Frage an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von Christian K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Ich habe da mal eine juristische Frage zum Thema Contergan: müsste man nicht angesichts der Entwicklung seit 1974 bei den Entschädigungen in Deutschland die Conterganrente neu betrachten?
Heute (11. juni 2009) wurde im Fernsehen von einer Frau berichtet, die nach einer Hirnschädigung in Folge eines Autounfalles 7,5 Millionen Euro von der Versicherung will. Dabei ist diese Summe nicht interessant, sondern die Tatsache, dass sie bereits 4000 Euro Unfallrente bezieht. Die Frau ist Mutter und ein 24-Stunden-Pflegefall. Das kann man mit einer vierfach Contergangeschädigten Mutter vergleichen, die aber mit 1090 Euro im Monat zurecht kommen muss.
Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1976 hat man die Entschädigung der Conterganopfer aus dem Privatrecht herausgenommen. Muss man nicht annehmen, dass dieser Umstand deshalb erwähnt wurde, weil man bei Entschädigungen damals wesentliche Änderungen erwartete, die eine Erhöhung der Conterganrente zur Folge hätten haben müssen?
Für die Betroffenen war es wie ein Schlag in die Magengrube, wie man in den 80`iger Jahren auf die Feststellunge reagierte, dass diese Familie und (gesunde!) Kinder haben. Es hieß damals, es mache einen Unterschied, ob man als Kind oder als Erwachsener geschädigt wurde. Überspitzt gesagt, hieß das ja, Conterganopfer dürfen von Seiten der Entschädugung weder heiraten, noch Kinder kriegen. Das traf uns damals doppelt, den man hatte ja unter anderem früher behauptet, wir seien steril, impotent oder würden nur verkrüppelte Kinder zeugen können.
Ich denke, auch vor dem Hintergrund der neuen UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen, dass hier ein Unrecht geschehen ist. Ich denke, dass dieses Unrecht auf selbsternannte Experten in Sachen Contergan zurückzuführen ist und beseitigt werden muss.
Mit freundlchen Grüßen,
Christian G. Knabe
Sehr geehrter Herr Knabe,
vielen herzlichen Dank für Ihr Schreiben.
Die FDP hat es sehr begrüßt, dass die Bundesregierung nicht nur die vorgesehene Rentenanpassung von 5% durchgeführt hat, sondern die Conterganrenten mit Zustimmung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zum 01. Juli 2008 verdoppelt wurden. Dieser Schritt wird den steigenden Belastungen der Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung gerecht.
Darüber hinaus halten wir es auch für wünschenswert, dass die Fraktionen sich gemeinsam über das weitere politische Vorgehen verständigen, da es eindeutig Verbesserungsbedarf gibt. Die FDP hat daher auch bei der ersten Lesung des Gesetzes zur Verdoppelung der Conterganrenten angeregt, dass der Bundestag sich in einem gemeinsamen Antrag auf das weitere Vorgehen bei der Hilfe für Contergangeschädigte einigt.
Am 22. Januar 2009 hat der Deutsche Bundestag einem Antrag der Fraktionen der Regierung und der FDP zur Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der contergangeschädigten Menschen zugestimmt (BT-Drucksache 16/11223). Wir haben in der Debatte aber auch betont, dass einige Forderungen der FDP über den gemeinsam mit der Koalition beschlossenen Antrag hinaus gehen, d. h. wir sahen in einigen Punkten keinen Prüfbedarf mehr, sondern hielten sie für umsetzungsreif.
Diese Punke waren die Dynamisierung des Rentenanspruchs und die Streichung des Fristausschlusses. Ich begrüße es daher grundsätzlich, dass sich die Koalition dieser Forderung sehr weitgehend im neuen Conterganstiftungsgesetz angeschlossen hat, dessen Anhörung am 4. Mai 2009 stattfand. Allerdings sehen wir noch immer Änderungsbedarf.
o Dynamisierung des Rentenanspruchs
Vor der Erhöhung der Conterganrenten zum 1. Juli 2008 erfolgte die letzte Rentenerhöhung für Contergan-Opfer zum 1. Juli 2004. Diese Zeiträume sind unbefriedigend, da die Inflation die Rentenerhöhung aushöhlt. Die prozentuale jährliche Anpassung der Altersbezüge auf die Conterganrenten zu übertragen, ist ein guter und unbürokratischer Weg der Dynamisierung. Gleichzeitig sollte die Rente aber in geeigneten Zeiträumen (z. B. 5 Jahre) grundlegend überprüft werden, da mit fortschreitendem Alter der Contergangeschädigten auch der Hilfebedarf weiter zunehmen dürfte. Hier hätte die FDP gerne eine Klarstellung im Gesetz. Desweiteren haben wir in der Anhörung auch darauf hingewiesen, dass durch die positive und gewollte Dynamisierung der Conterganrente anhand des Dynamisierungsfaktors der Altersrente, es bei sinkenden Altersrenten zu sinkenden Conterganrenten kommen könnte. Die FDP tritt für eine definitive Klarstellung im Gesetz ein, dass ein Sinken der Conterganrenten ausgeschlossen ist.
o Fristausschluß
Bis zum 31.12.1983 mussten Ansprüche bei der "Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder" (2005 in "Contergan-Stiftung für behinderte Menschen" umbenannt) geltend gemacht werden, um einen Anspruch auf Zahlungen zu erhalten. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass diese Frist ausreichend ist. Wir wissen nunmehr, dass diese Annahme falsch war. Aus diesem Grund lehnt die FDP es ab, dass nun diese alte Frist durch eine neue Frist bis zum 31.12.2010 ersetzt wird. Die FDP hält den Zeitraum für zu kurz, da auch heute noch Betroffene des Conterganskandals "entdeckt" werden, die also die Frist schon deshalb nicht wahrnehmen können, weil sie von ihrer eigenen Betroffenheit nichts wissen. Sinn der durch Gesetz vom 17.12.1971 errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts ist es, Individualleistungen für Behinderte, deren Fehlbildungen durch Thalidomid (Contergan®) hervorgerufen wurden, zu erbringen. Wer eindeutig zu dieser Gruppe gehört, muss auch Leistungen nach diesem Gesetz erhalten können. Der vorliegende Gesetzentwurf zum Conterganstiftungsgesetz geht davon aus, dass 60% aller noch zu erwartenden Anträge auf Leistung noch dem Gesetz den Rentenhöchstsatz beziehen werden. Dies zeigt deutlich, wie eindeutig falsch die Frist war und eine neue Frist sein wird. Egal, ob es sich um 100 oder 500 Personen handelt, die aufgrund ihrer Conterganschädigung noch einen Leistungsanspruch hätten, und egal in welchem Umfang es gegebenenfalls Nachzahlungen geben wird. Die FDP ist für die sofortige Streichung der Frist, sowohl der alten wie der neuen. Es ist der einzige vernünftige Weg.
Der Contergan-Hersteller Grünenthal hat eine stärkere Unterstützung von Geschädigten in Aussicht gestellt und sich freiwillig im Mai 2008 verpflichtet, nochmals 50 Mio. Euro in die Conterganstiftung einzuzahlen. Dieser Betrag wird mit Inkrafttreten des demnächst zu verabschiedenden neuen Conterganstiftungsgesetzes fällig.
Die von der Grünenthal GmbH eingebrachte Spende von 50 Mio. Euro in die Conterganstiftung ermöglicht es, eine jährliche Sonderzahlung für den besonderen Bedarf der contergangeschädigten Personen auszuschütten. Darüber hinaus werden nochmals 50 Mio. Euro aus dem Stammvermögen der Stiftung unmittelbar an die leistungsberechtigten Personen ausgezahlt werden. Der Kapitalstock der Stiftung wird bis auf einen Restbetrag von rund 7 Millionen Euro nach und nach aufgezehrt. Durch diese langfristige Kapitalisierung des Stiftungsvermögens fließt dieses somit dem Personenkreis zu, der einen Anspruch darauf hat. Insgesamt stehen 100 Millionen Euro nebst Erträgen für diese jährlichen Sonderzahlungen zur Verfügung, die je nach Schwere ihrer Behinderung gestaffelt werden. Die FDP hält den hier aufgezeigten Weg für gut und wird ihn unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger