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Sabine Leidig
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Frage von Nils J. •

Frage an Sabine Leidig von Nils J. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Sehr geehrte Frau Leidig,

in der Broschüre des BBR "Steigende Verkehrskosten - bezahlbare Mobilität" (12/2009) wird eindrucksvoll klargemacht, dass unsere Siedlungsstruktur in weiten Teile nicht darauf ausgerichtet ist, mit weniger Energie zu funktionieren. Dies betrifft sowohl den baulichen Bestand als auch die Transportkosten. Neben den Auswirkungen auf den Klimaschutz interessieren mich dabei vor allem die sozialen Folgen. Es wird von den Fachautoren explizit darauf hingeswiesen,dass für einen wachsenden Teil der Bevölkerung soziale Teilhabe deutlich erschwert wird.

Als junger Stadtplaner in einer Kleinstadt im Frankfurter Umland stehe ich dort im politischen Raum allein mit dieser Erkenntnis. Trotz aller Aufrufe der Raumordnung, flächen- und energiesparenden Städtebau zu betreiben, wird teure Klientelplanung zulasten der Allgemeinheit gemacht (z.B. lockerster Einfamilienhausbau in S-Bahn-Haltepunkt-Nähe) - mit dem Hinweis auf die Planungshoheit der Kommunen, und dass sich ja auch sonst alles im gesetzlichen Rahmen bewege.

Kurz: Es werden energiefressende Strukturen für eine reiche (die Lokalpolitik dominierende) Teilklientel an privilegierten Orten festbetoniert, während eine wachsende (Lobbylose) Bevölkerungsgruppe in schlecht angebundene Randlagen verdrängt wird.

Meine Frage: Wird dieses Problem in Ihrem Ausschuss diskutiert? Wenn ja, welche Lösungsansätze werden aufgezeigt?

Als Architekt muss man zumindest die EnEV einhalten - als Stadtplaner vor Ort sind mir die Hände gebunden, wenn es um die Durchsetzung von nachhaltigen Strukturen geht. Ich halte diesen gesetzlichen Zustand für nicht mehr sachgerecht - um nicht zu sagen: fatal.

Ich würde über eine Antwort freuen -

ein gutes 2010 wünscht:

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Jansen,

DIE LINKE tritt für möglichst viel kommunale Selbstverwaltung und möglichst wenig Bevormundung durch Land und Bund ein. Die von Ihnen beschriebene Situation zeigt die Schattenseite der Kommunalhoheit, wenn sie missbraucht und nicht im Interesse des Allgemeinwohls angewendet wird.

Der Bundestag und der zuständige Ausschuss hat sich in der letzten Legislaturperiode (2005-2009) mehrfach mit der von Ihnen hinterfragten Problematik beschäftigt.

Hier 2 Beispiele:
2006 wurde das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte (DS 558 / 06) beraten und beschlossen
Ziel des Gesetzes:
Entbürokratisierung – Verfahrensbeschleunigung durch Verfahrensvereinfachung
Kern des Gesetzes:
Bebauungspläne für Grundstücke bis 20.000 m² (entspricht der Fläche von 4 Fußballfeldern) werden pauschal von Umweltprüfungsverfahren freigestellt

DIE LINKE hat dieses Gesetz abgelehnt. Das Gesetz ist aus unserer Sicht nicht geeignet, Entbürokratisierung und nachhaltige Stadtentwicklung in Einklang zu bringen, Flächenverbrauch zu reduzieren und die Verfahren zur Festsetzung von Bebauungsplänen zu beschleunigen.

2007 wurden mit der Föderalismusreform die Kompetenzen für Raumordnung im Wesentlichen an die Bundesländer übertragen. Dieses Gesetzgebungsverfahren hat den Bundestag und seine Gremien viele Monate beschäftigt.

2008 wurde in Folge der Föderalismusreform das Raumordnungsgesetz novelliert. (Drucksachen 16/10292, 16/10332)

Die Position der LINKEN im Bundestag wird durch den folgenden Auszug aus der Rede der fachpolitischen Sprecherin Heidrun Bluhm wiedergegeben:

Heidrun Bluhm (DIE LINKE):

Hintergrund für den jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes sind nach eigener Darstellung im Zuge der Föderalismusreform geänderte Gesetzgebungskompetenzen. Dabei seien zum einen die „bewährten, von Bund und Ländern gemeinsam getragenen bisherigen Regelungen weitgehend übernommen“ worden, und zum anderen sei in der Gesetzesnovelle gleichzeitig „den praktischen Erfahrungen mit dem bisherigen Raumordnungsgesetz“ Rechnung getragen worden.

Aus Sicht der Linken geht es vor allem um drei wichtige Fragen:

Welchen raumordnerischen Spielraum haben künftig die Länder, und wie flexibel können sie das Gesetz für ergänzendes Landesrecht nutzen?

Wie soll künftig mit natürlichen Ressourcen umgegangen werden?

Welche Möglichkeiten haben Vereine, Verbände und Bürger, sich früher als bisher an planerischen Überlegungen zu beteiligen, damit nicht immer schon alle Messen gesungen sind?
Heute kommen sie oft erst sehr spät und oft zu spät zum Zuge.

Diese Passagen des Gesetzentwurfs lassen den Ländern auch künftig Spielraum, ihre eigenen raumordnerischen Vorstellungen zu verwirklichen und vom Bund abweichende landesgesetzliche Regelungen zu treffen, ohne dass es dazu im Sinne einer möglichst großen bundesweiten Rechtseinheit viel Anlass geben sollte. Das gilt insbesondere für bisherige Regelungen zum Naturschutz, der auch künftig eine hohe Priorität behalten
muss.

Ein wichtiges Thema für die Raumordnung sind „schrumpfende Regionen und Städte“, mit denen wir uns in Zukunft noch weit mehr als bisher angenommen auseinandersetzen müssen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist in Deutschland – besonders in seinem östlichen Teil – ein weiterer Bevölkerungsrückgang
zu erwarten. Zugleich wächst die Zahl der älteren Menschen und ihrer Ansprüche an Wohnung und Versorgung. Um adäquat auf diese zu erwartenden Veränderungen reagieren zu können, muss die Raumordnung für die einzelnen Länder flexible und damit durchaus unterschiedliche Lösungsansätze zulassen. Diesem Grundsatz trägt das neue Gesetz Rechnung.

Oberste Priorität in der Planung hat die Nachhaltigkeit.
Es geht um das Schützen und Schonen natürlicher Ressourcen, damit die kommenden Generationen möglichst unbelastet von Sünden der – aus ihrer Sicht – Vergangenheit
leben können. Nachhaltigkeit bedeutet im Kern das Wahrnehmen von Zukunftsverantwortung.

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass ein vereinfachtes Raumordnungsverfahren nur dann möglich sein sollte, wenn keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind und keine Pflicht zum Durchführen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung entsprechend dem Bundesnaturschutzgesetz besteht.

Ein weiteres sehr wichtiges Anliegen der Linken ist das zugegebenermaßen schwierige Thema der .Flächeninanspruchnahme. oder einfacher und deutlicher formuliert des Flächenverbrauchs.
Der Flächenverbrauch in Deutschland soll bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag gesenkt werden. 2006 betrug er 113 Hektar pro Tag. 30 Hektar pro Tag wären also schon eine deutliche Reduzierung, aber dennoch keineswegs ausreichend. Denn die wachsende oder zumindest nicht in genügendem Maße zurückgehende Zersiedelung hat laut Umweltbundesamt Konsequenzen für Klimaschutz und Ressourcenschonung: Mehr Siedlungs- und Verkehrsflächen bedeuteten mehr Gebäude, die zum Beispiel gewartet, beheizt oder gekühlt werden müssten, weitere Entfernungen verursachten mehr Verkehr und ein höheres Fahrzeugaufkommen. Das absehbare Ergebnis seien höhere Treibhausgasemissionen sowie ein höherer Energie- und Materialverbrauch, so das Umweltbundesamt. Das unterstreicht den Zusammenhang von Raumordnung und Klimawandel. Es gilt auch hier, rechtzeitig zu reagieren. Gerade die Raumordnungspolitik hat im Sinne eines gesamtheitlichen Politikansatzes eine aktiv steuernde und koordinierende Rolle zu übernehmen, wie es Bundesminister Wolfgang Tiefensee im April dieses Jahres zur Eröffnung der Ministerkonferenz in Stuttgart sagte. Diesen richtigen Worten müssen die richtigen Taten folgen. Im Übrigen muss nicht jede Straße, die einmal im Bundesverkehrswegeplan aufgeführt wird und für die theoretisch genügend Geld vorhanden wäre, tatsächlich auch gebaut werden.

Ein wichtiger Aspekt der Novelle ist das frühzeitige und aktive Einbinden der zentralen Akteure. Vereine, Verbände und Bürger sind demnach nicht nur zu informieren, sondern bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Planungen mit einzubeziehen. Das hat zwei Vorteile: Zum einen wird mehr gedanklicher Reichtum gesichert. Zum anderen wächst die Akzeptanz raumordnerischer Ideen und Entscheidungen.

Es bleibt eine Aufgabe der Zukunft, nicht nur gesetzliche Grundlagen zu schaffen, sondern diese durchaus positiven Absichten in praktische Politik umzuwandeln: Wie kann zum Beispiel der Bürgerwille bei komplexen Großvorhaben tatsächlich berücksichtigt werden? Welche Instrumente für eine erfolgreiche Kommunikation gibt es bereits? Welche müssten entwickelt, ausprobiert und weiterentwickelt werden? Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die demokratischen Rechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Naturschutzverbänden und Umweltschutzorganisationen. Es geht insbesondere in Ostdeutschland darum, immer wieder den Ordnungsrahmen zu überprüfen, ob er denn genügend Kreativität und unternehmerischen Handlungsspielraum zulässt. Auch daran ist die Zukunftsverantwortung der Raumordnung zu messen.

Mit freundlichen Grüßen
Sabine Leidig