Frage an Sabine Leidig von Gisela S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Leidig,
in einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 14.12.2012 über das Projekt „Stuttgart 21“, das u.a. den Bau eines Bahnhofs mit acht Gleisen beinhaltet, heißt es über eine Äußerung des zuständigen DB-Vorstands Volker Kefer in der Sondersitzung im Verkehrsausschuss u.a.:
„Demnach räumte der DB-Manager ein, aus heutiger Sicht würde man sich wohl „sehr gut überlegen“, ob man das Projekt anpacken würde.“
Weiter wird dort berichtet, dass Konzernkreise Kosten von bis zu 10 Milliarden Euro für realistisch halten.
Dabei handelt es sich um eine Kostensumme, die von Gutachtern schon vor einiger Zeit genannt und auch belegt wurde.
Die Äußerungen sind zu finden unter
Betrachtet man nun noch die 60 km Untertunnelung unter eine Großstadt und die dort vorhandene Bodenbeschaffenheit, so wurde schon mehrmals festgestellt, dass die Bahn auf diesem Gebiet „völliges Neuland“ betritt.
Es ist also – neben der Brandschutz-Problematik – eine Unsicherheit vorhanden, angesichts derer angenommen werden muss, dass sie sich auch auf die Kostensituation auswirken wird.
Meine Frage lautet:
Was wären aus diplomatischer Sicht die Folgen, was das – momentan ja gute – Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarstaaten angeht – wenn nach Inbetriebnahme ein Unfall mit einem oder mehreren ICE-Zügen passiert, da ja die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der bzw. die Züge auch mit Fahrgästen aus unseren europäischen Nachbarstaaten sitzen werden?
Mit freundlichen Grüßen – und guten Wünschen für die Weihnachtstage,
Gisela Stoll
Sehr geehrte Frau Stoll,
Sie stellten an mich am 12. und am 23.12. Fragen in Sachen Stuttgart 21, die ich gerne beantworte. Da sich dabei der Aspekt „Kosten von S21“ überschneidet – in beiden Fragen eine Rolle spielt – beantworte ich die beiden Fragen in einer Antwort, wobei ich mich bemühe, auf alles, was Sie ansprechen, einzugehen.
Kosten von S21
In Ihrer ersten Frage führen Sie richtig die von Herrn Kefer eingestandenen Kosten von 5,6 Mrd. Euro, ergänzt um das zusätzliche „Risiko“ von 1,2 Mrd. Euro an. Man muss angesichts der gesamten Vorgeschichte davon ausgehen, dass bereits heute für Herrn Kefer klar ist, dass die S21-Kosten sich auf mindestens 6,8 Mrd. Euro belaufen.
In Ihrer zweiten Frage zitieren Sie „Konzernkreise“, wonach von Kosten in Höhe „bis zu 10 Milliarden Euro auszugehen“ sei.
Sie fragen dann (in Ihrer Zusendung vom 12.12.), wie ich diese Kostensteigerung bewerte. Die Antwort ist eine dreifache: Erstens bestätigt sich damit alles, was wir seit mehr als drei Jahren vorhersagen und was die Bundesregierung und die Bahn-Spitze bis vor wenigen Wochen vehement bestritt – es gibt eine Kostenexplosion. Zweitens ist damit der Kostendeckel ohne jeden Zweifel gesprengt. Da eine der Hauptaussagen bei der Volksabstimmung vom 27. November 2011 darin bestand, dass S21 auf alle Fälle nicht mehr als 4,5 Mrd. Euro kosten würde (und dass es damals sogar angeblich noch einen „Puffer“ von mehreren hundert Millionen Euro gab), wurde damit auch jede Legitimation für S21, die auf die Volksabstimmung verweist, hinfällig. Drittens ist die absehbare und nun endgültig betätigte Kostenexplosion ein wesentliches Argument dafür, dass S21 umgehend gestoppt werden muss – und dass Alternativen, für uns die Optimierung des Kopfbahnhofs einschließlich des Wiederaufbaus des Nord- und Südflügels, angegangen werden müssen.
Risiken und Unfallgefahren
Die Risiken, die mit S21 verbunden sind, sind enorm und schlicht nicht seriös abzuschätzen. Solche unbeherrschbaren Risiken einzugehen, ist absolut unverantwortlich. Das betrifft ohne Zweifel die von Ihnen angeführte Brandschutzproblematik und die bei Ihnen hervorgehobene Bodenbeschaffenheit mit ihren erst langfristig deutlich werdenden Folgen im Fall von Erderschütterungen (siehe auch die aktuelle Debatte in Köln, wo die U-Bahn unter dem Kölner Dom in diesem weltweit berühmten Gebäude zu beunruhigenden Erschütterungen führt).
Ich möchte ergänzend auf das Phänomen „Schrägbahnhof“ verweisen. Wie Ihnen sicher bekannt ist, wird es im Tiefbahnhof – als Ergebnis einer Sondergenehmigung – eine Bahnhofsneigung von 15,143 Promille geben – die geltende Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) gestattet als Maximum eine Neigung von 2,5 Promille. Etwas plastischer und drastischer: Bei einem 400 m langen ICE wird die Zugspitze mehr als 6 Meter tiefer als das ICE-Ende (oder umgekehrt) liegen. Das, so schrieb Eberhard Happe, langjähriger Lokführer, Ex-Bundesbahn-Direktor und Sachverständiger in der S21-Schlichtung 2010, „ stellt die Lokführer vor bremstechnische Herausforderungen, die weit ab von der gewohnten Routine liegen.“ Die Gefahr von Unfällen im Bahnhofsbereich ist damit erheblich größer als in jedem anderen großen Bahnhof in Europa. Ihre Frage, welche „aus diplomatischer Sicht die Folgen“ eine Unglücks im S21-Tiefbahnhof wären, wenn dabei Fahrgäste aus anderen europäischen Nachbarstaaten zu Schaden kommen würden, ist meines Erachtens schwer zu beantworten. Derzeit dürfte es im Ausland weitgehend unbekannt sein, mit welchen Risiken dieser Bahnhof – der ja im Übrigen mit EU-Geldern gefördert wird – verbunden ist. Auf alle Fälle dürfte es im Fall eines solchen Unfalls förmlich einen Aufschrei im Ausland geben, zumal man Deutschland dort immer noch mit solider Ingenieurskunst in Verbindung bringt. Dabei verstößt das Projekt S21 in vieler Hinsicht gegen geltende Regeln der Ingenieurskunst und gegen das Sicherheitsgebot.
Ich möchte auch darauf verweisen, dass es ja auch internationale Züge gibt, die den Stuttgarter Hauptbahnhof passieren – solche aus Frankreich und solche aus der Schweiz. Sollte ein Zug aus einem Nachbarland in einen Unfall verwickelt werden und sollte der Grund für einen solchen Unfall in der Verletzung solcher Standards liegen, so wird die Kritik im Ausland nochmals größer sein.
im übrigen kann jedes Eisenbahnunternehmen in Europa, also z.B. die französische SNCF oder die schweizerische SBB gegen S21 klagen - beispielsweise weil, wie beschrieben, gegen die EBO verstoßen wird, und weil das Gefälle in diesem Tiefbahnhof in ganz Europa einmalig sein wird. Oder auch, weil der S21-Tiefbahnhof mit einem Abbau der Schienenkapazität verbunden ist. Dies stellt einen Verstoß nach §11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) dar. Für einen solchen Rückbau gibt es keinerlei Genehmigung. Im übrigen ist es natürlich absurd, dass man für den Rückbau der Kapazität des Stuttgarter Hauptbahnhof auch noch 6 und mehr Milliarden Euro an Steuergeldern einsetzen soll.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Leidig