Frage an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von Burkhard R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger ,
noch ist es nicht zu spät das Gesetzt zur Gesundheitsreform in den Papierkorb zu schmeißen und eine wirkliche Reform zu beschließen mit dem hauptsächlichen Ziel ohne wenn und aber zu sparen, sparen und sparen. Zum Beispiel:
- Ärzte-Behandlungspauschale nach französischen Vorbild und damit Abbau der Bürokratie in Arztpraxen.
- Bezahlung der Behandlung bei jedem Arztbesuch und Erstattung durch die Kassen direkt an den Patienten.
- Abschaffung der der Kassenärztlichen Vereinigungen, die so überflüssig wie ein Kropf sind.
- Zusammenlegung der vielen kleinen Kassen zu wenigen großen.
- Pflichtversicherung für alle Bundesbürger, Angestellte, Beamte, Freiberufler.
- Abschaffung der Unterschiede zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen.
- Abschaffung aller einengenden Vorschriften für Apotheken.
Trauen Sie sich zu hierfür zu kämpfen?
Sehr geehrter Herr Reineking,
vielen Dank für Ihren Beitrag auf abgeordnetenwatch.de vom 18. Januar 2007.
Die FDP hat im Bundestag geschlossen gegen die Gesundheitsreform gestimmt. Dass nur 378 der 447 Abgeordneten von CDU/CSU und SPD dafür gestimmt haben, zeigt die enorme Verunsicherung im Regierungslager. Das unionsregierte Sachsen erwägt sogar, der Reform im Bundesrat die Unterstützung zu verweigern. Schwarz-Rot ist an dem Vorhaben gescheitert, ein tragfähiges und zukunftsträchtiges Gesetz zur Krankenversicherung zu verabschieden.
Die von der Großen Koalition beschlossenen Änderungen werden den selbst gesetzten Zielen nicht gerecht. Es erfolgt keine Entlastung weder der Lohnzusatzkosten noch der Versicherten, stattdessen steigen die Beitragssätze selbst im günstigsten Fall auf ein Rekordniveau von knapp 16%; keine Entkoppelung von Gesundheitsausgaben und Arbeitskosten, keine Entbürokratisierung, stattdessen kommt mit dem so genannten Fonds ein weiteres bürokratisches Instrument hinzu, keine Vorsorge für die demografische Entwicklung, stattdessen bleibt es bei Umlagefinanzierung zu Lasten der jungen Generation, keine Transparenz; weder bei den Beiträgen noch bei den Abrechnungen, bei denen am Sachleistungsprinzip festgehalten wird, keine Freiheit für die Versicherten, ihren Versicherungsschutz weitgehend selbst zu gestalten, keine Konzentration der über Zwangsbeiträge finanzierten Leistungen auf das medizinisch unbedingt Notwendige, keine vernünftige Finanzierung, da die Koalition den höheren Zuschuss für die gesetzlichen Krankenkassen aus Budgetmitteln - ergo mit Hilfe aberwitziger Steuererhöhungen - aufbringen will.
Durch dieses Gesetz werden mit der Umlagefinanzierung, der Lohngebundenheit und der mangelnden Kosten- und Leistungstransparenz die Strukturen eines Krankenversicherungssystems beibehalten, das nicht geeignet ist, die Probleme des Arbeitsmarktes, der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts in den Griff zu bekommen. Bedenklich stimmt dazu, dass die SPD wohl ihre Vorstellung vom Einstieg in ein steuerfinanziertes System durchzusetzen scheint. Der vorgesehene Bundeszuschuss soll dem Finanzministerium zufolge nun doch mit Steuererhöhungen finanziert werden. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass die Instrumente eines steuerfinanzierten staatlichen Gesundheitssystems zu Wartelisten und Rationierung führen - auch wenn das die Sozialdemokraten nicht wahrhaben wollen.
Die Große Koalition hat den Weg in eine staatliche Einheitsversicherung mit einer Einheitsmedizin geebnet. Die Selbstverwaltung wird weitgehend entmachtet: durch die Wegnahme der Beitragsautonomie, durch den kassenartenübergreifenden Bundesdachverband und durch die Übertragung der Entscheidungsgewalt im Gemeinsamen Bundesausschuss auf Hauptamtliche. Statt der angeblich gewollten Stärkung des Wettbewerbs ist ein Nivellierungskonzept herausgekommen: Autonom durch die gesetzlichen Krankenkassen festgesetzte Beitragssätze als Wettbewerbsparameter wird es nicht mehr geben. Vielmehr bestimmt und verwaltet der Staat, wie viel Geld welche Krankenkasse zugeteilt bekommt. Der Staat setzt den Beitragssatz fest. Die Beiträge fließen zusammen mit den Steuermitteln in einen Topf, aus dem nach Anwendung des Risikostrukturausgleichs Geld an die einzelnen Krankenkassen verteilt wird. Warum sich Frau Merkel von einer solchen Lösung, die die Beziehung von Leistung und Gegenleistung komplett ausschaltet, mehr Transparenz verspricht und warum das unbürokratisch sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
Die von der FDP geforderte Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge wäre wesentlich einfacher zu handhaben. Die PKV wird zwar -- noch -- nicht in den Fonds einbezogen, die Bedingungen werden dafür aber zumindest für den Basistarif geschaffen, den sie verpflichtend für alle freiwillig Versicherten und alle ehemals PKV -- aktuell aber Nichtversicherten anbieten muss. Die Mitgabe der Altersrückstellungen für bereits heute privat Versicherte wird zudem auch im freien PKV-Markt Nivellierungen notwendig machen. Tarifliche Vielfalt ist in einem solchen Zuteilungssystem nicht möglich. Der Bereich, der hierfür allenfalls geeignet wäre, der kassenindividuelle Sonderbeitrag, hat mit maximal 1 Prozent der Haushaltseinkommen ein so geringes Volumen, dass sich de facto keine differenzierten Angebote entwickeln können. Über den Krankenkassendachverband werden die Kassenarten weitgehend gleich geschaltet. Er soll verbindlich für die Krankenkassen und ihre Verbände handeln z. B. in der gemeinsamen Selbstverwaltung, beim Vergütungsrahmen für die Ärzte, bei der Festsetzung von Festbeträgen sowie bei der Festsetzung von Mindestqualitätsstandards. Einheitliche Vergütungssätze für Ärzte und Zahnärzte, die durch den Dachverband auf Bundesebene ausgehandelt werden, schalten die Preise der einzelnen Krankenkassen zunächst gleich. Die Möglichkeit, darunter Einzelverträge mit Ärzten und anderen Gesundheitsanbietern zu schließen, wird man angesichts der staatlichen Finanzzuteilung und der stark begrenzten Möglichkeit der Erhebung einer Zusatzprämie nur nutzen, um es billiger zu machen. Qualität spielt keine Rolle. In den Eckpunkten ist die Rede von Wettbewerb. Praktiziert wird aber der Geist der Bevormundung. So sollen Versicherte nur noch von der verminderten Überforderungsgrenze für Chroniker profitieren, wenn sie sich in Chroniker-Programme einschreiben, obwohl sie auf andere Art und Weise vielleicht besser behandelt werden. Die Ermöglichung der individuell optimierten Therapie wird mehr und mehr aufgegeben zugunsten einer allgemeinen Durchschnittstherapie, die bezahlbar erscheint. Die Patienten haben aber nicht einmal die Möglichkeit, sich für einen anderen, umfassenderen Tarif zu entscheiden. Sie werden mit der zu erwartenden Rationierung und den langen Wartezeiten leben müssen, ohne sich dagegen wehren zu können.
Die Freien Demokraten werden weiterhin die kritische Auseinandersetzung mit dieser Reform der Großen Koalition suchen. Es kann nicht sein, dass Union und SPD ein solch wichtiges Thema angesichts der massiven Kritik aller Beteiligten des Gesundheitswesens möglichst schnell vom Tisch haben wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger