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Sabine Wils
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Frage von Gisela W. •

Frage an Sabine Wils von Gisela W. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrte Frau Wils,

eben lese ich auf http://www.nachdenkseiten.de/?p=13429:
"Vattenfall-Klage gegen Atomausstieg in Washington eingereicht – NGOs fordern Transparenz und Umdenken bei Investitionsverträgen
Der Energiekonzern Vattenfall hat jetzt vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington seine Klage gegen den deutschen Atomausstieg eingereicht. Hierzu erklärte Peter Fuchs, Investitionspolitik-Experte vom Verein PowerShift in Berlin:
„Ohne Rücksicht auf das deutsche und europäische Rechtssystem klagt Vattenfall erneut in einem internationalen Schiedsverfahren gegen die Umwelt- und Energiepolitik Deutschlands. Der Konzern will mit Hilfe dieser Klage und seiner hochbezahlten Anwälte die Kosten des Abschaltens der AKWs Krümmel und Brunsbüttel auf die Steuerzahler abwälzen, also sozialisieren. Dies kann den Bundeshaushalt mit über 1 Milliarde Euro zusätzlich belasten.
Der eigentliche Skandal liegt aber woanders: Die deutsche Bundesregierung und die Mitglieder des Deutschen Bundestags sind es, die internationalen Konzernen durch ihre Investitionsabkommen überhaupt erst solche Extra-Klagerechte außerhalb unseres eigenen Rechtssystems geben. Gegenwärtig tobt innerhalb der Europäischen Union ein Streit um die zukünftige Ausgestaltung solcher Investor-Staat-Schiedsverfahren in internationalen Abkommen. Und die Bundesregierung ist es, die nichts, aber auch gar nichts aus dem Vattenfall-Fall und ähnlichen Konzernklagen lernen will. Sie spricht sich weiter entschieden für Geheimnistuerei, für weitreichende Rechte beim Eigentumsschutz (ohne jedwede Pflichten) und für Extra-Klagemöglichkeiten transnationaler Konzerne aus.
Quelle: PowerShift"

Wie stehen Sie, wie Ihre Partei zu diesem Skandal und welche Lösungen schlagen Sie vor?
Ist Ihre Fraktion in dieser Angelegenheit im EU-Parlament tätig gewesen und wenn ja, wie?

Mit freundlichen Grüßen

Gisela Walk

Portrait von Sabine Wils
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Walk, liebe Gisela,

vielen Dank für deine Anfrage. DIE LINKE lehnt sowohl den Energiecharta-Vertrag, als auch die bilateralen Investitionsschutzabkommen und die Freihandelsverträge der EU ab. Im konkreten Fall beruft sich Vattenfall auf den Energiecharta-Vertrag und macht von seinem darin enthaltenen Klagerecht vor internationalen Schiedsgerichten Gebrauch. Es ist ein Skandal, dass Konzernen in diesen internationalen Verträgen ein solches Klagerecht zusteht, das einer rechtsstaatlichen und gemeinwohlorientierten Politik entgegensteht.

Transparenz und Rechtsstaatlichkeit wird in dem Schiedsverfahren klein geschrieben werden. Denn das von Vattenfall eingeleitete Verfahren vor dem "Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten" (ICSID) in Washington funktioniert nach anderen Regeln als die Klagen von E.ON und RWE vor dem Bundesverfassungsgericht. Das aus drei Investitionsrechtlern bestehende ICSID-Tribunal entscheidet in geheimer Sitzung und auf Basis des sehr unpräzise formulierten internationalen Investitionsschutzrechtes darüber, ob Deutschland eine milliardenschwere Entschädigung an den Atomkonzern Vattenfall zahlen muss. Das Urteil ist letztinstanzlich, also ohne Revisionsmöglichkeiten.

Auf Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. sollte sich die Bundesregierung nun im Umweltausschuss zur Vattenfall-Klage äußern. Umwelt-Staatssekretärin Katharina Reiche teilte das Datum der Klageeinreichung mit und den Grund: Vattenfall fühlt seine Rechte aus der Energiecharta, einem Investitionsschutzabkommen, verletzt und fordert daher Schadensersatz. Ansonsten seien schwierige Rechtsfragen zu klären und "dazu können und werden wir uns während des Verfahrens nicht äußern." Keine Auskunft zum Gegenstand der Klage. Keine Angaben zur Höhe der von Vattenfall geforderten Entschädigungszahlung. Selbst solche Fragen zur Energiecharta, die keinen direkten Bezug zur Klage hatten, wurden zurückgewiesen.

Aus diesem Grund muss man sich über die Klage Vattenfalls gegen den Atomkompromiss 2.0 fast freuen. Denn sie rückt die demokratiefeindlichen Investitionsabkommen etwas mehr ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt erfährt die Bundesregierung am eigenen Leib, wie es ist, wenn Investitionssicherheit, man könnte auch sagen: private Konzerninteressen, durch zwielichtige Abkommen vor nationale Politik gestellt werden. Im EU-Parlament werde ich konkret zu diesem Fall eine Anfrage an die Kommission stellen.

Doch der Bundesregierung scheint dies komplett egal zu sein. Der LINKEN Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert fragte die Bundesregierung im März 2012: "Wie bewertet die Regierung den Umstand, dass ein geheimes Schiedsgremium privater Investitionsrechtsanwälte über die Zulässigkeit des deutschen Atomausstiegs und über die Höhe einer Entschädigung entscheidet, ohne dass das Rechtsstaatsprinzip -- Stichwort: unabhängige Richter, Transparenz, Sozialpflichtigkeit des Eigentums -- eine Rolle spielt?" Die lapidare Antwort der Bundesregierung: Dies entspreche "bewährter jahrelanger internationaler Praxis". Auf die Frage, wie die Bundesregierung, die Information von Parlament und Öffentlichkeit über den Stand des Verfahrens gewährleisten wolle, antwortete sie: "Die Schiedsverfahren nach der ICSID-Konvention sind vertraulich."

Da verwundert es dann auch gar nicht mehr, wenn die Bundesregierung diesen Mangel an Transparenz und Rechtsstaatlichkeit im gegenwärtig laufenden Überprüfungsprozess der Energiecharta nicht ändern will. Auf eine schriftliche Frage der LINKEN Abgeordneten Ulla Lötzer, ob sich die Bundesregierung dafür einsetzen würde, "dass zukünftig keine Investor-Staat-Schiedsverfahren mehr über staatliche Regulierungsmaßnahmen im Gemeinwohlsinne befinden können", antwortete sie kurz mit einem "Nein".

Auf gemeinsames Drängen der Oppositionsfraktionen prüft die Bundesregierung nun, ob die Klageunterlagen zumindest als geheime Verschlusssache für die Abgeordneten einsehbar gemacht werden. Dies könne aber nur ein erster Schritt sein, so die Vorsitzende des Umweltausschusses Eva Bulling-Schröter. Sollte die Regierung auch diesen Schritt verweigern, werde auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Freigabe der Informationen erwogen, wird der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch in der TAZ zitiert.

Die Konsequenz aus der Vattenfall-Klage sollte eine breite Debatte über internationale Investitionsregeln zur Stärkung der Energiewende und zur Beförderung einer nachhaltigen Entwicklung sein. Es ist ein Skandal, dass diese Verträge internationalen Konzerninteressen dienen und eine gemeinwohlorientierte Umweltpolitik damit ausgehebelt wird. Im Europaparlament bleibt der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse nur der Weg, die Opposition zu dieser internationalen Investitionspolitik aufrechtzuerhalten und der Kritik daran zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Letztendlich kann nur der öffentliche Druck die nationalen Regierungen zu einem Umdenken bewegen.

Mit solidarischen Grüßen

Sabine Wils