Frage an Sabine Dittmar von Dr. Lienhard W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag, liebe Frau Dittmar!
Alle Parteien machen sich stark für den Mittelstand. Das ist gut so. Aber wie kommt es dann, daß der Mittelstand trotzdem seit Jahrzenten schrumpft wie Eis in der Sonne?
Meine Frage an Sie als Ärztin bezieht sich auf AMBULANTE ARZTPRAXEN. Offenbar ist eine mächtige Lobby der Medizinkonzerne dabei, unser Gesundheitssystem in aller Stille radikal umzubauen.
Ich zitiere aus einem Stellenangebot, in dem ein Konzern für den „GESCHÄFTSBEREICH AMBULANTE MEDIZIN“ einen Vertriebsmanager sucht. Seine Aufgabe: die „AKQUISE UND INTEGRATION NEUER PRAXEN“ in die Konzernstruktur. Mit anderen Worten: der neue Mann soll unabhängige Arztpraxen aufkaufen und in den Konzern integrieren.
Das Aufkaufen von freien Arztpraxen durch Medizinkonzerne hat schwerwiegende Folgen. Aus selbständigen Ärzten werden Angestellte, die den Anweisungen des Konzerns (z. B. Helios) gehorchen müssen.
Mit der Unabhängigkeit der Ärzte geht wieder ein Stück Mittelstand verloren. Die Ärzte, die ihre Unabhängigkeit verloren haben, werden laut Stellenanzeige herangezogen zur regelmäßigen „BESPRECHUNG DER MONATSABSCHLÜSSE UND DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG“. In QUARTALS-/MONATSGESPRÄCHEN müssen die Ärzte jede Entscheidung rechtfertigen, ob sie im Sinne der Konzerns ist.
Die Folgen für Deutschland sind: Die freien Arztpraxen werden wirtschaftlich ausgebremst, viele werden Pleite gehen. Mit den unabhängigen Ärzten verschwindet nicht nur die medizinische Vielfalt und Wahlfreiheit.
Die konzerneigenen Ärzte sind auch angewiesen, ihre Patienten in konzerneigene Kliniken zu überweisen. So höhlen die Medizinkonzerne schleichend auch die freie Arztwahl aus.
Daher meine Frage als Patient an Sie: Wie steht die SPD unter ihrer neuen Führung zu dieser Tendenz? Was tut sie praktisch, um die freie Ärzteschaft zu stützen?
Beste Grüße
Lienhard Wawrzyn
Sehr geehrter Herr Dr. Wawrzyn,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 28.12.2019.
Die SPD steht zur freien Wahl der Ärztinnen und Ärzte und trägt dafür Sorge, dass bundesweit eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Ärztinnen und Ärzte gewährt ist. Dazu setzen wir einerseits auf die berufsständige und gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, d.h. konkret die Arbeit der Kassenärztlichen Vereinigungen und des Gemeinsamen Bundesausschusses, andererseits werden wir da gesetzgeberisch tätig, wo es notwendig ist, bspw. bei der Neuberechnung und Verteilung von Arztsitzen.
Ihre Sorgen um die Zukunft des Arztberufes teile ich nur zum Teil. Wir wissen aus zahlreichen Befragungen Medizinstudierender oder angehender Ärztinnen und Ärzte, dass sie eine Selbstständigkeit scheuen, sondern lieber als angestellte Ärztinnen und Ärzte in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) arbeiten wollen. Darin sehe ich auch überhaupt kein Problem. Die SPD hat sich deutlich für eine Förderung und Ausweitung der MVZ eingesetzt, da sie eine ambulante Versorgung der Bevölkerung unter einem Dach ermöglichen, welches gerade für Patientinnen und Patienten, die von Haus- und zu Facharzt wechseln, sehr viel einfacher ist. Auch für die Ärztinnen und Ärzte selbst bringt das Konzept Vorteile, da somit Regelungen zur Teilzeit und Urlaub sowie Pooling von Abrechnungsoftware und Geschäftsführung einfacher sind. Der Bundestag hat auch in der vergangenen Wahlperiode eine weitere Förderung von MVZ ermöglicht, indem die Trägerschaft von Kommunen erleichtert wurde.
Eine von Ihnen beschriebene Verdrängung freiberuflich tätiger Ärztinnen und Ärzte durch MVZ kann nicht nachgewiesen werden. In MVZ arbeiten zum Stichtag 31.12.2018 rund 19.000 Ärztinnen und Ärzte bei einer Gesamtzahl von rund 140.000 ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte. MVZ sind also weiterhin in Deutschland die eindeutige Minderheit, bilden aber natürlich ein Alternativmodell zum selbstständigen Ärztinnen und Ärzte.
Zur Trägerschaft der MVZ ist zu sagen, dass in der Tat Krankenhäuser vielfach MVZ gegründet haben. Stand 2018 sind 42% der MVZ in Krankenhaus-Trägerschaft, die Mehrheit ist in Trägerschaft von Ärztinnen und Ärzte selbst oder sonstigen Trägern wie Praxisnetzen und Kommunen. Die Trägerschaft nimmt in jeder der drei Gruppen zu, daher ist die Pauschalkritik, nur Krankenhäuser würden MVZ gründen, so auch nicht richtig. Es müsste außerdem differenziert werden, welche Art Träger das jeweilige Krankenhaus hat. Beim Ihrem Beispiel Helios ist bekannt, dass der Konzern rund 200 MVZ bundesweit trägt. Natürlich wäre es auch möglich, dass kommunale Kliniken MVZ betreiben, was aufgrund fehlender Statistiken leider derzeit nicht möglich ist, nachzuweisen.
Hier bin ich der Meinung, dass eine Ausnutzung eines MVZ als reine Kapitalanlage verhindert werden muss. Gleiches gilt aber genauso für private Krankenhauskonzerne. Damit wären weniger die MVZ an sich das Problem, sondern die Tatsache, dass generell immer mehr private Konzerne und Anleger ins deutsche Gesundheitssystem vordringen, sowohl bei der ambulanten, stationären und pflegerischen Versorgung. Daher bin ich der Meinung, dass die SPD sich diesem generellen Problem widmen sollte, nicht der speziellen Frage, ob die Anzahl der MVZ steigt, was für die Patientinnen und Patienten wie ausgeführt eine Verbesserung der Versorgung darstellen kann.
Eine weitere Förderung kommunaler und gemeinnütziger Träger für MVZ, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sowie die Einschränkungen von Vorteilen privater Anleger im Gesundheitsbereich – insbesondere im SGB XI – ist daher unbedingt vonnöten.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Dittmar