Portrait von Sabine Dittmar
Sabine Dittmar
SPD
91 %
32 / 35 Fragen beantwortet
Frage von Waltraud F. •

Frage an Sabine Dittmar von Waltraud F. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Dittmar,
die Bestimmungen bezüglich Schiedsgerichtsverfahren in den geplanten Abkommen CETA und TTIP halte ich für nicht vereinbar mit demokratischen Rechten. Es gibt schon Beispiele, wie große Konzerne mit Hilfe hoch bezahlter Juristen vor privaten Schiedsgerichten "Entschädigungen" in Millionenhöhe erstritten haben, weil Gesundheits- oder Umweltsgesetze ihre Gewinnerwartungen eingeschränkt haben.
Werden Sie sich gegen solche Vereinbarungen einsetzen?
MfG, W. Finckh

Portrait von Sabine Dittmar
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Finckh,

vielen Dank für Ihre Frage zum geplanten sogenannten „CETA“- Abkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement) der EU mit Kanada und zu TTIP. Gerne übermittle ich Ihnen unsere Position zum Verhandlungsergebnis, das inzwischen in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Erlauben Sie mir, ausführlicher v.a. auf CETA einzugehen.

Die Entscheidung der EU-Kommission, das CETA-Abkommen als gemischtes Abkommen einzustufen, ist der richtige Weg und ein Schritt der politischen Vernunft. Wir begrüßen dies außerordentlich. Somit werden wir im Deutschen Bundestag von unseren parlamentarischen Rechten adäquat Gebrauch machen. Wir sehen uns in dieser Frage verbunden mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und den EU-Handelsministern, die bereits auf ihrer Ratstagung am 13. Mai 2016 klargestellt haben, dass CETA als gemischtes Abkommen von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. Der politische Druck der Bundesregierung, insbesondere von Sigmar Gabriel, hat jetzt zum Einlenken der Kommission geführt.

Nach der Vorlage der übersetzten Texte liegt jetzt eine Phase der Prüfung des CETA-Vertragstextes vor uns. Wir haben immer für fortschrittliche und faire Handelsabkommen plädiert, die unsere bewährten Standards und Normen gewährleisten und gleichzeitig den Handel fördern und einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Globalisierung leisten. Mit Kanada haben wir bisher noch kein Handelsabkommen, obwohl Kanada zu einem unserer engsten weltweiten Partnerländer zählt.

Meiner Meinung nach ist es gelungen, mit Kanada ein Abkommen zu verhandeln, das hohe Standards setzt und gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation zwischen den Ländern deutlich verbessert. Und beim Thema Kernarbeitsnormen gibt es eine positive Entwicklung. Denn Kanada und die EU haben sich verpflichtet, bei der Ratifizierung der grundlegenden ILO-Übereinkommen kontinuierliche und nachhaltige Anstrengungen zu unternehmen. So hat Kanada am 8. Juni 2016 das Übereinkommen (Nr. 138) über das Mindestalter, 1973, ratifiziert. Damit hat Kanada sieben der acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert. Die einzige Kernarbeitsnorm, die von Kanada noch ratifiziert werden muss, betrifft das Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen. Damit Kanada dieses ILO-Übereinkommen ratifizieren kann, müssen die Provinzen und Gebietskörperschaften der Ratifizierung noch zustimmen, wobei die technischen Überprüfungen jetzt stattfinden. Die wesentlichen Grundsätze dieser noch nicht erfüllten ILO Kernarbeitsnorm sind in den kanadischen Arbeitsgesetzen allerdings bereits verankert.

Die gegenseitige Öffnung des kanadischen und europäischen Marktes für Güter, Dienstleistungen und Investitionen bietet neue Marktchancen für Unternehmen, sichert und schafft Arbeitsplätze und gibt Verbrauchern mehr Wahlmöglichkeiten. CETA sieht einen weitgehenden Zollabbau, einen – für Kanada bislang beispiellosen – Zugang von Unternehmen zu den jeweils anderen Beschaffungsmärkten, eine Rahmeneinigung über die erleichterte gegenseitige Anerkennung beruflicher Qualifikationen, leichteren temporären Austausch von Mitarbeitern zwischen der EU und Kanada, Abbau unnötiger Testverfahren und Verbesserungen des Schutzes geistigen Eigentums vor. Gerade für eine Exportnation wie Deutschland ist dies von erheblicher Bedeutung. Jeder vierte Arbeitsplatz hierzulande hängt vom Export ab, in der Industrie ist es jeder zweite.

Investitionsschutz
Zu begrüßen ist der gefundene Kompromiss zum Investitionsschutz, der alle ursprünglich von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingebrachten Reformvorschläge berücksichtigt. Damit gehört das alte System der Investor-Staat-Streitbeilegung (Investor-to- State Dispute Settlement – ISDS) definitiv der Vergangenheit an. Die Schaffung eines ständigen multilateralen Investitionsgerichtshofs wird von der Europäischen Union und Kanada in Aussicht gestellt. Das geänderte System wurde bereits in den Text des geplanten Freihandelsabkommens mit Vietnam aufgenommen. Auch in andere laufende und neue Verhandlungen zu Freihandelsabkommen, soll das geänderte System eingefügt werden.

Die Änderungen im Investitionsschutz beinhalten die Schaffung eines Investitionsgerichtes mit transparenten Verfahren und unabhängigen Richtern, die ab ihrer Ernennung nicht mehr als Anwälte oder Gutachter in anderen Investitionsschutzverfahren arbeiten dürfen. Außerdem wird eine Berufungsinstanz eingerichtet.

Auch materiell werden in CETA substanzielle Verbesserungen vereinbart: Das sogenannte „right to regulate“, also das Recht der Vertragsparteien, Maßnahmen zur Umsetzung legitimer Politikziele zu treffen, wurde explizit verankert. Dies wird bei der Auslegung der materiellen Schutzstandards bei Investitionsklagen zu berücksichtigen sein. Höhere Umwelt-oder Verbraucherschutzstandards begründen per se also keine Schadenersatzansprüche von Investoren. Außerdem stellt CETA nun klar, dass Investitionsschutzbestimmungen nicht Erwartungen von Investoren dahingehend schützen, dass der Rechtsrahmen für Investitionen im Zielgebiet immer unverändert bleibt. Auch negative Auswirkungen eines Gesetzesvorhabens auf die Gewinnerwartung des Investors begründen keinen Anspruch auf Schadenersatz. Eine weitere Änderung betrifft die Regel, dass ein Investor nicht parallel vor nationalen Gerichten und vor einem Schiedsgericht gegen eine vermeintlich belastende staatliche Maßnahme klagen darf.

Kommunale Daseinsvorsorge
Der Entwurf des CETA-Abkommens stellt im Übrigen – wie auch die früheren Handelsabkommen der Europäischen Union - sicher, dass die Spielräume der Kommunen zur Organisation der Daseinsvorsorge nicht eingeschränkt werden und dass kein Druck in Richtung einer Liberalisierung kommunaler Dienstleistungen ausgeübt wird. Es werden in diesem Bereich keine neuen Marktöffnungsverpflichtungen eingegangen. Die Kommunen können auch künftig selbst entscheiden, ob sie ein kommunales Unternehmen privatisieren wollen oder ein privates Unternehmen im Rahmen der Re-Kommunalisierung wieder als kommunales Unternehmen führen wollen - ohne Beschränkungen durch das CETA-Abkommen. CETA beinhaltet hier den gleichen Vorbehalt gegen Öffnungsverpflichtungen, wie er bereits in anderen Abkommen der EU enthalten ist und wie er sich insbesondere im WTO-Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) seit 1995 bewährt hat. Hinzu kommen spezifische Absicherungen u. a. für die Bereiche Gesundheit, Wasserversorgung, Bildung und für soziale Dienste.

Kulturelle und mediale Vielfalt
Kanada ist ein Staat, bei dem staatliche Kulturförderung genauso wichtig ist wie bei uns in Deutschland und in der EU. Daher war es im Ergebnis nicht überraschend, dass diverse Absicherungen für den Kultursektor vereinbart werden konnten. Das CETA-Abkommen schränkt also die kulturelle und mediale Vielfalt in Deutschland und in der EU nicht ein. Audiovisuelle Dienstleistungen, also u. a. Radio und Fernsehen, sind von den Öffnungsverpflichtungen ausgenommen. Auch Fördermaßnahmen im Kultursektor sind ohne Beschränkung weiterhin möglich. Hinzu kommen Öffnungsvorbehalte für kulturelle Angebote, die dazu führen, dass Deutschland mit CETA in diesem Bereich nicht über die seit 20 Jahren bestehenden Verpflichtungen aus dem GATS-Abkommen hinausgeht.

CETA wahrt den gesetzgeberischen Handlungsspielraum
Bereits die Präambel des CETA-Vertragstextes betont die Wahrung des gesetzgeberischen Handlungsspielraums der Vertragsparteien und die fortbestehende Möglichkeit, legitime Interessen des Allgemeinwohls zu schützen, etwa im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt.

Arbeits- und Tarifvertragsrecht bleibt vollständig erhalten
Die deutschen und europäischen Regelungen zum Arbeitsschutz und Tarifvertragsrecht werden durch CETA nicht angetastet und gelten genauso weiter wie Regelungen zum Mindestlohn. Zwingende Vorschriften des Arbeitsrechts oder das Streikrecht werden durch dieses Abkommen nicht in Frage gestellt. Alle Anforderungen in Gesetzen und Rechtsvorschriften einer Vertragspartei bezüglich Arbeits- und Sozialschutz bleiben weiterhin in Kraft und können angewendet werden.

Keine Einschränkungen von sozialen und ökologischen Kriterien beim Vergaberecht
Wir begrüßen die Regelungen im CETA-Abkommen zum Bereich der öffentlichen Aufträge, weil sie einen erheblichen Schritt für einen diskriminierungsfreien Zugang von europäischen Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen in Kanada und damit einen besseren Marktzugang bedeuten. Die Bestimmungen des Kapitels zur öffentlichen Beschaffung enthalten keine Einschränkung für eine Vergabe nach sozialen und ökologischen Kriterien. Ausschreibungspflichten, die über das geltende Vergaberecht der EU hinausgehen, werden durch das CETA-Abkommen ebenfalls nicht begründet. Soweit es öffentlichen Auftraggebern gegenwärtig gestattet ist Aufträge ausschreibungsfrei an Eigenbetriebe zu vergeben (sog. „Inhouse-Vergabe“), oder horizontal mit anderen Stellen zusammenzuarbeiten, ändert sich durch das CETA-Abkommen nichts.

Soziale Dienstleistungen
Im CETA-Abkommen werden keine Regelungen zu spezifischen Organisationsformen der Leistungserbringung im sozialen Bereich getroffen, d.h. die Organisation und Struktur der Leistungserbringung von sozialen Diensten ist nicht berührt und wird somit nicht in Frage gestellt. Im Abkommen wurden für Deutschland und für die EU entsprechende Vorbehalte verankert. Soziale Dienstleistungen, die in irgendeiner Form (auch) staatliche Unterstützung erhalten, dürfen in Deutschland weiterhin öffentlich finanziert, gefördert und steuerrechtlich privilegiert werden - dies gilt auch für solche sozialen Dienstleistungen, die im Wettbewerb mit privaten Anbietern erbracht werden. Auch insofern ändern sich die derzeit in Deutschland geltenden Rahmenbedingungen der sozialrechtlichen Leistungserbringung durch das CETA-Abkommen nicht.

CETA führt keine Gentechnik ein
Die Bestimmung im Bereich Biotechnologie zielt auf einen Dialog und Informationsaustausch ab. Dadurch wird der Erfahrungs- und Informationsaustausch im Rahmen der Zusammenarbeit das gegenseitige Verständnis im Bereich der Biotechnologie verbessert. CETA enthält aber in keiner Weise Verpflichtungen zur Änderung des europäischen Gentechnikrechts und schränkt auch nicht das Recht jeder Vertragspartei ein, neue Rechtsvorschriften nach Maßgabe der eigenen Schutzbedürfnisse und Prioritäten zu erarbeiten. In CETA werden effiziente wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren für biotechnologische Produkte als gemeinsames Ziel für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Biotechnologie festgehalten. Aus dieser Zusammenarbeit ergeben sich keine rechtlichen Verpflichtungen zur Änderung des EU-Rechts. Der frühzeitige Austausch von Informationen zwischen den Vertragsparteien kann hilfreich sein, um dem Vorsorgeprinzip noch besser Rechnung tragen zu können. Zum Umweltschutz enthält CETA ein eigenes Kapitel 25, in dem die Parteien eine verstärkte Zusammenarbeit vereinbaren, um die Umwelt zu schützen und zu bewahren und nachhaltige Entwicklung zu fördern.

CETA schützt das Vorsorgeprinzip
CETA betont die Wahrung des gesetzgeberischen Handlungsspielraums der Vertragsparteien und die fortbestehende Möglichkeit, legitime Interessen des Allgemeinwohls zu schützen, etwa im Bereich öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Der im Abkommen niedergelegte Wille der Vertragsparteien ist bei der Auslegung des gesamten Abkommens zu beachten.

Wir werden das CETA-Abkommen in den nächsten Monaten eingehend weiter analysieren und bewerten. Voraussichtlich ab Herbst 2016 wird das Beratungsverfahren im Europäischen Parlament beginnen.

Ich möchte Ihnen abschließend versichern, dass es mit der SPD nur ein CETA-Abkommen und auch nur dann ein TTIP-Abkommen geben wird, das den Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft unseres Landes nützt. Letztendlich wird der Deutsche Bundestag und der Bundesrat über eine Zustimmung zum Abkommen zu entscheiden haben.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Dittmar

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Sabine Dittmar
Sabine Dittmar
SPD