Portrait von Rolf Kahnt
Rolf Kahnt
parteilos
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Rolf Kahnt zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Karl B. •

Frage an Rolf Kahnt von Karl B. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Wie möchten Sie das Niveau der vermittelten Lehrinhalte verbessern? Ein Abiturient scheint heute kaum noch das Wissen eines Realschülers der siebziger Jahre zu haben. Wie man mit so wenig Wissen erfolgreich ein Studium abschliessen kann ist mir ziemlich unverständlich. Abiturienten scheinen auch nicht mehr zu lernen, wie man strukturiert lernt.
Vielen Dank für eine Antwort.

Portrait von Rolf Kahnt
Antwort von
parteilos

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Frage. Seit den sechziger Jahren war Georg Pichts Ruf der „Bildungskatastrophe“ (1964) Auftakt für einen umfassenden Ausbau weiterführender Schulen. Zumindest äußerlich und quantitativ kann man damit Eindruck schinden. Gab es bis 1964 etwa 50 000 Studienberechtigte, waren es 2014 bereits 370 000. Gingen 1964 noch 70 % der Schüler auf die Hauptschulen, ging danach die Mehrheit nun in Realschulen, Gymnasien und berufliche Schulen. Die Gewinne und Verluste für Schulen und Hochschulen sind offenkundig, es gab und gibt jedoch viele ungelöste Probleme, die sich noch verstärkten.

Eines steht im Allgemeinen schon fest: qualitativ gesehen haben sich unsere Schulen nicht zum Besseren entwickelt, im Gegenteil. Allerorten wird aufgrund stetiger ideologischer Orientierung durch die Verantwortlichen im hessischen Kultusministerium eine Bildungspolitik betrieben, die seit mehr als 40 Jahren zu einer generellen Absenkung von Leistungsanforderungen an allen Schulformen und in allen Schulfächern führt, deren Ergebnisse auf der Hand liegen. Wie Sie schreiben, verehrter Herr B., können unsere Schüler bereits im Grundschulalter nicht mehr richtig lesen, nicht mehr richtig schreiben, geschweige denn richtig rechnen. Dieser Befund zieht sich hin bis zum Abitur, und darüber hinaus. Nicht umsonst sind im Jahr 2016 ca. 40 % von 25 000 Schülern, die das Gymnasium mit der „Hochschulzugangsberechtigung“ (früher hieß das zurecht einmal „Reifezeugnis") verließen, als Erststudienabbrecher registriert. Das Abitur leistet offenbar nicht mehr das, was es soll, viel zu viele Abiturienten sind nicht studierfähig und es besteht bei ihnen die große Gefahr, dass sie in prekären Verhältnissen landen. Wenn im Übrigen alle das Abitur haben, hat keiner mehr Abitur.

Ich sage es deutlich: wir müssen wegkommen von einer Bildungspolitik in Hessen, die seit Jahrzehnten auf dem Wühltisch schwarz-linksgrüner Bildungsexperimente verkommt, die die notwendige Vermittlung von Wissen und Kenntnissen bei einhergehend politisch gewollter Absenkung von Leistungsstandards durch Wohlfühl- und Kuschelpädagogik ersetzt sehen will. Das richtet sich in unverantwortlicher Weise gegen die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen. Neben der Erhöhung der Anforderungen für die Schüler muss es gleichermaßen eine Anhebung der Leistungsanforderung in der Lehrerausbildung geben. Gerade weil wir die Besten für die anspruchsvolle inhaltliche, d.h. didaktische Arbeit von Lehrer gewinnen sollten, wäre ich dafür, einen numerus clausus für die Lehrämter einzuführen. Es kann und darf doch nicht sein, dass - wie Studien belegen - „ausgebildete“ Lehrer für Mathematik ein dermaßen mangelhaftes mathematisch-didaktische Wissen besitzen, so dass sie selbst (!) Schwierigkeiten beim Lösen von Nichtstandardaufgaben haben, die auf dem Niveau ihrer zu unterrichtenden Schüler liegen.

Hier müssen wir in der kommenden AfD-Landtagsfraktion im Hessischen Landtag die Weichen stellen bzw. die Hebel ansetzen für eine verantwortungsvolle Bildungspolitik, die der Individualität und der Unterschiede von Schülern gerecht wird. Es ist kein Ruhmesblatt für die hessische Bildungspolitik, dass Hessen im Bildungsmonitor 2017 nur auf dem 10. Platz steht. Bremen befindet sich als letzter auf dem 16. Platz, weit ist Hessen davon nicht mehr entfernt. Deswegen müssen allen linksgrünen Bestrebungen widersprochen werden, die eine Einheitsschule - gar ohne Noten - vorsehen. Dieser Weg würde das Bildungsniveau nur weiter absinken lassen.

Noch einmal zurück zu Picht, dessen Erkenntnis des Abiturientenmangels zugleich sein größter Denkfehler war: in Deutschland studieren fast 9 von 10 Abiturienten (im ehemaligen bildungspolitischen Musterland Schweden studiert nur jeder vierte Abiturient). Aber besonders im Bereich der Schulpolitik vernachlässigte man weite Bereiche einer schulischen Wirklichkeit, vor allem blieb Picht und anderen „ Reformern“ das berufliche Bildungswesen fremd. Man hat seitdem immer nur gebannt auf die Abiturientenzahlen geschaut, wiewohl seinerzeit die große Mehrzahl der Schüler Hauptschulen und berufliche Schulen besuchte und einen praktischen Beruf anstrebte. Das klassische Aufstiegsthema des „Akademikers“ wurde nicht in Frage gestellt. Die alte Minderbewertung der beruflichen Bildung wurde nicht aufgehoben, obwohl diese sich zu einer guten Alternative zu Gymnasium und Abitur hätte entwickeln können. Stattdessen wurde das Abitur als „Königsweg“ propagiert, obgleich wir eine sehr differenzierte Schullandschaft besitzen (besaßen?).

Bedauerlicherweise wird ununterbrochen eine unverantwortliche Abwertung der Hauptschule betrieben. Daran wird deutlich, dass grundlegende Steuerungsprobleme der Bildungsreform bis heute nicht gelöst wurden. Es wird nach wie vor an der Linie Gymnasium-Abitur-Studium festgehalten und die Linie Haupt-/Realschule-berufliche Weiterbildung wird vernachlässigt und infolgedessen wenig nachgefragt. Aber, das noch einmal: das Abitur als „Normalabschluss" der Schullaufbahn beschert, wie dargelegt, abgebrochene Universitätsstudien. Zu diesen Abbrüchen gesellt sich bereits eine erhebliche Zahl Jugendlicher, die nicht ausbildbar oder schlicht ausbildungsunwillig sind. Wenn wir dem Facharbeitermangel wirkungsvoll begegnen wollen, dann müssen wir in unserem gegliederten, differenzierten Schulsystem gerade die Hauptschulen und Realschulen besonders stärken.

Um ein Fazit zu ziehen: Gute Bildungspolitik muss fördern, aber auch fordern. Es ist wie beim Bergsteigen des Wanderers: erst nach der Mühsal des Aufstiegs hat man droben den schönsten Ausblick. So verhält es sich auch mit dem Lernen. Dieses Prinzip muss allen zu Unterrichtenden wieder viel deutlicher gemacht werden und eingelöst werden. Das wäre ein weiterer Baustein.

Mit freundlichen Grüßen,
Rolf Kahnt