslose Abgleich von Beschäftigtendaten, um etwaige Pflichtverletzungen aufzuspüren, erstmals legalisiert werden („Screening“). Dies würde großflächige, verdachtsunabhängige Datenabgleiche über alle Beschäftigten zulassen. Derzeit ist ein solches Stochern im Nebel ohne jeglichen Verdachtsmoment verboten.
„Im Ergebnis würden die vorgesehenen Änderungen in zentralen Bereichen des Arbeitslebens eine Verschlechterung des Datenschutzes für die Beschäftigten zur Folge haben“, warnen die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Die Gewerkschaften laufen schon seit Monaten Sturm gegen das Vorhaben.
„Formulierungsvorschlägen“ des Bundesinnenministeriums vom 07.09.2011 zufolge ist überdies die Abschaffung des Fernmeldegeheimnisses für Privatgespräche am Arbeitsplatz, die Legalisierung eines permanenten Mithörens dienstlicher Telefongespräche und Mitlesens dienstlicher E-Mails, die Zulassung einer permanenten Videoüberwachung von Beschäftigten „zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen“ sowie ein Vorrang von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge selbst vor dem geringen gesetzlichen Schutzniveau geplant.
Nutzt mein Arbeitgeber diese Spielräume, werde ich am Arbeitsplatz künftig ständig kontrolliert werden, etwa durch permanente Videoüberwachung und regelmäßige Aufzeichnung, Mitschnitte oder Mithören meiner Telefonate und E-Mails.
Als betroffener Bürger Ihres Wahlkreises bitte ich Sie um Mitteilung, ob Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Mit freundlichem Gruß
Raithel
Sehr geehrter Herr Raithel,
vielen Dank für Ihre Anfrage von 14.11.2011 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes. Ihrer Einschätzung, dass mit den beabsichtigten Regelungen eine Verschlechterung des Datenschutzniveaus für die Beschäftigten eintrete, möchte ich widersprechen. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass die Verhandlungen über Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung zwischen den Koalitionsfraktionen noch nicht abgeschlossen sind und die Ihnen offenbar bekannten Formulierungsvorschläge des Bundesinnenministeriums allenfalls einen Zwischenstand bei den Verhandlungen, aber nicht deren Ergebnis, abbilden. Die Verhandlungen über die Änderungen des Gesetzentwurfes im parlamentarischen Verfahren sind zunächst noch abzuwarten. Im Übrigen haben die Koalitionspartner bereits im Koalitionsvertrag im Herbst 2009 vereinbart, den Beschäftigtendatenschutz zu verbessern. Wörtlich heißt es dort: "Privatheit ist der Kern persönlicher Freiheit. Wir setzen uns für eine Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes ein und wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Bespitzelungen an ihrem Arbeitsplatz wirksam schützen. Es dürfen nur solche Daten verarbeitet werden, die für das Arbeitsverhältnis erforderlich sind. Datenverarbeitungen, die sich beispielsweise auf für das Arbeitsverhältnis nicht relevantes außerdienstliches Verhalten oder auf nicht dienstrelevante Gesundheitszustände beziehen, müssen zukünftig ausgeschlossen sein. Es sollen praxisgerechte Regelungen für Bewerber und Arbeitnehmer geschaffen und gleichzeitig Arbeitgebern eine verlässliche Regelung für den Kampf gegen Korruption an die Hand gegeben werden. Hierzu werden wir den Arbeitnehmerdatenschutz in einem eigenen Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz ausgestalten.“
Der auch darin zum Ausdruck kommende zweite Aspekt, den die Gewerkschaften allerdings vollkommen unberücksichtigt lassen, ist eine praxisnahe Ausgestaltung der Vorschriften. Keinem ist damit geholfen, schön klingende Regelungen zu schaffen, die in der Praxis von den Arbeitgebern nicht umsetzbar sind. Ich halte im Übrigen wenig davon, alle Unternehmer in Deutschland unter einen Generalverdacht der Totalüberwachungsabsicht gegenüber den Arbeitnehmern zu stellen. Meine Erfahrung ist, dass die allermeisten Unternehmen dieses gerade nicht beabsichtigen. Auf einige Details will ich genauer eingehen:
Bei der Videoüberwachung ist zu unterscheiden zwischen offener und verdeckter Videoüberwachung. Nach derzeitiger Rechtslage trifft Ihre Einschätzung, dass Videoüberwachung am Arbeitsplatz gegenwärtig nur bei konkretem Verdacht gegen bestimmte Personen als letztes Mittel zulässig sei, für die heimliche Videoüberwachung zu. Der Gesetzentwurf sieht dagegen ein völliges Verbot der heimlichen Videoüberwachung vor und verbessert damit den Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten deutlich.
Wer annimmt, dass eine zulässige offene Videoüberwachung zu Zwecken der Qualitätssicherung zu einer lückenlosen Leistungs- und Verhaltenskontrolle missbraucht werden könnte, den möchte ich ausdrücklich auf die bereits im Gesetzentwurf in § 32 f gezogenen Grenzen für die Zulässigkeit offener Videoüberwachung hinweisen. Diese Maßnahmen müssen zum einen dem Erforderlichkeitsgrundsatz entsprechen und zum anderen dürfen keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen am Ausschluss der Videoüberwachung überwiegen. Daraus ergibt sich schon, dass umfassende Leistungskontrollen von diesen Vorgaben nicht gedeckt wären.
Beim sog. Screening beziehen Sie sich ersichtlich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom August 2010. Die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen haben bereits frühzeitig deutlich gemacht, dass sie hier Änderungsbedarf sehen. In den Änderungsvorschlägen, die im Auftrag der Koalitionsfraktionen durch das Bundesministerium des Innern erstellt wurden, wird auch deutlich, dass gerade die Vorschriften zum Screening umfangreiche Änderungen zu Gunsten des Datenschutzes der Beschäftigten erfahren werden.
Auch wird kein genereller Vorrang von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen festgeschrieben, sondern nur die Möglichkeit eröffnet, in bestimmten Fällen durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag von den gesetzlichen Vorschriften abzuweichen. Bereits heute ist es möglich und gängige Praxis, dass auch Datenschutzvorschriften in Betriebsvereinbarungen aufgenommen werden. Angesichts der Vielfalt der technischen Systeme und ihrer Weiterentwicklung sowie der ganz unterschiedlichen Umstände in den Unternehmen wäre es nicht sachgerecht, vollkommen auf die bisher mögliche Form der Betriebsvereinbarung zu verzichten. Grundsatz der Betriebsvereinbarung ist, dass zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Ausgleich der Interessen erfolgt. Überdies sind auch die Betriebs- und Tarifpartner im Wege der mittelbar an die Gewährleistung des Grundrechtsschutzes gebunden, so dass ein ab und zu befürchteter „Ausverkauf des Persönlichkeitsrechts“ nicht möglich ist. Dieser Gedanke kommt auch in § 75 BetrVG zum Ausdruck. Außerdem werden gerade auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers, wie z.B. eine betriebliche Altersversorgung, in Betriebsvereinbarungen begründet. Sobald dies mit einer Datenverarbeitung zusammenhängt, was nicht selten der Fall ist, wäre dies künftig nicht mehr möglich.
An diesen Beispielen zeigt sich, dass von einer Verschlechterung des Datenschutzes für die Beschäftigten keine Rede sein kann. Das Gegenteil ist der Fall. Ich hoffe, ich konnte mit meinen kurzen Hinweisen einige Befürchtungen zerstreuen, dass die neuen Regelungen zu einer permanenten Überwachung führen würden - das ist nicht begründet!
Sebastian Körber verbleibt mit freundlichen Grüßen.