Frage an Sebastian Czaja von Robert T. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Czaja,
Sie machen mit dem Slogan »Jetzt erst recht!« Wahlkampf. Wie bewerten Sie, dass dieser Slogan in den 1950er Jahren ein Wahlplakat der FDP zierte, das in den 1970er Jahren von der NPD mit identischer Gestaltung übernommen wurde? Ist Ihnen dabei bewusst, dass es bis in die 1960er Jahre durchaus nennenswerte Strömungen in der FDP gab, die mit dem bürgerlich-demokratischen »Steinzeitliberalismus« nicht einverstanden waren?
Sehr geehrter Herr Tornow,
ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie zum einen erfahren möchten was der Slogan „Jetzt erst recht!“ für mich bedeutet und zum anderen, dass Sie sich für einige historische Fakten interessieren.
Ich bin der Meinung, es kommt immer darauf an, welche Inhalte hinter einem Slogan stehen.
Für mich bedeutet „Jetzt erst recht!“, dass gerade jetzt, wo im Abgeordnetenhaus von Berlin vier linke Parteien sitzen, es wichtig und richtig ist, für liberale Werte und eine Politik der Vernunft zu kämpfen. Die FDP ist die einzige Partei in Berlin, die für bürgerliche Werte einsteht und sich für deren Erhalt einsetzt. Politik der Vernunft bedeutet für mich unaufgeregt und mit Augenmaß, pragmatisch an Probleme heran zu gehen, für die alltäglichen Sorgen der Bürger ein offenes Ohr zu haben und ihnen realistische, umsetzbare Lösungen anbieten.
Nicht klar ist mir jedoch was Sie mit der Formulierung, in den 60er Jahren habe es „nennenswerte Strömungen in der FDP“ gegeben, „die mit dem bürgerlich-demokratischen »Steinzeitliberalismus« nicht einverstanden waren“. Für den Begriff „Steinzeitliberalismus“ gibt es mehrere Deutungsmöglichkeiten. Zum einen wurde er in den 50er Jahren mit negativer Konnotation in einer Auseinandersetzung der niedersächsischen Liberalen untereinander verwendet.
Zum anderen bezeichneten sich einige Freidemokraten selbst so, als Synonym für „urliberal“. Zu diesen „Urliberalen“ zählen u.a. Theodor Heuss, Marie Elisabeth Lüders, Hans Reif oder Reinhold Maier, mithin Väter und Mütter der Bundesrepublik. Dass es bis in den 60er Jahren andere Strömungen wie z.B. die „Jungtürken“ um Walter Scheel, Erich Mende, Karl-Hermann Flach, Wolfgang Döring und Willy Weyer gab und diese ab 1960 die FDP im Wesentlichen führten, ist mir bewusst. Dass diese mit ihren Vorgängern nicht vollkommen „einverstanden“ waren, ist, so denke ich, eine normale Entwicklung, da sie einer neuen Generation angehörten (geboren zwischen 1915 und 1930) und nicht wie ihre Vorgänger bereits im Kaiserreich sozialisiert wurden.
Wieso die NPD in den 70er ein FDP-Plakat aus den 50er, also 20 Jahre später, verwendete, kann ich Ihnen nicht sagen, da mir für diese Partei und ihre Anhänger jegliches Verständnis fehlt. Es sei nur der Hinweis gestattet, dass schon oft Bilder und Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, fälschlicherweise umgedeutet oder absichtlich falsch interpretiert worden sind. So wurde auch Willy Brandts Aussage „Verzicht ist Verrat“ oft genug von NPD und DVU missbraucht.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Czaja