Portrait von Sebastian Blumenthal
Sebastian Blumenthal
FDP
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Sebastian Blumenthal zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Kai T. •

Frage an Sebastian Blumenthal von Kai T. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Blumenthal,

der Begriff Hartz IV soll nach dem Willen von Frau Dr. von der Leyen abgeschafft werden, weil er negativ besetzt ist. Die Koalition unternimmt aber nichts, wenn aufgrund von Begrifflichkeiten arbeitende Menschen diskriminiert und diskreditiert werden. Ca. 826.000 Mitarbeiter in der Zeitarbeitsbranche werden von Kritikern der Zeitarbeit als "Leiharbeiter" bezeichnet. Leihe ist gem. BGB die aber die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Sache (BGB §§ 598 - 606). Mit der Verwendung des Begriffs "Leiharbeiter" werden MitarbeiterInnen zu einem Objekt herabgewürdigt und versachlicht. Sie tun nichts, um Mitarbeiter in der Zeitarbeitsbranche vor Herabwürdigungen zu schützen und etwas an der Verwendung des Begriffs "Leiharbeit" und den damit verbundenen negativen Assoziationen zu ändern. Das 40 Jahre alte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), in dem das Wort Leiharbeit verwendet wird, sollte dringend geändert werden. In aktuellen Tarifverträgen der Branche wird sowohl vom DGB als auch vom Bundesverband Zeitarbeit (BZA) nur von Zeitarbeit gesprochen. Auch die Unternehmen und Mitarbeiter der Branche sehen sich als Zeitarbeitsunternehmen bzw. ZeitarbeitnehmerInnen. Niemand sollte berechtigt sein, motivierte MitarbeiterInnen mit falschen Begrifflichkeiten zu diskriminieren. Der BZA fordert, die Verwendung der Begriffe "Zeitarbeit, Zeitarbeitnehmer, Zeitarbeitsunternehmen und Einsatzbetrieb" im AÜG und anderen Gesetzen anstelle der bisherigen Bezeichnungen "Leiharbeit, Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher" zu ersetzen, da die geforderten Bezeichnungen im allgemeinen Sprachgebrauch eingeführt sind und die diskriminierenden und im Wortsinn irreführenden Begriffe "Leiharbeit, Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher" vermeiden. Warum wollen Sie hart arbeitenden Menschen nicht den gleichen Schutz vor negativ besetzten Begriffen zukommen lassen wollen, wie nicht arbeitenden Menschen, und einen Gesetzentwurf zur Änderung des AÜG einbringen?

MFG

Portrait von Sebastian Blumenthal
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Thiele
 
zunächst das Wichtigste vorweg: Ich gebe Ihnen in jeder Hinsicht recht, dass ZeitarbeitnehmerInnen hoch motivierte und fleißige, hart arbeitende Menschen sind. Und selbstverständlich ist es nicht hinnehmbar, wenn diese Menschen von Kritikern diskreditiert werden. Das Problem hat aber gar nichts mit der Begrifflichkeit zu tun. Wir erleben in vielen Betrieben, dass diese Menschen gegenüber den „Stammbelegschaften“ im Arbeitsumfeld schlechter gestellt werden - sie müssen mehr Geld für das Kantinenessen bezahlen, sie werden von der „Stammbelegschaft“ mit Argwohn (und als „lästige“ Konkurrenz“) betrachtet, und vieles mehr. Diese Benachteiligungen haben in den letzten 12 Jahren erheblich zugenommen - insbesondere seit Rot-Grün und die Große Koalition zwar einerseits die Zeitarbeit erheblich ausgeweitet hat, aber es  andererseits unterlassen hat, die ZeitarbeitnehmerInnen mit den Stammbelegschaften gleichzustellen. Das müssen wir korrigieren. Wir werden in den nächsten Wochen auch konkrete Vorschläge vorlegen - so z.B., dass in einem Betrieb alle Einrichtungen für alle MitarbeiterInnen gleichermaßen zugänglich sein müssen (vor allem zum gleichen Preis, was z.B. das Kantinenessen angeht) und dass alle MitarbeiterInnen - egal ob „Stammbelegschaft“ oder ZeitarbeiterInnen - (nach der üblichen Probe- und Einarbeitungszeit) den gleichen Lohn erhalten (Stichwort „Equal Pay“). Insofern tun wir hier - anders als Sie es unterstellt haben - mehr für die tatsächliche Gleichstellung dieser MitarbeiterInnen als jede Vorgängerregierung und diesen Weg gehen wir auch weiter.
 
Wir müssen uns also darauf konzentrieren, den MitarbeiterInnen in der Zeitarbeit ganz konkret bessere Arbeitsbedingungen  zu ermöglichen. Wenn jemand der Zeitarbeit ablehnend gegenübersteht, dann werden wir das nicht dadurch ändern, indem wir uns über Begriffe streiten - stattdessen muss es um Inhalte gehen. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht zutreffend, dass Menschen aufgrund von Begriffen diskreditiert werden - sie werden diskreditiert, weil es Menschen gibt, die die ZeitarbeitnehmerInnen insgesamt ablehnen. Und diesen Kritikern ist es im Zweifelsfall egal, wo welche Begriffe niedergeschrieben sind. Und damit kommen wir zum „Leih“-Begriff. Wenn wir uns auf das BGB stützen, müssen wir § 133 vorrangig betrachten, der den von Ihnen genannten Paragraphen vorangeht. In § 133 heißt es „Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“ Damit ist gemeint, dass es im Grunde unerheblich ist, welche Begriffe benutzt werden, solange man sich einig ist, was gemeint ist. So ist es absolut legitim, Videoverleihe, Bootsverleihe oder Autoverleihe zu betreiben - auch wenn es sich nicht um „Leihen“ handelt, sondern um Mieten (da die Weitergabe ja nicht unentgeltlich erfolgt). Gleichermaßen ist es legitim, wenn Sie sich bei einem Nachbarn oder Freund Getränke oder Zigaretten ausleihen. Laut BGB sind Sie bei einer Leihe zur Rückgabe verpflichtet - das ist bei einer geliehenen Flasche Wasser nicht möglich, wenn Sie sie ausgetrunken haben. Der Begriff der „Leihe“ wird im Zusammenhang mit der Zeitarbeit benutzt, um darauf hinzuweisen, dass die eingesetzten ArbeitnehmerInnen ausschließlich zu ihrem Zeitarbeitsunternehmen in einem Arbeitsverhältnis stehen und nicht zum Einsatzbetrieb. Wenn man - so wie Sie es tun, Herr Thiele - lediglich von den BGB §§ 598ff. ausginge, dann wäre es u.U. zutreffender von „Mietarbeit“ statt von „Leiharbeit“ zu sprechen - ob wir dadurch etwas am Grundproblem ändern, muss  bezweifelt werden. Auch über den Begriff der „Zeitarbeit“ ließe sich durchaus streiten, weil hierbei nicht dem Umstand Rechnung getragen wird, dass die MitarbeiterInnen bei den Zeitarbeitsunternhemen dauerhaft und festangestellt sind. Der Begriff der „Zeitarbeit“ könnte dagegen suggerieren, die MitarbeiterInnen würden nur zeitweise (und nicht dauerhaft und festangestellt) arbeiten bzw. in einem Arbeitsverhältnis stehen. Ein Streit um Begrifflichkeiten führt uns also nicht weiter. Wir brauchen stattdessen konkrete politische Vorgaben, um die Schlechterstellung der ZeitarbeitnehmerInnen zu korrigieren - unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch.
Vor drei Jahren wurde dieser Vorschlag von Ihnen im übrigen auch im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages beraten. Die Beratung hatte zum Ergebnis, dass eine Besserstellung der ArbeitnehmerInnen durch eine Änderung der Begrifflichkeiten des AÜG nicht erreicht werden kann, sondern nur über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Und genau das werden wir tun.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Sebastian Blumenthal