Frage an Robert Fietzke von Maik P. bezüglich Recht
Ich und meine Freundin sitzen gerade vor dem Landtagszettel und suchen noch einen Geeigneten Kandidaten für die Erststimme.
Bitte beschreiben sie, aus ihrer Sicht, die Lage für junge Menschen und mittleren Alters, in Sachsen-Anhalt.
Vielen Dank für ihre Frage. Es ist eine gute Frage, bei der es aber gar nicht so einfach ist, sie kurz und knapp zu beantworten. Ich möchte es mal versuchen.
In meinem Job als Jugendkoordinator bin ich in den letzten elf Jahren sehr vielen jungen Menschen aus allen möglichen Regionen Sachsen-Anhalts begegnet, die zum Teil ähnliche Sorgen und Gedanken umtreiben. Viele empfinden die Lage im Bundesland als perspektivlos, vor allem, wenn sie aus eher ländlichen Gebieten oder kleineren, mittleren Städten kommen. Dabei geht es oft um Ausbildungsplätze, Jobs, Studienplätze, aber auch Kultur- und Freizeitangebote. Hier üben die größeren Städte mit ihrer Vielfalt an Angeboten aller Art natürlich einen großen Reiz aus, sodass die meisten jungen Menschen aus den Flächenkreisen spätestens nach der Schule "abhauen". Magdeburg und Halle wiederum sind für viele dann auch nur Durchgangsstationen. Das weiterhin starke Lohngefälle zwischen Ost und West führt dazu, dass sich viele für ein Pendler-Leben entscheiden.
Warum auch in Sachsen-Anhalt arbeiten, wenn sie nebenan in Niedersachen 30% mehr für dieselbe Arbeit verdienen? Die Abwanderung junger Menschen aus Sachsen-Anhalt, vor allem junger Frauen, ist seit Jahrzehnten ein bekanntes Problem. Zwar gibt es immer mehr, die in ihre alte Heimat zurückziehen, zum Beispiel weil sie vor Kurzem eine Familie gegründet haben und wieder in der Nähe der Großeltern ihrer Kinder sein wollen, aber dieser Trend hält den demografischen Trend der Überalterung Sachsen-Anhalts nicht auf. Das alles ist letztlich mit vielen Begleiterscheinungen verbunden. Angebote in Städten verändern sich, für junge Menschen wird es nicht unbedingt interessanter und attraktiver, Trends beschleunigen sich.
Hinzu kommt, dass auch die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt Menschen, die hier groß geworden sind oder sich hier eigentlich ganz wohl fühlen, vertreibt. Das ist ein unterschätztes und viel zu selten diskutiertes Problem, aber der Alltagsrassismus, dem People of Color in den Städten, Gemeinden, Diskotheken oder Straßenbahnen ausgesetzt sind, ist enorm. Ich selbst kenne sehr viele Menschen, die sich aus diesen Gründen bereits "aus dem Staub" gemacht haben oder noch vor haben, zu gehen, wohlgemerkt, obwohl sie sich hier eigentlich ganz wohl fühlen, denn Sachsen-Anhalt hat ja durchaus Vieles zu bieten. Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit haben immer eine gewaltvolle Dimension, sodass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, dass den Betroffenen buchstäblich an die Nieren geht.
Um aber nicht ganz so düster zu enden, würde ich noch eine andere Perspektive anbringen: Sachsen-Anhalt hat unglaublich viel Fläche, Leerstand, Leere, die gefüllt werden kann und werden will. Überall gibt es Dörfer, Gemeinde und Städte, die sehr froh sind, wenn sich kreatives Potential findet, neue, innovative Projekte zu starten. Überall entstehen gute Dinge mit einem fortschrittlichen, ökologischen Ansatz, überall gibt es Netzwerke solidarischer Menschen, die Sachsen-Anhalt nicht aufgeben und den rechten Menschenfängern überlassen wollen. Es ist also wichtig, diese Ansätze zu befördern und zu unterstützen, damit die Rechtsentwicklung zurückgedrängt werden kann, die das friedliche Zusammenleben verschiedener Lebensentwürfe bedroht. Gerade für junge und mittelalte Menschen ist es doch immens wichtig, hier zu erleben, dass diese Gesellschaft Zukunft hat, trotz der bitteren Tatsache, dass 1/4 der Menschen rechtsextrem wählen.
Ich hoffe, ich konnte eure Frage einigermaßen nachvollziehbar beantworten, auch wenn die Antwort etwas lang geraten ist. Wenn ihr eure Frage noch etwas konkretisieren wollt oder noch andere Fragen habt, meldet euch auch gern via Twitter, Instagram oder Facebook bei mir.
Vielen Dank und liebe Grüße
Robert Fietzke