Frage an Rudolf Lang von Daniel V.
Sehr geehrter Herr Lang,
meine Frage paßt nicht wirklich zum gewählten obigen Thema, aber trotzdem.
Welche Möglichkeiten sehen SIe bei Wahlen eine höhere Wahlbeteiligung zu erreichen? Sollte es bei einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht bleiben oder nur eines von beiden? Was halten Sie von der Idee, dass die Sitze in den Parlamenten nach der Prozentzahl der Wahlbeteiligung vergeben wird, also als Beispiel 70 % Wahlbeteiligung und daher nur noch 70 % der bisherigen Abgeordnetenzahl? Auch würde mich interessieren mit welchen Ziel eine Paetei wie die ÖDP an einer Bundestagswahl teilnimmt. Was wäre ein Erfolg für diese Partei. Ein Einzug in das Parlament erscheint unwahrscheinlich, warum tritt man dann eigentlich an?
Hoffe, dass ich SIe nicht überfordert habe!
Meine Antwort:
Die tendenziell stetig sinkende Wahlbeteiligung ist tatsächlich ein akutes Problem unserer Demokratie. Sie verwundert aber kaum, wenn man näher betrachtet, welchen eingeschränkten Einfluss der Wähler auf unmittelbare politische Entscheidungen hat und vor allem, wie er die Umsetzung seines Willens in der politischen Arbeit subjektiv wahrnimmt. Hierzu möchte ich auch auf die mir bereits gestellte Frage zu Volksentscheiden verweisen.
In weiten Teilen der Bevölkerung scheint die Meinung vor zu herrschen: & die machen ja doch was sie wollen! oder: & man weiß gar nicht mehr, wen man wählen soll! Dies rührt sicher zum Großteil daher, dass die Parteien in ihrem Erscheinungsbild und ihren wahrgenommenen Programmen für den Bürger immer austauschbarer werden. Besonders bedenklich ist, wenn dies in der Jugend vorherrscht und zu Politik-Abstinenz führt.
Das Wahl-Recht durch eine Wahl-Pflicht mit Sanktions-Androhung zu ersetzen, wie es in einigen Staaten der Fall ist, halte ich jedoch für den grundsätzlich falschen Weg. Vielmehr muss der Bürger wieder die Gewissheit bekommen, dass seine Stimm- Abgabe für die künftige Politik entscheidend ist. Ebenso muss die funktionsfähige Stärke des Parlaments unabhängig von der Wahlbeteiligung garantiert sein. Wer nicht wählt, wählt auch!
Ich tendiere zunächst zu einem weiter verkleinerten Bundestag: Ein Abgeordneter je 150.000 bis 200.000 Wähler, d.h. ca. 300 bis 400 Abgeordnete sollten für eine sachgerechte Parlamentsarbeit reichen. Ein größeres Plenum wird schnell unpersönlich und schlecht überschaubar und garantiert keinesfalls für mehr Sachkenntnis und bessere Detailarbeit. Die Hauptarbeit des Parlaments wird sowieso mittlerweile in den verschiedenen Fach-Ausschüssen geleistet.
Das Wahlrecht möchte ich wie folgt ändern: Mehrheitsbeschaffer ist ja die derzeitige Zweitstimme, also sollte sie auch die optische Erststimme sein. Durch die bereits beschlossene Änderung des Auszählverfahrens sind auch die Verfälschungen des Wählerwillens weitgehend eliminiert. Insbesondere das d´ Hondt-sche Verfahren führte früher zu einer demokratiefeindlichen Benachteiligung kleiner Gruppen.
Diese neue Erststimme würde zunächst über die jeweilige Parteistärke im Bundestag entscheiden. Überhang-Mandate gäbe es nicht mehr. Für neu antretende Parteien sollte auch zunächst eine abgemilderte Einzugs-Klausel von z.B. 2 % gelten, die nach erfolgreichem Einzug in den Bundestag nach und nach auf mindestens 5 % bis maximal 10 % ansteigt. Dies würde neuen Bewegungen (frischem Wind) den Start erleichtern, ohne dass die Nachhaltigkeit und politische Bewährung unter den Tisch fällt und die Gefahr einer Zersplitterung überhand nimmt.
Als neue Zweitstimme(n) sollte jeder Wähler eine bestimmte Zahl von Kandidaten-Stimmen bekommen, ca. 10 bis 20 halte ich für eine angemessene Zahl. Diese Stimmen sollte jeder Wähler frei jedem antretenden Abgeordneten-Kandidaten, gleich welcher Partei und unabhängig vom jeweiligen Listenplatz, geben können. Diese Stimme würde dann entscheiden, wer für die jeweilige Liste im Rahmen ihrer Wahlstärke tatsächlich Abgeordneter wird. Die Listen der Parteien wären demnach wirklich nur unverbindliche Wahl-Vorschläge. Sichere Listenplätze gäbe es hiernach auch nur allenfalls mittelbar. Ein solches Wahlsystem (auch auf Landesebene) würde u.a. auch der ÖDP zunächst den Einzug in Land- oder Bundestag erleichtern. Unser Problem ist, dass wir versuchen, vorhandene Missstände und Fehlentwicklungen in Staat und Gesellschaft zu thematisieren und mit viel Kopf-Arbeit nach Lösungen und zukunftssicheren Gestaltungen zu suchen. Leider erreicht man damit kurzfristig nur eine sehr überschaubare Wählerschaft. Es ist mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt, dass Köpfe von Sympathie-Trägern und plakative Ziele für einen Großteil der Wähler entscheidend sind. Dies ist bedauerlich und erschwert sachbezogene Arbeit, aber es gehört eben zur Demokratie.
Unser bayerischer Landesvorsitzender Bernhard Suttner hat es nach der letzten, auch recht enttäuschenden, Landtagswahl (sinngemäß) auf den Punkt gebracht: Wir müssen uns leider von der Hoffnung verabschieden, schnell in einen Land- oder Bundestag einzuziehen. Wenn wir deshalb unseren Politik-Stil den anderen Parteien anpassen, haben wir aber nur eine weitere beliebig austauschbare Partei in Deutschland und verlieren unsere Daseins-Berechtigung völlig. Wir sind eines von vielen kleinen Rädchen (Attac, Bund Naturschutz, Kirchengruppen usw.) die an einer Neugestaltung von Staat und Gesellschaft arbeiten. Solange wir noch einen Funken Hoffnung für die Zukunft haben, müssen wir diesen Weg mit aller Kraft und Ausdauer weiter gehen.
Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Eine Wahl macht Sinn, solange man Themen und Ziele zur Diskussion stellen kann (Steter Tropfen höhlt den Stein!).
Wenn wir nichts ändern, wird nichts mehr so bleiben, wie es ist! so ein Spruch aus der Umwelt-Bewegung. Die ÖDP will dem Wähler Wege aufzeigen, etwas nachhaltig zu ändern, ob er lieber die alten Wege nimmt, müssen wir ihm überlassen.
Rudolf Lang, Vorsitzender