Frage an Sascha Raabe von Michael W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Abgeordneter Herr Dr. Raabe,
ich habe eine Frage zum Thema "Killerspiele". Heute musste ich wieder lesen, dass die InnenministerInnen von Bund und Ländern ein Verbot von so genannten "Killerspielen" fordern und dies noch vor der Bundestagswahl durchsetzen wollen.
Da ich persönlich seit vielen Jahren begeisterter Gamer bin und unter anderem Ego-Shooter spiele, habe ich ein paar Fragen an Sie:
1. Wie stehen Sie persönlich zu einer sochen Regelung?
2. Glauben Sie, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema möglich ist oder werden weiterhin Stammtischparolen die öffentliche Diskusion beherschen?
3. Sind den politischen Akteuren die Folgen einer solchen Regelung in Bezug auf Wirtschaft und Bildung bewusst? Die Computerspiele-Industrie setzt sehr viel Geld in Deutschland um, immer mehr Spiele werden in Deutschland entwickelt, was Arbeitsplätze schafft und erhält.
4. Glauben Sie, dass eine entsprechende Regelung durchzusetzen ist? Die allgemeine Tendenz der Gamer Community lautet einfach weiterzumachen, egal wie die Gesetzeslage ist. Dank internationaler Versandhäuser wird es kaum ein Mittel geben sie aufzuhalten. Einziges Ergebnis: Auf einen Schlag werden Millionen von Bundesbürgern kriminalisiert und die Umsätze fließen ins EU Ausland ab.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
mfg
Michael Wittmann
Sehr geehrter Herr Wittmann,
vielen Dank für Ihre Email, in der Sie auf den Beschluss der Innenministerkonferenz vom 05. Juni 2009 verweisen.
Die Innenminister der Länder haben als Konsequenz aus dem Amoklauf von Winnenden am 01. März 2009 unter anderem beschlossen, für „Spiele, bei denen ein wesentlicher Bestandteil der Spielhandlung die virtuelle Ausübung von wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen oder anderen grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen ist (Killerspiele), ein ausdrückliches Herstellungs- und Verbreitungsverbot so schnell wie möglich umzusetzen.“
Ich teile Ihre Auffassung, dass die mancherorts geführte Debatte bezüglich noch weitergehender Regelungen bei besonders gewalthaltigen Computerspielen (die Verwendung des Begriffs „Killerspiel“ lehne ich ab) problematisch ist, weil sie zu kurz greift. Gewaltverherrlichende Computerspiele fallen bereits heute unter das Verbot des § 131 StGB. Im Jahr 2003 wurde der Tatbestand des § 131 Abs. 1 StGB übrigens auf die Darstellung von Gewalttätigkeiten gegen menschenähnliche Wesen erweitert und damit das Strafrecht an dieser Stelle auch in Bezug auf Computerspiele und die dort typischen Simulationen ergänzt. Die Forderung nach einer Einführung eines Verbotes sogenannter „Killerspiele“ übersieht die geltende Rechtslage. Hinzu kommt, dass nicht weniger bedeutsame Aspekte eines wirksamen Jugendmedienschutzes den verantwortungsvollen Umgang mit den Medien und die hierfür notwendige Medienkompetenz umfassen müssen.
In aller Kürze möchte ich auf die geltende Rechtslage zum Jugendmedienschutz eingehen. Dies erscheint mir notwendig, um die Debatte um die Computerspiele zu versachlichen. Der Jugendmedienschutz ist in Deutschland dreistufig geregelt. Relevant ist das Jugendschutzgesetz (JuSchG) für Trägermedien (Offline-Medien wie z.B. Bücher, Videofilme, Computerspiele auf CDs), der Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) für Telemedien (z.B. Spiele, die online im Internet zu finden sind) und das Strafgesetzbuch (StGB) für Träger- und Telemedien.
Die erste Stufe ist die gesetzlich vorgeschriebene Alterskennzeichnung: Alle Medien müssen im System der staatlich überwachten Selbstkontrolle eine Alterskennzeichnung erhalten. Kindern und Jugendlichen dürfen nur die Angebote zugänglich gemacht werden, die für ihre Altersstufe freigegeben sind („Freigegeben ohne Altersbeschränkung“, „Freigegeben ab 6 Jahren“, "Freigegeben ab 12 Jahren“, „Freigegeben ab 16 Jahren“, „Keine Jugendfreigabe“). Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) führt das Prüfverfahren zur Altersfreigabe bei Computerspielen an dem auch die Obersten Landesjugendbehörden mitwirken, durch.
Die zweite Stufe des Jugendmedienschutzes ist die Möglichkeit der Indizierung: Jugendgefährdende Träger- und Telemedien werden durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert und dürfen Kindern oder Jugendlichen damit weder verkauft, überlassen oder anderweitig zugänglich gemacht werden. Es gilt ein Werbeverbot und der Versandhandel ist nur eingeschränkt erlaubt. Durch die Indizierung wird der Zugang auch für Erwachsene wesentlich erschwert (Stichwort „unter der Ladentheke“), er ist aber möglich, denn diese Medien sind nicht verboten. Wegen des Zensurverbots können Medien erst dann indiziert werden, wenn sie bereits auf dem Markt sind.
Die dritte Stufe ist schließlich das Verbot von Gewaltdarstellungen gemäß § 131 StGB. Medien, die „grausame Gewalttätigkeiten gegen Menschen“ enthalten, sind verboten, wenn sie Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder die Menschenwürde verletzen. Dies gilt auch im Hinblick auf „menschenähnliche Wesen“. Über die Indizierungsfolgen hinaus gilt ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot. Zuständig hierfür sowie für eine mögliche Beschlagnahme sind die Gerichte. Computer-spiele fallen, so sie denn bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bereits heute unter § 131 StGB, egal ob Offline- oder Online-Spiele, denn das StGB gilt sowohl für Träger- als auch Telemedien.
Darüber hinaus wurde erst im vergangenen Jahr das Jugendschutzrecht novelliert. Seit dem 1. Juli 2008 ist der Katalog der schwer jugendgefährdenden Trägermedien, die indiziert sind, im Hinblick auf Gewaltdarstellungen erweitert. Die Indizierungskriterien wurden in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen präzisiert, zudem wurde die Mindestgröße der Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle gesetzlich festgeschrieben. Mit dieser Novellierung des Jugendschutzrechtes können nun auch solche Medien, die besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, mit einem weit reichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverbot belegt werden. Auch die im Jugendschutzgesetz genannten Indizierungskriterien wurden in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen erweitert und präzisiert. Die Aufzählung der Indizierungskriterien des Gesetzes wurden beispielsweise erweitert um Mord- und Metzelszenen, die detailliert dargestellt wer-den oder die Selbstjustiz verherrlichen.
Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an die Evaluation des Jugendmedienschutzes durch das Hans-Bredow-Institut, welche nicht zuletzt die Grundlagen für die Novellierung des Jugendschutzrechtes im vergangenen Jahr bildete. Ergebnis dieser Evaluation war, dass es im Hinblick auf Computerspiele in Deutschland einen vorbildlichen und wirksamen Jugendmedienschutz gibt, wenngleich Defizite im Vollzug des Jugendmedienschutzes bestehen. So werden wir in der nächsten Wahlperiode prüfen, ob eine engere Zusammenarbeit zwischen der Bundesprüfstelle und der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle zur Wahrung der Indizierungsstandards ermöglicht werden kann.
Vor allem aber hat die Evaluation deutlich gemacht, dass zusätzliche Verschärfungen und gesetzliche Verbote, beispielsweise durch eine Erweiterung des Paragraf 131 StGB zur Gewaltverherrlichung, nicht nur unnötig sind, sondern auch wirkungslos wären.
Festzuhalten bleibt, dass Verbotsdiskussionen allein viel zu kurz greifen. Nicht Gesetzeslücken verhindern die Strafverfolgung, sondern die mangelnde Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten. Jedem Bundesland bleibt es daher selbst überlassen, durch entsprechende Personalausstattung der Strafverfolgungsbehörden eine härtere Verfolgung zu ermöglichen. Dies ist sinnvoller als regelmäßige Verbotsdebatten.
Im Vordergrund unserer Bemühungen zur Umsetzung eines wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutzes steht die Förderung und Stärkung von Medienkompetenz in Familien stehen, deren Notwendigkeit die Evaluation des Hans-Bredow-Institutes deutlich machte. Die Medienkompetenz muss aber auch im Kindergarten, in der Schule und in der Jugendarbeit gestärkt werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen wichtig. In Kitas und Schulen können Kinder Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen und wertvolle Erfahrungen machen, die sie vor Vereinsamung und Gewalt schützen.
Bei allen bestehenden Problemen mit so genannten „Killerspielen“ und dem Wunsch, diese einzudämmen, dürfen wir nicht vergessen, dass für einen modernen Kinder- und Jugendschutz die Medienerziehung sowie die Medienverantwortung sehr bedeutsam sind. Es geht jedoch nicht nur um Medienerziehung. Die hier problematisierten Computerspiele propagieren in der Regel einfache Rollenmuster (starke Helden, autoritäres Durchsetzen, Gewalt als legitimes Mittel, Frauen als Objekte etc.). Daher sind alle pädagogischen Alltagsbereiche gefragt, um andere Problemlösungskompetenzen vermitteln. Darüber hinaus ist eine ehrliche Diskussion über die Situation in den Schulen aber auch in den Familien nötig. Leider haben viele Bundesländer eine äußerst geringe Ausstattung mit Schulpsychologinnen und -psychologen. Es darf nicht sein, dass Eltern, Geschwister, Nachbarschaft, Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer nicht reagieren, wenn Kinder und Jugendliche oft tagelang in die Parallelwelt der Computerspiele abtauchen. Von Seiten der Wissenschaft wird immer wieder – zu Recht – eine „Kultur des Hinsehens“ gefordert.
Mit freundlichen Grüßen
Sascha Raabe