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Rudolf Kujath
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Frage von Davin B. •

Frage an Rudolf Kujath von Davin B. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Kujath,

einige Fragen an Sie:

1. Gerade im Angesicht der europäischen Integration, sehen Sie das Prinzip Nationalstaat auch als zukünftig gültig an, oder wären Sie eher für einen europäischen Bundesstaat?

2. Wie sehen Sie die Zukunft der Integration von Einwanderern? Mehr und mehr Stimmen werden laut, die diese Integration, wie sie jetzt vonstatten geht (bzw. nicht vonstatten geht) als gescheitert ansehen. Würden Sie dem bisherigen Weg folgen, und wenn nein, was würden Sie ändern, um die Bildung von Parallelgesellschaften, die sich mitunter im vollen Gange befindet, und auch die zunehmende Gefahr des islamischen Extremismus abzuwenden?

3. Was wollen Sie tun, um dem Demographieproblem entgegenzuwirken bzw. wollen Sie ihm entgegenwirken? Werden Sie sich dafür einsetzen, daß deutsche Frauen wieder mehr Kinder bekommen (können)?

4. Braucht Deutschland noch mehr Zuwanderung oder ist die "Schmerzensgrenze" bereits überschritten (in einigen Gegenden stellen Zuwanderer mittlerweile die Mehrheit)?

Mit freundlichen Grüßen!

Portrait von Rudolf Kujath
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bußmann,

Ich danke ihnen für ihre Frage vom 31. Juli.

1. Die europäische Integration ist eine der größten Erfolgsgeschichten unseres Kontinents. Sie hat für die längste Friedensphase gesorgt, die es in der europäischen Geschichte je gegeben hat. Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Europas sind mittlerweile so stark mit einander verbunden, dass nationalstaatliche Politik in grundsätzlichen Bereichen wie Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftpolitik nicht mehr möglich ist.
Der Nationalstaat ist ein Verfassungskonstrukt, das sich in einer globalisierten Welt überlebt hat. Dabei ist es unerheblich, ob ein Nationalstaat zentralistisch oder eher föderal aufgebaut ist. In Deutschland haben wir eine historisch gewachsene bundesstaatliche Tradition. Das Grundgesetz geht vom Gedanken der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer aus. Sie haben eigene Rechte und fordern diese auch durchaus erfolgreich ein. Dies ändert jedoch nichts an der Entwicklung zu mehr Souveränität für europäische Institutionen.

2. Laut statistischem Bundesamt leben in Deutschland ca. 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, wobei Spätaussiedler und Türkischstämmige die größten Gruppen bilden. Entgegen der landläufigen Meinung war Deutschland schon immer ein Einwanderungsland. Migranten haben ihre Kultur in die Entwicklung Deutschlands einfließen lassen und sie dadurch bereichert. Man denke hierbei an die Hugenotten aus Frankreich oder an die vielen polnischen Einwanderer im 19. Jahrhundert. Heute fühlen sich sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund als Deutsche und sind auch vollständig in die Gesellschaft integriert. Dies ist eine erfolgreiche Facette der Integrationspolitik.
Dennoch haben Sie Recht, wenn sie beklagen, dass es zu viele Migrantenmilieus gibt, die immer weiter von der Gesellschaft abdriften. Mangelnde Sprachkenntnisse der Elterngeneration führen zu geringeren Bildungschancen der Kinder. Bildung ist jedoch die wichtigste Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und eine gute Arbeit. Für junge Menschen dieses Milieus ist es extrem schwer, dieser sozialen Situation zu entkommen. Perspektivlosigkeit kann dann durchaus einen Nährboden für Kriminalität und politische Radikalität wie z.B. für islamistischen Extremismus bedeuten.
Die Politik ist in der Verantwortung, diesen Teufelskreis aufzubrechen.
Es muss entsprechende Bildungsangebote für die ganze Familie geben. Insbesondere muss man versuchen die Frauen zu erreichen, da diese in den eher konservativen Familienstrukturen den Hauptanteil der Kindererziehung bewältigen, die oft aber sogar noch schlechtere Sprachkenntnisse besitzen als ihre Ehemänner. Hierbei müssen Schulen, Kindergärten, Verwaltung und die sozialen Einrichtungen vor Ort eine stärkere Rolle spielen.
Einen besonderen Einfluss haben auch die Struktur und die soziale Zusammensetzung des jeweiligen Kiezes, in dem Migranten konzentriert leben. Mit dem Quartiersmanagement haben wir in Berlin einen sehr erfolgreichen Ansatz gefunden, wie man die Lebensqualität in einer Nachbarschaft spürbar verbessert und gleichzeitig massiv die Integration vorantreibt.

3. Es ist jeder Frau selber überlassen, ob und wenn ja wie viel Kinder sie bekommen möchte. Der Staat kann und darf auf diese freie Entscheidung nur indirekt Einfluss nehmen. Die Politik kann die Rahmenbedingungen so gestalten, dass diejenigen, die Kinder haben möchten, sich diesen Wunsch leichter erfüllen können.

Es ist einer der großen Fortschritte des letzten Jahrhunderts, dass Frauen die Möglichkeit haben, ebenso wie Männer, im Beruf Kariere zu machen. Leider gibt es in der Praxis immer noch Hindernisse, die insbesondere die SPD mit ihrer Politik überwinden will. Ein Hauptkonfliktpunkt ist dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nach wie vor wird der größte Teil der Erziehungsarbeit in der Familie von Frauen geleistet. Viele müssen sich daher entscheiden, ob den Beruf zugunsten von Kindern zurückstellen.
Hier kann man zum einen mit einem qualitativ hochwertigen Ausbau der Ganztagsbetreuung an Kindergärten und Schulen eine Entlastung der Familien erreichen.
Zum anderen müssen jedoch auch die Unternehmen familienfreundlicher werden. Die gängige Praxis, reguläre Überstunden von seinen Beschäftigten zu fordern, sorgt für eine Vernachlässigung der Familie. Daher sind hier strengere Regelungen erforderlich, um Beruf und Familie besser koordinieren zu können. Dies käme durchaus auch Männern zugute, da sich viele wünschen, mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können.

4. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir einen europäischen Arbeitsmarkt haben. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass deutsche Ärzte in England, englische Informatiker in Frankreich und französische Ingenieure in Deutschland arbeiten. Dieser Trend wird sich noch weiter verstärken.
Erst kürzlich hat der Arbeitgeberverband erklärt, dass deutschen Unternehmen trotz Wirtschaftskrise zurzeit 60.000 Ingeneure suchen. Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise wird diese Zahl sicher ansteigen. Wir haben einen extrem hohen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Aufgrund des demographischen Wandels werden wir diesen Bedarf mit einheimischen Kräften nicht mehr abdecken können. Um unseren Wohlstand zu sichern, wird es daher nötig sein, Fachkräfte ins Land zu holen und langfristig zu binden.
Diese Art der Einwanderung wird sich stark von der der letzten Jahrzehnte unterscheiden. Früher wurden die Migranten als billige Arbeitskräfte ins Land geholt. Jetzt hingegen werden ganz gezielt Spezialisten, meist mit Hochschulabschluss, angeworben. Diese Menschen haben ein ganz anderes Bildungsniveau und kommen aus einem anderen sozialen Hintergrund, so dass ihnen die Integration in unsere Gesellschaft leichter fallen wird.

Es grüßt Sie herzlich,

Ihr Rudolf Kujath