Frage an Sabine Bätzing-Lichtenthäler von Eike T. bezüglich Umwelt
Liebe Frau Bätzing-Lichtenthäler,
ich wüsste gerne Ihre Position zur Saatgutverordnung (der gültigen und geplanten) und welche Möglichkeiten Sie sehen, sich für Saatgut- und Nahrungspflanzenvielfalt einzusetzen. Vielen Hobbygärtnern ist ja bewusst, dass viele Arten von Saatgut nicht mehr vertrieben werden können, weil die bürokratischen und finanziellen Hürden zu hoch sind - was den Saatgutmonopolisten wie Monsanto dient. Wer aber selbst kein Obst, Gemüse oder Getreide anbaut, der weiß meist gar nicht, wie stark unsere Ernährungsvielfalt dadurch beschnitten wird.
Vielen Dank,
Eike Turnau
Sehr geehrte Frau Turnau,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Meine Antwort hat etwas Zeit in Anspruch genommen, da ich mich erst einmal mit dem Thema vertraut machen musste. Ich selber ärgere mich regelmäßig, das bestimmte Sorten, an die ich mich noch aus meiner Jugend erinnere, nicht mehr erhältlich sind, obwohl ich deren Geschmack viel besser in Erinnerung habe, als das, was heute zu bekommen ist.
Ich will mit etwas Historie des Entwurfs der EU-Saatgutverordnung einsteigen:
Nach einem monatelangen Evaluierungsprozess stellte die Europäische Kommission am 06.Mai 2013 die „Verordnung über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt (Rechtsvorschriften für Pflanzenvermehrungsmaterial)“ – der Einfachheit wegen rede ich im Folgenden von Saatgutverordnung – vor.
Die Verordnung soll 12 bestehende EU-Richtlinien in einer Verordnung bündeln und zur Harmonisierung des europäischen Saatgutmarktes führen. Im Kern geht es darum, dass Saatgut, bevor es verkauft werden darf, offiziell registriert werden muss.
Europäische Verordnungen müssen nicht in nationales Recht umgesetzt werden, sondern entfalten in jedem Mitgliedsland unmittelbare Wirkung. Insofern würde die Saatgutverordnung in Deutschland insbesondere das Saatgutverkehrsgesetz ersetzen. Dies zeigt die hohe Bedeutung einer solchen Verordnung. Deshalb muss man in Europa auf solche Verordnungen sehr genau acht geben.
1. Missverständnisse im Vorfeld – Was bedeutet die Verordnung nicht?
Im Vorfeld der Vorstellung des Entwurfs kam es durch teilweise falsche Presseberichterstattung zu Missverständnissen. Einige Stimmen behaupteten, dass die EU kontrollieren wolle, was Hobbygärtner in ihren Gärten anbauen.
Diese Gerüchte wurden durch die Vorstellung des Entwurfs am 6. Mai 2013 ausgeräumt. Eine Kontrolle dessen, was Hobbygärtner machen, wird im jetzigen Entwurf nicht vorgenommen. Vielleicht trägt dies etwas zu ihrer Beruhigung bei.
Dennoch gibt die Verordnung Anlass zur Kritik.
2. Berechtigte Kritik
Zunächst muss die Frage gestellt werden, ob überhaupt eine europaweit einheitliche Verordnung erforderlich ist. Eine Überregulierung führt zu unnötiger Bürokratie. Es ist nicht einzusehen, warum eine Sorte, die schon seit Jahren bekannt ist, noch einmal registriert werden muss. Dadurch werden kleinere Unternehmen, relativ gesehen, stärker belastet als größere Unternehmen.
Das Saatgutverkehrsrecht wurde vor Jahrzehnten vor allem deshalb eingeführt, um die Ernährungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
Nicht nur der Fall um die Kartoffelsorte „Linda“, den der SPD Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Miersch als Anwalt für die Landwirte betreut hat, zeigt, dass das Saatgutverkehrsrecht dazu missbraucht worden ist, die Interessen der Allgemeinheit zu unterlaufen. Wenn das Saatgutverkehrsrecht Schranken aufbauen soll, um zu verhindern, dass eine Pflanzensorte nach Ablauf des Sortenschutzes beschränkungslos verwendet werden darf, so ist das nicht hinzunehmen. Es ist ein festgeschriebener Grundsatz aller gewerblichen Schutzrechte (Patente, Urheberrechte, Sortenschutzrecht), dass der Schutzrechtinhaber eine gewisse Zeit das Recht hat, über die Verwendung seiner Erfindung bzw. seines Schutzrechtes zu bestimmen und Lizenzen für die Nutzung einzuziehen.
Da jedoch zum Beispiel auch der Kartoffelzüchter die Kartoffel an sich nicht neu erfindet, sondern aus dem Fundus der Allgemeinheit schöpft, soll dieses Schutzrecht zeitlich beschränkt sein. Die Allgemeinheit soll nach Ablauf dieser Schutzdauer ohne weitere Beschränkungen von der Erfindung bzw. der Züchtung profitieren können. Deshalb ist die Grundsatzdiskussion auf europäischer und nationaler Ebene zu führen, in wie weit die vorhandenen saatgutverkehrsrechtlichen Regelungen geeignet sind, diesen Grundsatz zu unterwandern.
Darüber hinaus gibt es weitere Kritikpunkte:
a) Delegierte Rechtsakte
Die Europäische Kommission behält sich in ihrem Entwurf vor, nach Inkrafttreten der Verordnung sogenannte delegierte Rechtsakte zu erlassen. Diese eröffnen der Europäischen Kommission die Möglichkeit, Details, die in der Verordnung selbst nicht geregelt sind, später zu bestimmen. Das besondere hierbei ist, dass das EU-Parlament und der Rat nicht mehr einbezogen werden müssen. Insgesamt sind in dem Entwurf über 30 solcher delegierter Rechtsakte enthalten. Genauere Auswirkungen der Verordnung sind somit schwer vorhersehbar und beschneiden den Einfluss des EU-Parlaments bei Detailfragen.
b) Die Kleinen werden klein gehalten
Kleinunternehmer werden vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen. Das bedeutet aber auch, dass es für sie schwierig ist, sich zu vergrößern. Ab einer bestimmten Umsatzgrenze und Mitarbeiteranzahl gelten für sie dieselben Regeln wie für Großkonzerne.
c) Zu niedrige Grenze bei Ausnahme von KMUs
Kleine und mittlere Unternehmen sind bis zu einem Umsatz von zwei Millionen Euro pro Jahr und einer Mitarbeiteranzahl von bis zu zehn von der generellen Registrierungspflicht ausgenommen. Diese Grenze geht an der Realität vorbei und ist zu niedrig.
3. Wie wird es nun weitergehen?
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich vor dem Hintergrund der in diesem Schreiben dargelegten Aspekte dafür einsetzen, dass es zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen Landwirten, Verbrauchen, Hobbygärtnern und der Saatgutindustrie kommt. Allerdings werden die Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen. Der Gesetzgebungsprozess wird voraussichtlich noch über zwei Jahre in Anspruch nehmen. Zur Zeit befasst sich das europäische Parlament mit dem Entwurf. Unsere Kolleginnen und Kollegen der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament werden sich auf europäischer Ebene in diesem Sinne für einen gerechten Interessenausgleich einsetzen.
Ich danke Ihnen für Ihr Engagement und stehe Ihnen natürlich auch für Rückfragen zur Verfügung, die Sie auch gerne an sabine.baetzing-lichtenthaeler@bundestag.de richten können.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Bätzing-Lichtenthäler